Dringender Reformbedarf auf allen Ebenen

"Wir werden uns auch weiterhin in die Modernisierung des Sozialstaates einmischen"

Diakonisches Werk der EKD (DW)

19. Oktober 2005

Bericht des Diakonie-Präsidenten vor Diakonischer Konferenz

Zum Aufbruch, zur Überprüfung all dessen, das nicht mehr zukunftsfähig ist, zur Bereitschaft nach kreativer Neugestaltung rief der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD in seiner Rede vor der Diakonischen Konferenz in Rummelsberg auf. In unserem Sozialsystem gehöre vieles auf den Prüfstand - dies war auch als Appell an die große Koalition zu verstehen. Auch die Diakonie habe bereits große Schritte  einer internen Reform hinter sich und arbeite weiter an einer "strategischen Neuaufstellung auf allen Ebenen". "Will sie ein wirksamer sozialpolitischer Akteur bleiben, muss sie die Ziele ihrer Arbeit diskutieren und sich mit ihnen in die Modernisierung des Sozialstaates einmischen: die Ausgangslage für mehr Beschäftigung beeinflussen und sich dem Zielkonflikt zwischen konsumtiver und investiver Sozialpolitik stellen." Diakonie müsse wie bisher "auskunftsfähig über beabsichtigte und unbeabsichtigte Wirkungen der sozialen und politischen Entwicklung" bleiben.
Deshalb werde sie auch künftig an allen relevanten Monitoringprozessen mit den Ministerien teilnehmen.

Als zentrale Forderung benannte der Präsident der Diakonie die Entwicklung eines europatauglichen Gemeinnützigkeitsrechts und "das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht muss modernisiert werden." Als gesellschaftspolitische Problembereiche markierte er die Beschäftigungssituation und die Situation in der Pflege.

"Wir werden einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt brauchen und einen regulären Niedriglohnsektor, so Gohde, der zugleich an die neue Regierung die Aufforderung richtete, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, die Beiträge für die Sozialversicherungen bringen. "Was wir nicht brauchen, sind weitere Minijobs und erhöhte Grundfreibeträge." Es sei "Zeit für eine beschäftigungsorientierte Sozialpolitik, die Bildung und Grundsicherung kombiniert, Teilhabe ermöglicht und das Selbstwertgefühl stärkt. Sie ist ohne die Reform der Institutionen nicht zu haben." Es sei sinnvoller Arbeit als Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Auch bei der Pflegeversicherung stehe dringend eine Reform an. Hauptproblem sei die Frage der Finanzierung. Gohde schlägt eine Mischung aus solidarischer, beitragsfinanzierter Versicherung und sozial abgefederter privater Zusatzversicherung vor. Gelinge diese Lösung nicht, sei ein steuerlich finanziertes System unvermeidbar. Durch die starken Veränderungen im demographischen Bereich ergäben sich auch Veränderungsnotwendigkeiten im
Leistungsgeschehen: mehr niedrigschwellige Assistenzangebote, mehr ambulante Hilfen und eine verbesserte Versorgung für an Demenz erkrankte Menschen." Gohde stellte die Möglichkeit der Schaffung eines speziell konzipierten Fonds in den Raum.

Die Lage der Diakonie selbst stellt sich laut Jürgen Gohde als gekennzeichnet durch eine verschärfte Wettbewerbssituation durch privatgewerbliche und kommunale Anbieter dar und einen gleichzeitigen anhaltenden Rückgang der Finanzierung auf der Ebene von Kirchenkreisen, Kirchenbezirken und Gemeinden.
Bei steigendem Bedarf seien "ganze Felder diakonischer Arbeit in ihrem Bestand gefährdet, die für eine glaubwürdige, an den Lebenslagen armer und benachteiligter Menschen orientierte Diakonie stehen." Dies müsse verhindert werden, so der Diakonie-Präsident, denn: "Keiner darf verloren gehen!"

Da die personalintensive Arbeit in diakonischen Einrichtungen eher steigende Mitarbeiterzahlen fordere als Personalabbau erlaube, plädierte Gohde für ein kircheneigenes Dienstrecht. "Die Verhandlungspartner des TVöD haben mit Sicherheit nicht unsere Interessen im Auge." Es sei derzeit vielmehr die Aufgabe, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ernst zu nehmen  und ein eigenständiges Arbeits- und Tarifrecht für Kirche und Diakonie zu entwickeln.

"Wir sind entschlossen, die eigene Gestaltungskraft wieder zu gewinnen und dabei Lösungen zu finden, die den besonderen Gegebenheiten der Diakonie Rechnung tragen. Sie dürfen in keinem Fall zur Aushöhlung der finanziellen Handlungsfähigkeit der diakonischen Unternehmen führen." Das sei Voraussetzung für mehr und sichere Beschäftigungsverhältnisse und die Anwerbung gut qualifizierter Mitarbeitender in der gegebenen Wettbewerbssituation. "Es geht bei der Reform der Arbeitsvertragsrichtlinie (AVR) im Kern um eine Zukunftsfrage der Diakonie", so Gohde. Die Arbeitsrechtliche Kommission habe bereits gute Arbeit geleistet.

Die Diakonie hat bundesweit 470.000 Mitarbeitende in etwa 27.000 Einrichtungen.
Die diesjährige Diakonische Konferenz findet in den Rummelsberger Anstalten der Inneren Mission E.V. statt, Rummelsberg ist Teil der Gemeinde Schwarzenbruck südöstlich von Nürnberg. Am Dienstagabend wurde die Diakonische Konferenz offiziell mit einem festlichen Gottesdienst in der Philippuskirche in Rummelsberg eröffnet. 

Den Bericht von Präsident Dr. h.c. Jürgen Gohde finden sie ab heute im Internet
unter: www.diakonie.de    

Rummelsberg, 19. Oktober 2005

Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V.
Barbara-Maria Vahl
Pressesprecherin