EKHN würdigt Bonhoeffer zum 100. Geburtstag

Leitendes Geistliches Amt: Heiligengedenken ja, Heiligenverehrung nein

Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

26. Januar 2006

Datenbank weist auf 100 Jubiläumsveranstaltungen hin

Anlässlich seines 100. Geburtstag am Samstag, dem 4. Februar 2006, würdigt die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Dietrich Bonhoeffer. Der evangelische Pfarrer war als Mitglied der Widerstandsgruppe des 20. Juli gegen das NS-Regime kurz vor Kriegsende hingerichtet worden. Insbesondere am Wochenende des Jubiläums, aber auch weit davor und danach, bieten viele Gemeinden und Einrichtungen der EKHN eine Fülle von regionalen und lokalen Veranstaltungen an. Zu ihnen zählen Konzerte, Filmvorführungen, Jugendfreizeiten, Informations- und Diskussionsabende sowie Erinnerungsgottesdienste. Unter www.ekhn.de/bonhoeffer gibt eine Datenbank im Internet darüber Auskunft und bietet Informationen über Leben, Werk und Denken Bonhoeffers, darunter auch über sein wenig bekanntes Auftreten im heutigen Hessen, sowie über das Schicksal NS-kritischer Pfarrer in der EKHN.

In einem eigenen „Wort zum 100. Geburtstag Dietrich Bonhoeffers“ begrüßt das Leitende Geistliche Amt der EKHN (LGA) die „vielfältigen Veranstaltungen“ zu diesem Anlass. Der Wortlaut des sechs Seiten umfassenden Textes ist ebenfalls unter www.ekhn.de/bonhoeffer zu finden.

LGA: „Mut zur Verantwortung in schwerer Zeit“

In seinem Wort, das unter dem Titel „Mut zur Verantwortung in schwerer Zeit“ steht und auch aktuelle Bezüge herstellt, hebt das LGA die große persönliche, historische und theologische Leistung Dietrich Bonhoeffers hervor. „Getragen von der Gewissheit des Glaubens“ habe Bonhoeffer „in einem unmenschlichen Staatssystem unter Einsatz seines Lebens politischen Widerstand geleistet und dabei Verfolgung und einen gewaltsamen Tod“ nicht gescheut.

Ausdrücklich hebt das LGA hervor: „Als einer der wenigen deutschen Kirchenvertreter hat Dietrich Bonhoeffer das Unrecht an den Juden in Deutschland damals öffentlich gemacht.“  Daraus habe die EKHN ihre Lehren gezogen und ihren Grundartikel 1992 um die Aussage ergänzt: „Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bezeugt die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.“

LGA wendet sich gegen Personenkult und Idealisierung

Im Blick auf Ehrentitel Bonhoeffers wie „Märtyrer“ und „Heiliger“ zitiert das LGA mit dem Augsburger Bekenntnis von 1530 die zentrale Bekenntnisschrift der Evangelischen Kirche. Sie betont, „dass man der Heiligen gedenken soll“, denn ihr Glaubenszeugnis sei wichtig für die Kirche. Evangelische könnten Bonhoeffer also als eines Heiligen gedenken, ihn aber nicht anrufen oder Hilfe bei ihm suchen. Damit sei, ganz im Sinne Bonhoeffers selber, „jeder Form des Personenkultes und der Idealisierung Einzelner“ ein Absage zu erteilen.

Religion nicht vor einen politischen Karren spannen/Über das persönliches Glück

Zur aktuellen Bedeutung Bonhoeffers schreibt das LGA wörtlich: „Dietrich Bonhoeffer würde sich gegen jeden Versuch wehren, die Religion vor einen politischen Karren zu spannen. Jeglichem fundamentalistischen Missbrauch des christlichen Glaubens würde er entgegentreten. Und er würde auch davor warnen, die Wahrheit des Evangeliums Jesu Christi einfach in einer religiösen Welle aufgehen zu lassen.“

Heute sei insbesondere Bonhoeffers Einstellung „provozierend“, dass für ihn „das persönliche Leiden“ ein „tauglicherer Schlüssel“ zur Erschließung der Welt sei als „persönliches Glück“. Für Bonhoeffer habe sich „wahres Christsein“ als „Teilnahme am Leiden Gottes in und an der Welt“ gezeigt.

Zur Person Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer wurde am 4. Februar 1906 in Breslau als sechstes von acht Kindern geboren. Mit 17 Jahren nahm er sein Theologiestudium in Tübingen auf. Im Alter von 21 Jahren promovierte er in Berlin. Nach seinem ersten Examen 1928 begann sein Lehrvikariat in Barcelona. Zwei Jahre später habilitierte er sich. Mittlerweile Privatdozent in Berlin, reiste er 1930 im Rahmen eines Studienjahres nach New York. Danach arbeitete er als Studentenpfarrer in Berlin. Dabei kam er auch auf das Gebiet der heutigen EKHN, als er vom 12. bis 14. Juli 1932 in Westerburg eine deutsch-französische Regionalkonferenz des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen leitete. Im Oktober 1933 wurde er Pfarrer zweier Gemeinden in London.1934 vertrat er die evangelische Kirche auf der ökumenischen Konferenz in Fanö, bei der er die deutsche Jugenddelegation führte. 1935 wurde er Direktor des Predigerseminars der Bekennenden Kirche. 1940 wird das bereits 1937 polizeilich geschlossene, von Bonhoeffer jedoch illegal weitergeführte Predigerseminar in Finkenwalde endgültig geschlossen, Bonhoeffer erhielt Rede- und Schreibverbot. Im gleichen Jahr bekam er über seinen Schwager Hans von Dohnanyi Kontakt zum politisch-militärischen Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime. Als Verbindungsmann der militärischen Abwehr reiste Bonhoeffer nach Norwegen, Schweden und in die Schweiz, um für Admiral Canaris Kontakte zwischen westlichen Regierungen und dem deutschen Widerstand zu knüpfen. Im Anschluss an das Attentat auf Hitler durch Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 wurde Bonhoeffer verhaftet und am 9. April 1945 auf Befehl Hitlers im KZ Flossenbürg hingerichtet. Seine nachgelassenen Werke, Bücher und zahlreichen Briefe, die nach dem Krieg von seinem ehemaligen Mitarbeiter in Finkenwalde und Freund Eberhard Bethge herausgegeben wurden, haben Dietrich Bonhoeffer zu einem der bekanntesten und am meisten zitierten Theologen in Deutschland gemacht.

Darmstadt, 26. Januar 2006

Stephan Krebs
Pressesprecher