Auf europäischer Ebene präsenter denn je

Vom 12. bis 18. September tagt Vollversammlung in Budapest

Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)

22. August 2006

GEKE-Präsidiumsmitglied Prof. Dr. Michael Beintker (Münster) würdigt Rolle der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa – Konsultationen mit Orthodoxen und Anglikanern als Zeichen des gewachsenen Ansehens auch in der Ökumene – Lehrgespräche fortsetzen und sozialethische Arbeit weiter stärken – Vollversammlung der GEKE vom 12. bis 18. September in Budapest befasst sich auch mit der Ausbildung des Theologennachwuchses

In ihren Bemühungen, die protestantische Stimme auf europäischer Ebene zu stärken, ist die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) – Leuenberger Kirchengemeinschaft „ein erhebliches Stück vorangekommen“. Diese Einschätzung vertrat Prof. Dr. Michael Beintker (Münster), Mitglied des dreiköpfigen Präsidiums der GEKE und einer der Stellvertreter der geschäftsführenden Präsidentin Prof. Dr. Elisabeth Parmentier (Straßburg), in einem Interview. Die GEKE sei auf europäischer Ebene präsenter als je zuvor. Beintker, der in Münster das Seminar für Reformierte Theologie leitet. So habe die Gemeinschaft viel beachtete Stellungnahmen etwa zur Arbeit des EU-Konventes über die Zukunft Europas, zur Erweiterung der EU sowie zum Verfassungsentwurf für Europa abgegeben. Auch habe die grenzüberschreitende Zusammenarbeit benachbarter Kirchen eine „neue Qualität“ bekommen. Positiv ausgewirkt habe sich auch die Umbenennung im Jahre 2003 in „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“. „Es sollte im Namen zum Ausdruck kommen, wer wir sind“, begründete Prof. Beintker diesen Schritt. Die Umbenennung sollte aber auch der gewachsenen Vertiefung und Gestaltwerdung dieser Kirchengemeinschaft Ausdruck geben. Dass in den vergangenen vier Jahren sowohl die orthodoxen Kirchen als auch die Anglikaner zu ökumenischen Konsultationen mit der GEKE bereit gewesen seien, wertet Beintker auch als Hinweis auf das Ansehen, das die GEKE inzwischen in der Ökumene genieße.

Von der vom 12. bis 18. September im Budapest tagenden Vollversammlung der GEKE erwartet der Theologieprofessor „deutliche Impulse für das Zusammenleben der Völker Europas“. Das Treffen steht unter dem Motto „Gemeinschaft gestalten – Evangelisches Profil in Europa“. Kontinuierliche Lehrgespräche seien ein wichtiges Charakteristikum der GEKE und würden es auch bleiben. Daneben sei die sozialethische Arbeit weiter zu stärken. Bereits die letzte Vollversammlung 2001 in Belfast habe es als „dringlich erachtet, die theologischen und die ethischen Aspekte und die humanitären Konsequenzen politischer Entscheidungen aus der Sicht des Evangeliums zu erörtern und die gewonnenen Erkenntnisse in der europäischen Öffentlichkeit zur Sprache und zu Gehör zu bringen“. Von „großer Bedeutung“ sei auch die Pflege einer „gemeinsamen evangelischen Spiritualität“. „Die überraschend starke Nachfrage nach einem Gesangbuch der GEKE zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Auf der Vollversammlung stehen auch Bildungsfragen auf der Tagesordnung. „Wir streben eine Verständigung über die Grundsätze und Wege der Ausbildung von Pfarrern und Pfarrerinnen in den Mitgliedskirchen der GEKE an“, beschreibt Beintker das Ziel der Beratungen. Die Ausstrahlung des Protestantismus werde maßgeblich von der Qualität der theologischen Ausbildung beeinflusst. Das Bemühen um ein Studium evangelischer Theologie, das diese Ausstrahlung ermögliche und fördere, sei ein wichtiger Beitrag der evangelischen Christenheit zu Zeugnis und Dienst der evangelischen Kirchen und zur spirituellen und geistigen Kultur im Europa von morgen.

