Es gibt noch eine andere Wirklichkeit

Susanne Büttner ist Gefängnisseelsorgerin in Schwäbisch Gmünd

Evangelische Landeskirche in Württemberg

28. Dezember 2006

Stuttgart/ Schwäbisch Gmünd. Die Arbeit im Gefängnis hat Susanne Büttner bescheiden werden lassen, sagt sie und das ist auch der Grund, warum ihr diese Arbeit gefällt. Manchmal könne es nur darum gehen, Elend zu teilen und die Hoffnung zu haben, es gibt noch eine andere Wirklichkeit, als die im Gefängnis und als die Geschichte der eigenen Schuld. „Gott ist da und ich bin hier nicht verloren“, diese Gewissheit sollten Frauen in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd haben, auch durch ihre Arbeit, sagt Susanne Büttner. Sie ist württembergische Pfarrerin: ihr Schreibtisch, ihr Bücherschrank und auch der Altar, an dem sie am häufigsten steht, befinden sich innerhalb von Mauern und Stacheldraht, in einem modernen, freundlichen Bau auf einem ehemaligen Klostergelände. Gotteszell hieß das Dominikanerinnenkloster früher und so heißt die Justizvollzugsanstalt heute, in der momentan 350 Frauen Haftstrafen zwischen einigen Tagen und mehreren Jahren absitzen- im Höchstfall lautet das Urteil „lebenslänglich“, was in den meisten Fällen ein Minimum von 15 Jahren Haft bedeutet. Einige sind nur für kurze Zeit dort: Abschiebehäftlinge, meist junge Frauen aus allen Teilen der Welt, die zum Beispiel im Zug an der deutschen Grenze keine gültige Ausweispapiere vorweisen konnten und die daraufhin gefangen genommen und nach Gotteszell gebracht worden sind. Sie warten, bis Behörden geklärt haben, was weiter mit ihnen geschehen soll. Von Ferne sieht die Anlage auch heute noch aus wie ein Kloster, schön saniert. Der Haupteingang ist eine schlichte Tür aus Stahl.

„Sie sollen sich ausheulen und frei sprechen können und dabei spüren, man mag sie trotz allem“, das ist das eine, was Susanne Büttner wichtig ist, und: auch die Opfer in den Blick der verurteilten Frauen zu rücken. Frauen gäben sich entweder für „alles“, nicht nur für ihre Straftat die Schuld, oder, so die Erfahrung der Gefängnisseelsorgerin, sie verdrängten und leugneten, was sie getan haben. Oft erst nach Jahren sei es möglich, Mord und Totschlag als ein eigenes Vergehen anzuerkennen. Susanne Büttner: „Ich merke ja bei mir selbst, wie schwer es manchmal schon ist, kleine Fehler zuzugeben“. Zu leugnen sei ein Reflex und auch ein Schutz. „Wenn sie glasklar sähen, was sie getan haben, wären wahrscheinlich manche selbstmordgefährdet.“

Bei allem, was ihre Gesprächspartnerinnen auch an Schuld auf sich geladen haben mögen, Susanne Büttner will, dass sie eine zweite Chance bekommen. Eine Freiheitsstrafe von sieben oder acht Jahren mache in ihren Augen noch Sinn, aber „lebenslänglich“? Die Gesellschaft wolle und brauche das, auch die Angehörigen der Opfer verlangten oft danach. Was die Entwicklungsmöglichkeiten der Täterinnen angeht, bezweifelt Susanne Büttner, dass lebenslange Haftstrafen förderlich wirken: Kaum Privatsphäre, ein vollkommen reglementierter Tagesablauf, sozialer Druck unter den Gefangenen. Gott sühne Mord und Totschlag, sagt Susanne Büttner, Menschen dürften sich zu ihren Straftaten stellen, weil sie die Schuld nicht alleine tragen müssten.

Dass Sinn hat, was sie macht, spürt Susanne Büttner fast jeden Tag: „Ich kriege viel Kraft durch die Frauen, es gibt so viele herzliche Situationen, sie bringen mir so viel Vertrauen entgegen“. Deshalb ist der Pfarrerin die Arbeit noch lange keine Last. Aber eine andere Frage stelle sich ihr öfter: die nach der eigenen Ohnmacht. Die Pfarrerin sieht Frauen vor der Entlassung stehen mit guten Vorsätzen und zugleich mit der Ahnung, sie werden es auch beim zweiten Versuch nicht schaffen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Weil Drogen stärker sind, weil die eigene Vergangenheit zu schwer wiegt, nicht nur die eigene Schuld, sondern die Verletzungen, die Täterinnen zugefügt worden sind, bevor sie zu Täterinnen wurden. „Es sind nicht nur Täter- es sind meist auch Opfergeschichten“, sagte Susanne Büttner. Missbrauch und Misshandlung führe Mädchen fast zwangsläufig in Abhängigkeiten als Frauen, von Drogen, von Männern. „Das will ich mit ihnen aushalten“, sagt sie. Was in der jetzigen Lebenssituation schrecklich, bruchstückhaft und vergeblich aussehen mag, fügt sich in einer anderen Wirklichkeit zu etwas Erstaunlichem. Dessen ist sich Susanne Büttner sicher.

Evangelische Kirche in Württemberg
Amt für Information
Astrid Günther

28. Dezember 2006