Kirche macht Zukunft in Wittenberg

EKHN-Kirchenpräsident Steinacker und Propst Rink würdigen EKD-Initiative

Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

26. Januar 2007

Die kleine Lutherstadt Wittenberg wurde vom Sturm "Kyrill" arg zerzaust. Die 300 Kirchendelegierten konnten wegen des nach einem orthodoxen Bischof genannten Sturmtiefs nicht in der traditionsreichen Schlosskirche, in der Reformator Martin Luther über 2000 Mal gepredigt hat, Gottesdienst feiern: "Kyrill" hatte eine Turmspitze und Balken ins Kirchendach geschlagen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist Wind im Gesicht aber gewohnt. Beim Zukunftskongress "Kirche der Freiheit", der am vergangenen Donnerstag begann, war die Stimmung hervorragend. Eine Mischung aus Mut und Besonnenheit. Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Dr. Wolfgang Huber, sagte vor Pressevertretern, es gelte zu klären, was im 21. Jahrhundert bedeute, evangelisch zu sein. Der Aufbruch der Kirche geschehe durchaus spirituell und mache sich am Gottesdienst und an geistlicher Erneuerung fest. Die Beschäftigung mit den Kernkompetenzen der Kirche sei kein Abwenden von der gesellschaftlichen Verantwortung. Es komme auf die "Erkenntnis" von Schwerpunkten an.

Die EKD hatte im Sommer 2006 ein "Impulspapier" "Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert" publiziert, in dem nach einer selbstkritischen Analyse, zwölf "Leuchtfeuer" Zukunftsvisionen für die Kirche beschreiben: Dass die Zahl der Kirchenmitglieder entgegen dem Trend wachsen möge und mit sogenannten "Profilgemeinden" Jugendliche oder andere Zielgruppen besser angesprochen werden können. Der klassischen Ortsgemeinde würden also milieuorientierte Gemeinden für bestimmte Alters- oder Interessengruppen zu Seite gestellt.

Am ersten Abend der Tagung lieferte Huber dann in der Stadtkirche St. Marien seinen mit Spannung erwarteten Vortrag "Evangelisch im 21. Jahrhundert" ab. In präzisen Formulierungen beschrieb der Bischof Freiheit als ein Grundanliegen des Protestantismus. "Die "ewigliche Freiheit" eines Christenmenschen werde durch Gott und seine Wahrheit verbürgt, nicht durch "unsere Fähigkeiten, Finanzen und Freunde. Die Kernkompetenz der Kirche, so Huber, liege im gottesdienstlichen Handeln und im geistlichen Leben. "Der christliche Glaube, das Zeugnis der Freiheit, lässt sich nicht in die Mauern der Kirche einsperren", verdeutlichte er sodann im Blick auf ein öffentliche Christentum. Heute müsse die Kirche wieder missionarisch ausgerichtet werden, und die einzelnen Christen müssten im Alltag auskunftsfähig sein. Gegen innerkirchliche Kritik an dem Papier gerichtet, sagte der Ratsvorsitzende dann, die Kirche müsse den "Sorgengeist" hinter sich lassen und mehr der Zukunft das Wort geben. Ganz in dieser Absicht hatten die Veranstalter dafür gesorgt, dass mehr von Hoffnungen, als von Sorgen die Rede war. Ein junger Mann hatte zu Beginn den Wunsch an die Versammelten gerichtet, dass seine Kirche eine Institution der "Vielfalt" bleibe. Er wolle, "dass wir nicht an unsere eigenen Besitzstände denken".

Im Fortgang des Kongresses debattierten die Delegierten aus den 23 Landeskirchen das EKD-Impulspapier. Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Professor Dr. Peter Steinacker, lobte auf Nachfrage die Debatte der zahlreichen in der Kirche ehrenamtlich Tätigen. "Das ist evangelisches Profil", urteilte der erste Kirchenmann der EKHN. Wesentlich sind für Steinacker Bildungsfragen. Für die Pfarrerschaft müssten Qualitätsmerkmale gelten, aber gleichzeitig solle die Wertschätzung für die Arbeit der Pfarrer nicht nachlassen. "Wir brauchen eine klassisch gebildete Pfarrerschaft, meinte Steinacker. Konkret werde derzeit über die Zusammenarbeit der beiden evangelischen Akademien in Hessen in Arnoldshain/Taunus und Hofgeismar nachgedacht. Die EKHN sei bei der Verlagerung von Entscheidungen auf die "mittlere Ebene" der kirchlichen Regionen bereits sehr erfolgreich und damit ein Vorreiter. Kritisch sehe er, wenn das Papier einen höheren Gottesdienstbesuch von 10 Prozent der Evangelischen fordere. Das sei wahrscheinlich sehr anspruchsvoll.   

Propst Dr. Sigurd Rink sagte, die Rede von Wolfgang Huber sei eine große programmatische Rede gewesen. Die Landeskirchen, auch die EKHN, müsse nun an der Vision arbeiten. Wenn das Papier einen höheren Gottesdienstbesuch fordere, dann könne das nur in anderen Gottesdienstformen und der Stärkung von vorhandnen kirchlichen Orten liegen. Für sehr wichtig hält der Rink, der Propst für Süd-Nassau, die Aus- und Fortbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer. Ziel müsse deren höhere Ausstrahlung sein. Lernen muss in der Kirche als ein "Life long Learing" (lebenslanges Lernen) verstanden werden. Deshalb plane die hessen-nassauische Kirche 5% der Haushaltsausgaben dafür aufzuwenden, etwa doppelt so viel wie bisher. Zu einer größeren Deutlichkeit kirchlicher Voten, sollten die geistlich-theologischen Äußerungen des kollegialen Bischofsamtes in der EKHN führen. Also eine Stärkung des Leitenden Geistlichen Amtes, dem Rink selbst angehört.

Reaktionen gab es auch von dem Bad Sodener EKD-Ratsmitglied Marlehn Thieme. Bildung und Sprache gehörten zu den aktuellen Anfragen an die Kirche. Es gelte die Sehnsucht der Menschen zu suchen, ihre Sehnsucht zur  Freiheit als Mensch. Sie sei sicher, dass der Kongress zu einer Beschleunigung des Reformprozesses führen werde. "Es gibt einen gemeinsamen Geist von Wittenberg, der die Kirche trägt", meinte die Bankdirektorin, die das einzige hessische EKD-Ratsmitglied ist und den Kongress mit vorbereitet hat.

Zur Information: Öffentliche Stimme der Protestanten

Der Rat der EKD, das 15-köpfige Beratungsorgan mit seinem Vorsitzenden, dem Berliner Bischof Dr. Wolfgang Huber, ist so etwas, wie die öffentliche Stimme der Protestanten. Der Rat hat den Zukunftskongress "Kirche der Freiheit" bewusst in die Lutherstadt Wittenberg gelegt. Hier begann 1517 die Reformation, als Martin Luther seine 95 kirchenkritischen Thesen ans Portal der Schlosskirche geschlagen haben soll (der Thesenanschlag ist historisch nicht gesichert, aber die Veröffentlichung in Wittenberg). Heute sind die reformatorischen Forderungen auf die bronzenen Eingangstüren gegossen.