Hannover, 22. August 2006

Udo Hahn
Pressesprecher


Das Interview im vollen Wortlaut:

Frage: Herr Professor Beintker, Sie gehören dem Präsidium der GEKE seit der letzten Vollversammlung an und haben die Geschicke dieses Zusammenschlusses protestantischer Kirchen mit bestimmt. Wie lautet Ihr persönliches Fazit?

Michael Beintker: Wir haben alles in unseren Kräften Stehende unternommen, um den auf der Vollversammlung in Belfast gesteckten Zielen gerecht zu werden. Das war eine sehr anspruchsvolle und zugleich schöne Aufgabe. Wir haben intensiv gearbeitet. Noch nie war zwischen zwei Vollversammlungen so viel gleichzeitig zu leisten. Wenn dann jedoch deutlich wird, was die protestantischen Kirchen Europas miteinander verbindet und wie sich ihre Gemeinschaft von Vollversammlung zu Vollversammlung spürbar intensiviert, so ist das beglückend. Mir persönlich war es besonders wichtig, dass die durch die Leuenberger Konkordie im Jahre 1973 gesetzten theologischen Impulse immer wieder neu zur Geltung kommen. Die theologischen Lehrgespräche waren und sind das eigentliche Rückgrat der Gemeinschaft.

Frage: Die letzte Vollversammlung hat gefordert, die protestantische Stimme in Europa zu stärken. Wurde dieses Ziel erreicht?

Michael Beintker: Wir sind zweifellos ein ganz erhebliches Stück vorangekommen. Die Gemeinschaft ist auf der europäischen Bühne präsenter, als sie es jemals war. Zu maßgeblichen europäischen Themen – ich denke an die Arbeit des EU-Konvents über die Zukunft Europas, an die Erweiterung der EU oder an den Verfassungsentwurf für Europa – hat es beachtliche und beachtete Stellungnahmen gegeben. Seit 2004 hat die GEKE eine Adresse in Brüssel, wo sie durch ihren Vertreter bei der Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen präsent ist. Die Internetseite der GEKE ist mit ihrer Kommunikationsplattform zu einem wichtigen Forum des europäischen Protestantismus geworden. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit benachbarter Kirchen hat eine neue Qualität erreicht. Die Entwicklung von tragfähigen Konzepten für die künftige Zusammenarbeit war ein Schwerpunkt dieser Arbeitsperiode. Für die Vollversammlung in Budapest wurde eine Projektstudie vorbereitet, die bemerkenswerte institutionelle und organisatorische Vorschläge zur künftigen Gestalt der GEKE zur Diskussion stellen wird.

Lassen Sie mich aber noch dies hinzufügen: Zuerst muss es uns immer darum gehen, dass das von unseren Stimmen oft so stimmlos gemachte Evangelium eine Stimme erhält und das allem menschlichen Handeln vorausgehenden Handeln Gottes bezeugt wird. Unsere zentrale Frage muss also darin bestehen, wie das Evangelium der Rechtfertigung des Gottlosen allein aus Glauben zu den Menschen des 21. Jahrhunderts kommt. Ob die evangelische Stimme in Europa gehört wird, hängt wesentlich davon ab, wie die Stimme des Evangeliums in Europa gehört werden kann.

Frage: Nach der letzten Vollversammlung hat sich die Leuenberger Kirchengemeinschaft in Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa umbenannt. Haben sich die Erwartungen, durch den neuen Namen deutlicher wahrgenommen zu werden, erfüllt?

