„Probleme sind erkannt“

Kirchenpräsident Steinacker reagiert auf „Baby-PISA-Studie“

Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

Zur jüngst vorgestellten Studie der OECD mit dem Titel „Die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland“, vielfach als „Baby-PISA-Studie“ bezeichnet, hat sich der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Dr. Peter Steinacker geäußert. Die EKHN unterhält in ihrem Kirchengebiet über 600 Kindertagesstätten (Kitas) und ist damit in Hessen größter Anbieter von Kita-Plätzen.

Evangelische Bildung meint Einheit von Erziehung, Bildung und Betreuung

Die Kurzbezeichnung „Baby-PISA-Studie“ sei irreführend, so Steinacker, denn die von der OECD vorgelegte Studie habe ein anderes Konzept als die PISA-Studie. Es gehe nicht um den internationalen Leistungsvergleich. Die Studie sei vielmehr eine „wohltuend umfassende Analyse des Gesamtsystems der Kindertagesbetreuung in Deutschland“. Die qualitative Studie beschränke sich auf zehn Kitas, von denen keine der EKHN angehöre. Gewürdigt werde die „lange Tradition deutscher Pädagogik, die „Betreuung, Bildung und Erziehung als Einheit“ gesehen habe. „Genau das ist der Ansatz evangelischer Pädagogik, die die EKHN gegen ein einseitiges Bildungskonzept der Wissensvermittlung verteidigt“, sagte Steinacker.

Das OECD – Team würdige zudem die seit dem Pisa-Schock eingesetzten Diskurse um das frühkindliche Lernen, die Nationale Qualitätsinitiative, den Diskussionsprozess um die Ausbildung und Weiterbildung von Fachkräften, um altersgemischte Gruppen und die Integration von Kindern mit Behinderungen. Nicht überall sei dies schon in der alltäglichen Praxis angekommen.

Qualitätsstandards in Gefahr, Migrationskinder benachteiligt

Steinacker wies darauf hin, dass die Kirchen seit Jahren die von der Studie geforderten bundeseinheitlichen Standards anmahnten. Realität sei, dass es Standards nicht einmal im Gebiet der EKHN gebe, schon hessische und rheinland-pfälzische Kindertagesstätten arbeiteten unter unterschiedlichen personellen, konzeptionellen und finanziellen Rahmenbedingungen. Steinacker äußerte die Hoffnung, dass die Studie Bewegung in die schwierigen Debatten um die Finanzierung der Kindertagesstätten bringen werde. Es gebe in den alten Bundesländern deutlich zu wenige Plätze für unter Dreijährige. Dafür müsse die Politik die Rahmenbedingungen besser gestalten. Vorbild seien hier die neuen Länder. Es könne auch nicht zufrieden stellen, dass von der Finanzkraft der Eltern oder einer Kommune abhänge, wie viele Stunden am Tag ein Kind eine Kita besuchen könne, und dass Kinder von Migrationskindern generell im deutschen Bildungssystem schon von der Kita ab benachteiligt seien.

Für eine bessere Ausbildung

Mit ihrer Forderung nach Studienabschlüssen für Erzieherinnen und Erzieher, berücksichtige das OECD-Team allerdings nicht, so Steinacker, dass in vielen Ländern das Niveau solcher Studienabschlüsse deutlich unter dem in Deutschland liege. Trotzdem liege die Studie richtig, wenn sie die Anhebung des Ausbildungsniveaus und ein höhere Bezahlung der Erzieher und Erzieherinnen fordere. Allerdings sei es derzeit für die EKHN schon schwierig, vielen zuständigen Kommunen gegenüber überhaupt den aus Sicht der EKHN erforderlichen Umfang von Fachpersonal plausibel zu machen, gab Steinacker zu bedenken. Von ihrem Standard weiche die EKHN trotz teilweise großen Widerstands nicht ab. Steinacker äußerte dabei Verständnis für die Finanznot der Kommunen. Sie brauchten den Rückenwind der Gesellschaft, die zukünftig dem Kita-Bereich eine größere Bedeutung beimessen müsse.

Der Perspektivwechsel ist vollzogen

Zur Recht, so Steinacker, fordere die OECD-Studie mehr Qualität in der pädagogischen Arbeit der Kitas. „Die Probleme sind erkannt“, sagte Steinacker wörtlich und wies darauf hin, dass die EKHN schon seit Anfang der 90er Jahre den in der Studie angemahnten Perspektivwechsel von der Aufbewahrung der Kinder zu einer „zur ganzheitlichen Bildung, Erziehung und Betreuung“ eingeleitet habe. Trotz knapper Kassen habe die EKHN in diesem Jahr die Entscheidung zum personellen Ausbau der Fachberatung getroffen. Das Diskussionspapier „Zur elementaren Bildung im Kindergarten und zum Übergang vom Kindergarten zur Schule“, das die EKHN zusammen mit den katholischen Bistümern und dem Diakonischen Werk im Februar 2004 herausgegeben habe, bündele diesen Perspektivwechsel. Es korrespondiere mit der Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Titel „Wo Glaube wächst und Leben sich entfaltet, der Auftrag evangelischer Kindertagsstätten“. Damit seien vorausschauend richtige Weichen gestellt worden.

Die Kernthesen der OECD-Studie

Die OECD-Studie gibt im Wesentlichen neun Empfehlungen:

- Die Altersspanne von 0 – 10 Jahren als eine Einheit zu betrachten und an der Einheit von Erziehung, Bildung und Betreuung festzuhalten.

- Veränderungen langfristig, strategisch und nachhaltig zu planen.

- Ausbau der Steuerungskompetenzen des Bundes.

- Sicherung und Ausbau der öffentlichen Finanzierung der Kindertagesbetreuung.

- Teilhabe von Kindern mit besonderen Lernbedürfnissen, darunter auch der Migrationskinder, sichern

- Ausbau von Unterstützungssystemen (Fachberatung und Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen)

- Anhebung der Ausbildungsstandards, höhere Bezahlung

- Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kitas und Schulen bei Wahrung der Eigenständigkeit

- Ausbau der Forschung und des internationalen Austauschs.

Darmstadt, 6. Dezember 2004

Stephan Krebs
Pressesprecher