"Wo beginnt und wo endet soziale Gerechtigkeit?"

Hohe ev. Kirchenvertreter berieten über Armut und Reichtum

Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

14. Februar 2003

Frankfurt, 13. Februar 2003. „Wir müssen einen Korridor beschreiben, innerhalb dessen man von sozialer Gerechtigkeit sprechen kann.“ Darin waren sich 21 Vertreter von evangelischen Landeskirchen und Diakonischen Werken am Donnerstag bei einer Tagung in Frankfurt einig. Sie berieten dort über die Ende des vergangenen Jahres vorgelegte Studie „Reichtum und Armut als Herausforderung für kirchliches Handeln“ einig. Sie verwarfen die Vision, Gerechtigkeit meine völlige Gleichheit. Nach Auffassung von Dr. Peter Steinacker, dem Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und Leiter der Veranstaltung, gehöre Ungleichheit zu der von Gott gewollten Individualität des Menschen dazu. Sie finde allerdings sowohl in übergroßer Armut als auch in übergroßem Reichtum ihre Grenze. Soziale Gerechtigkeit bewege sich deshalb in einem Korridor zwischen Gleichheit und einer überzogenen sozialen Spreizung der Gesellschaft. Dieser Korridor, so die einhellige Meinung der Teilnehmer, sei nicht leicht zu bestimmen, sein Rand sei aber mittlerweile offenbar erreicht und damit die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft gefährdet. Der Grund für die Polarisierung von Armut und Reichtum liege nicht allein in unterschiedlicher Tüchtigkeit, sondern sei auch eine Folge der seit 20 Jahren andauernden Finanzpolitik. Damit seien die öffentlichen Kassen geleert und deren Umverteilungskraft reduziert worden. Steinacker wörtlich: „Die damit verbundene Hoffnung, dass Ungleichgewicht zu mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätzen führe, hat sich aber nicht bestätigt.“ Deshalb, so Steinacker, teile die Kirchenleitung der EKHN die Überzeugung der Studie, „dass der Zusammenhalt der Gesellschaft nur ein begrenztes Maß an Polarisierung verträgt und sich die Pflege des gesellschaftlichen Zusammenhalts auf lange Sicht auch als ökonomischer Vorteil erweisen wird“.

Gespräch mit weiteren politischen Gruppen gesucht

Die Kirchen, so die Teilnehmer, könnten zu einer „zukunftsfähigen Kultur in unserer Gesellschaft beitragen“, in dem sie Leitbilder für soziale Gerechtigkeit stärkten. Um dies zu realisieren, soll möglichst bald eine Folgetagung in Arnoldshain das Gespräch mit Vertretern verantwortlicher Institutionen aus Wirtschaft, Politik und den anderen Kirchen eröffnen.

Zehn Landeskirchen und fünf leitende Geistliche

Der Einladung der EKHN zu der Tagung am Donnerstag in Frankfurt waren 21 Vertreter aus zehn evangelischen Landeskirchen und Diakonischen Werken gefolgt. Unter ihnen der Bischof der badischen Kirche, Dr. Ulrich Fischer, der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in der Pfalz, Eberhard Cherdron, der Landesbischof der braunschweigischen Kirche, Dr. Friedrich Weber, der Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack, die Präsidentin der nordelbischen Synode, Elisabeth Lingner, sowie der Direktor des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau (DWHN), Dr. Wolfgang Gern.

Ergebnisoffene Studie ohne Lobbyinteressen

Beraten wurde die von der EKHN in Auftrag gegebene und Ende 2002 von Heidelberger Werkstatt Ökonomie vorgelegte Studie „Reichtum und Armut als Herausforderung an kirchliches Handeln“. Sie knüpft das 1997 von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebene „Wort zur sozialen Lage in Deutschland“ an. Die darin aufgestellte Forderung, dass „nicht nur Armut, sondern auch Reichtum ein Thema der gesellschaftlichen Debatte“ sein müsse, versucht die Studie konsequent einzulösen. Auf knapp 300 Seiten entfalten die Autoren, dass sich die soziale Spreizung in den vergangenen 20 Jahren erheblich ausgeweitet habe, denn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hätten eine Umverteilung des Gesamtvermögens von unten nach oben begünstigt. Auf der Basis bekannter Einzelstudien zu bestimmten sozialen Aspekten und eigenen Forschungen denkt der Heidelberger Ökonom Klaus Heidel in der Studie erstmals die Daten zusammen und bietet einem Überblick über die Verteilung von Armut und Reichtum. Ausführlich benennt er dabei seine Kriterien und Methoden, denn sie bestimmen bei diesem Thema die Ergebnisse maßgeblich mit. Die Studie wurde von keiner Lobby-Gruppe in Auftrag gegeben und ergebnisoffen durchgeführt.

Darmstadt, den 14. Februar 2003
Pfarrer Stephan Krebs
Pressesprecher


Hinweis für interessierte Journalisten

Die Studie „Reichtum und Armut als Herausforderung für kirchliches Handeln“, wurde im Oktober 2002 herausgegeben von der Werkstatt Ökonomie, im Auftrag der EKHN-Zentren für Ökumene und für gesellschaftliche Verantwortung sowie des DWHN, in Kooperation mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). Sie kann im Buchhandel für 13,95 Euro bestellt werden. Auf Anfrage können sie Journalisten auch bei der EKHN anfordern.