Michael Beintker: Die Umbenennung sollte zunächst für Klarheit sorgen. Es sollte im Namen zum Ausdruck kommen, wer wir sind. Diese Erwartung hat sich uneingeschränkt erfüllt. Man musste vor 2003 – dem Jahr, in dem anlässlich des 30. Jahrestages der Leuenberger Konkordie die Umbenennung vorgenommen wurde – kirchengeschichtliches und geographisches Spezialwissen entfalten, wenn man jemandem hier in Europa und erst recht auf der Welt erklären wollte, was sich hinter der Leuenberger Kirchengemeinschaft verbirgt. Die Umbenennung sollte aber auch der gewachsenen Vertiefung und Gestaltwerdung unserer Kirchengemeinschaft Ausdruck geben. Ich meine, dass auch dies wahrgenommen und geschätzt wird. Die erfreuliche Tatsache, dass in den vergangenen vier Jahren sowohl die orthodoxen Kirchen als auch die Anglikaner zu ökumenischen Konsultationen mit uns bereit gewesen sind, ist auch ein Hinweis auf das Ansehen, das die Gemeinschaft inzwischen in der Ökumene genießt.

Frage: Was erwarten Sie sich von der Vollversammlung in Budapest?

Michael Beintker: Die Vollversammlung steht unter dem Thema „Gemeinschaft gestalten – Evangelisches Profil in Europa“. Damit setzt sich zweifellos die Dynamik des Aufbruchs fort, die für die Vollversammlung von 2001 bestimmend war. Die Delegierten werden wegweisende Entscheidungen für die Gestalt der Gemeinschaft und ihren zukünftigen Weg zu treffen haben. Zugleich erhoffe ich mir deutliche Impulse für das Zusammenleben der Völker Europas. Wir dürfen nie vergessen, dass sich Zeugnis und Dienst der reformatorischen Kirchen dieses Kontinents zuallererst an die Menschen richten, die in Europa leben, die geprägt sind von der ebenso erfolgreichen wie leidvollen Geschichte dieses Kontinents und nun erwartungsvoll und skeptisch zugleich an die Gestaltung ihrer Zukunft denken. Eine Metropole wie Budapest, an der sich die europäischen Erfahrungen in markanter Weise bündeln und überkreuzen, kann reichlichen Anschauungsunterricht dafür bieten, wo und wie die evangelischen Kirchen im heutigen Europa gefordert sind. Die Projektstudie „Evangelisch evangelisieren“ zum missionarischen Auftrag der Kirchen in Europa wird hier sicher vielbeachtete Akzente setzen.

Frage: Was sind aus ihrer Sicht die Zukunftsaufgaben der GEKE?

Michael Beintker: Die GEKE bietet mit der Leuenberger Konkordie ein tragfähiges Modell für die Kirchengemeinschaft konfessionsverschiedener Kirchen. Da bei der Gemeinschaft von inzwischen 105 Unterzeichnerkirchen durchaus auch mit Kommunikations- und Interaktionsproblemen zu rechnen ist, muss dieses Modell immer wieder neu bewährt werden. Dem kommt die geplante Stabilisierung und Verfestigung der organisatorischen Strukturen und Arbeitsabläufe entgegen.

Kontinuierliche Lehrgespräche sind ein wichtiges Charakteristikum und werden es bleiben. Den Delegierten in Budapest werden unter anderem Projektskizzen für Lehrgespräche zu den Themenfeldern „Schrift – Bekenntnis – Kirche“, „Amt, Ordination und Episkopé nach evangelischem Verständnis“, „Kirchliche Lehre und Bekenntnisbildung zu sozialethischen Fragen“ vorliegen. Die Themen zeigen, wo in erster Linie konzentriert weitergearbeitet werden muss.

Die sozialethische Arbeit ist weiter zu stärken. Bereits in Belfast wurde es als dringlich erachtet, die theologischen und die ethischen Aspekte und die humanitären Konsequenzen politischer Entscheidungen aus der Sicht des Evangeliums zu erörtern und die gewonnenen Erkenntnisse in der europäischen Öffentlichkeit zur Sprache und zu Gehör zu bringen.

Von großer Bedeutung ist die Pflege einer gemeinsamen evangelischen Spiritualität. Die überraschend starke Nachfrage nach einem Gesangbuch der GEKE zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die hohe Frequentierung der Liturgie-Seite unserer Internet-Plattform macht uns darauf aufmerksam, was wir im gottesdienstlichen Leben voneinander lernen können. Mittelfristig ist ein gemeinsames Gottesdienstbuch der GEKE-Kirchen denkbar.

