Chancen für eine aktive Teilhabe aller an der Gesellschaft

Statement von Diakonie-Präsident Jürgen Gohde

Diakonisches Werk der EKD (DW)

Die Bundesregierung hat heute ihre Vorschläge zur Grundsicherung für Arbeitssuchende und das neue Sozialhilferecht vorgelegt. Wir begrüßen, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes II (ehemals Arbeitslosenhilfe) und der Sozialhilfe darin nach einheitlichen Grundsätzen bemessen wird. Als Grundlage für die Berechnung ist das sogenannte Statistikmodell nötig. Danach orientieren sich die Leistungen nicht an einem fiktiven Warenkorb, sondern an dem, was untere Einkommensgruppen laut Statistik tatsächlich verbrauchen. An der Höhe und Ausgestaltung der Regelsätze muss weiter gearbeitet werden. Ziel ist dabei, dass bei der Berechnung der Leistungshöhe der Bedarf der Hilfesuchenden gedeckt wird.

Hilfebedürftige Menschen müssen sich auch künftig auf die Sozialhilfe als letztes tragfähiges Auffangnetz verlassen können. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger wird stark abnehmen, sobald die neue Grundsicherung die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger und deren Angehörige absichert. Dies bietet die Chance, das Profil des Bundessozialhilfegesetzes in seinem wesentlichen Kern zu stärken: als persönliche, individuell zugeschnittene Hilfe und Beratung, die Eigenverantwortung fördert und Hilfen gewährt, wo eigene Hilfsmöglichkeiten nicht ausreichen. Die Sozialversicherungen müssen armutsfest gemacht werden.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass künftig jede und jeder Erwerbsfähige umfassend von einem JobCenter Leistungen erhalten kann und den Beziehern der Grundsicherung alle aktiven Maßnahmen der Arbeitsförderung offen stehen. Der angestrebte Betreuungsschlüssel von 1:75, das heißt ein Arbeitsamtmitarbeitender betreut 75 Arbeitssuchende, wird die Qualität der Beratung und somit auch die Chancen auf eine Integration in den Arbeitsmarkt zusätzlich erhöhen. Damit diese neuen Chancen auch genutzt werden können, bedarf es einer angemessenen finanziellen Ausstattung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, unter anderem der öffentlich geförderten Beschäftigung, Qualifizierung, Fort- und Weiterbildung. Das beste Beratungssystem kann fehlende Arbeitsplätze nicht ersetzen.

Das neue System kann nur im Zusammenwirken von öffentlichen und freien Trägern funktionieren. Dafür ist sowohl die verbindliche Einbeziehung der Kommunen zu klären als auch die Ausgestaltung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Freien Wohlfahrtspflege zu verbessern. Wir wollen auch weiterhin tun dürfen, was wir können.

Das Ziel der Sozialhilfe ist die gesellschaftliche Integration. An dieser Zielsetzung muss uneingeschränkt festgehalten werden. Der Sozialhilfe liegt ein ganzheitliches Hilfekonzept zugrunde. Dieses darf im Sinne des Lebenslagenansatzes nicht auf unkoordinierte Einzelleistungen reduziert werden. Es muss darüber hinaus sichergestellt bleiben, dass jeder Mensch einen Anspruch auf Hilfe hat mit dem Ziel, in Würde und gesellschaftlich integriert zu leben. Auf diese Hilfen müssen nachrangig auch Bezieher der Grundsicherung einen Anspruch haben. Dies gilt insbesondere für soziale Beratungs- und Betreuungsdienste. Sie sind die wesentlichen Elemente einer sozialen Infrastruktur und keine Kann-Leistungen, die man je nach Haushaltslage vorhalten kann oder einstellen darf.

Der Gesetzentwurf zum Sozialgesetzbuch Zwölf (SGB XII) erkennt die gesellschafts- und ordnungspolitische Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege und der Kirchen für eine funktionstüchtige soziale Daseinsvorsorge an. Die entsprechenden Formulierungen sollten gleichermaßen in den Entwürfen zum SGB II und SGB III aufgenommen werden.

Die notwendige Reform muss zügig, aber nicht überhastet erfolgen. Viele Fragen bleiben offen. Schnittstellen zu anderen Sozialgesetzen müssen sauber bearbeitet werden. Im Rahmen der Gesundheitsreform und der Diskussion um die Pflegeversicherung dürfen keine Löcher im sozialen Netz entstehen. Modell- und Erprobungsphasen machen sicher nicht nur beim persönlichen Budget, das wir im Grundsatz begrüßen, Sinn.

Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) hat sich in vierzig Jahren als ein überaus wirksames Instrument der Armutsbekämpfung erwiesen. Es ist in einem breiten öffentlichen Diskurs gestaltet worden und hat das Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung ausgelegt und wesentliche Impulse zu Teilhabe, Hilfe zur Selbsthilfe, Subsidiarität, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit gegeben. Die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz ist und bleibt unverzichtbare Staatsaufgabe. Wir wollen weiterhin unseren Beitrag dazu leisten, Integration zu fördern, Armut zu vermeiden und ein Leben in Achtung und Würde möglich machen. Das neue SGB XII muss in diesem Zusammenhang neue und verlässliche Impulse für eine aktive Bürgergesellschaft vermitteln.

Berlin, 13. August 2003

Miguel-Pascal Schaar
Pressesprecher