Schließlich müssen wir an den bevorstehenden Generationswechsel denken. Die Generation derer, die den bisherigen Weg der GEKE miterlebt und gestaltet hat, wird sich – altersbedingt – zunehmend aus der aktiven Verantwortung zurückziehen. Man muss klar sehen, dass die heutige theologische Jugend Europas die künftigen Geschicke der GEKE gestalten wird. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Initiative zur Gründung eines Arbeitskreises junger Ökumeniker und Ökumenikerinnen der GEKE.

Frage: Die GEKE hat in den vergangenen Jahren den Dialog mit Anglikanern, Orthodoxen und Baptisten intensiviert? Was ist das Ziel dieser Gespräche?

Michael Beintker: Das Ziel ökumenischer Gespräche sollte immer die Suche nach Gemeinschaft und Einheit sein. So auch hier. Gleichwohl gibt es an jeden Dialog besondere Erwartungen. Im Gespräch mit den Anglikanern möchten wir gerne herausfinden, ob es nicht in Parallele zu den Erklärungen von Meißen, Porvoo und Reuilly auch eine gemeinsame Erklärung mit der GEKE zur eucharistischen Gastfreundschaft und zur Anerkennung der Ämter geben könnte. Wenn es möglich ist, dass die Kirche von England mit einzelnen protestantischen Kirchen wie der EKD, den Kirchen in Skandinavien oder in Frankreich zu bilateralen Vereinbarungen kommt, weshalb sollte eine solche Vereinbarung dann nicht auch mit der GEKE insgesamt erreichbar sein? Mit den Orthodoxen durchdenken wir vor allem die Gemeinsamkeiten und Differenzen im Verständnis der Kirche. Hier würden wir gerne dazu kommen, dass sich die orthodoxen Kirchen in einem ersten Schritt zu einer grundsätzlichen Anerkennung unserer Taufen bereit finden. Eine vergleichbare Erwartung haben wir auch an die Baptisten im Blick auf das strittige Problem der Säuglingstaufe. Die Dialoge mit der Europäischen Baptistischen Föderation sind freilich Dialoge mit einer Gemeinschaft, die ebenfalls aus der Reformation hervorgegangen ist. Da stellt sich unmittelbar die Frage, ob und in welcher Form die Baptisten in der GEKE mitarbeiten können.

Frage: Auf der Vollversammlung soll unter anderem ein Projekt zur theologischen Ausbildung in Europa vorgestellt werden. Worum geht es da?

Michael Beintker: Bildungsfragen sind im zusammenwachsenden Europa immer Fragen mit einer starken europäischen Dimension. Das gilt auch für die theologische Bildung und Ausbildung. So werden wir in Budapest ein Projekt zum Thema „Die Ausbildung zum ordinationsgebundenen Amt in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ empfehlen. Wir streben eine Verständigung über die Grundsätze und Wege der Ausbildung von Pfarrern und Pfarrerinnen in den Mitgliedskirchen der GEKE an. Es geht vor allem um die Klärung folgender Fragen: Von welchem Berufsbild lässt sich die Organisation der Ausbildung leiten? Welches Verständnis von Theologie ist maßgeblich, welches Verständnis von Studium und Bildung? In welchem Verhältnis befinden sich Ausbildung und Bildung? Werden die Möglichkeiten genutzt, die eine Universität bietet? Welche Impulse können andere Wissenschaftsgebiete von der Theologie erwarten? Aber auch ganz praktische Fragen wie die nach der Erleichterung des europaweiten Studienortwechsels und des Transfers von Studienleistungen werden zu klären sein.

Die Ausstrahlung des Protestantismus wird nämlich maßgeblich von der Qualität der theologischen Ausbildung beeinflusst und mitbestimmt. Das Bemühen um ein Studium evangelischer Theologie, das diese Ausstrahlung ermöglicht und fördert, ist ein wichtiger Beitrag der evangelischen Christenheit zu Zeugnis und Dienst der evangelischen Kirchen und zur spirituellen und geistigen Kultur im Europa von morgen.

Die Fragen stellte Udo Hahn