Württembergische Orgel kommt nach Guadeloupe

Alpirsbach verkauft seine Orgel in die Karibik

Evangelische Landeskirche in Württemberg

14. August 2006

Der Gebrauchtorgelhandel hat Zukunft, davon ist Volker Lutz, Orgelsachverständiger der württembergischen evangelischen Landeskirche, überzeugt. Denn immer mehr Kirchen würden stillgelegt. So etwa in Norddeutschland, und vor allem auch in England. Andernorts aber sei ein Riesenbedarf. Etwa in Polen oder in anderen osteuropäischen Staaten, die nach der Wende wieder kirchliche Aktivitäten zulassen.
 
Seit Jahren arbeitet Lutz deshalb mit einem Gebrauchtorgelhändler aus Wuppertal zusammen. Der Mann habe eine Marktlücke entdeckt, in Wuppertal eine alte und nicht mehr benutzte Kirche gekauft und biete jetzt dort gebrauchte Orgeln an. So sei etwa die Orgel der Stuttgarter Stiftskirche, die bei der Renovierung vor drei Jahren ausgebaut wurde, nach Polen verladen worden. Jetzt stehe sie in einem Kirchenneubau in der Stadt Zory und werde in den nächsten Monaten spielbereit sein.

Ähnlich wird es auch einer Orgel in Alpirsbach ergehen. Ebenfalls durch Vermittlung des Wuppertaler Orgelhändlers gelangt diese Orgel demnächst in die Karibik, in eine große Kirche auf der zu Frankreich gehörenden Insel Guadeloupe.

Eigentlich hätte die Orgel repariert werden müssen und können. „Aber bei unseren Löhnen hier“, so Lutz, „ist das undenkbar und nicht zu finanzieren.“ Der Professor an der staatlichen Musikhochschule in Stuttgart und an der Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen sagt es wehmütig, denn niemand gebe gerne ein altes Instrument weg. Und man glaubt ihm das gerne, wenn man die vielen Instrumente in seiner Wohnung anschaut. Von der Orgel bis zum originalen Hammerflügel aus dem 19. Jahrhundert reicht die Vielfalt.

Auch wenn die Entscheidung schwer fiel, in Alpirsbach musste sich etwas verändern. Der bisherige Standort der Orgel war akustisch äußerst ungünstig. Außerdem war sie in den letzten Jahren technisch immer unzuverlässiger geworden und wies aus heutiger Sicht auch erhebliche klangliche Defizite auf. Für die Alpirsbacher Kirchengemeinde war es günstiger, die alte Orgel zu verkaufen und eine neue zu bestellen. Jetzt macht sich eine Schwarzwälder Orgelbaufirma ans Werk und baut eine Luftkissenorgel für das alte Gotteshaus. Diese Luftkissenkonstruktion wird die erste ihrer Art in Deutschland sein. Bislang gibt es solche Orgeln lediglich in Australien, der Schweiz und in Syriens Hauptstadt Damaskus. Der große Vorteil ist, dass man mit solch beweglichen Orgeln sowohl die Ansprüche des Denkmalamtes zufrieden stellen kann als auch die akustischen Wünsche der Kirchenmusikbegeisterten. 

In der alten romanischen Kirche von Alpirsbach hatte man sich schwer getan, einen geeigneten Platz für die Orgel zu finden. In der Romanik war kein Platz für Orgeln vorgesehen. In Alpirsbach wurde später eine mechanische, dann eine pneumatische und zuletzt diese elektro-pneumatische Orgel auf der Empore im südlichen Seitenschiff der Kirche eingebaut. Die neue Orgel wird ihren Platz im südlichen Querhaus finden.  Doch dort sind auch der Eingang zum Schlafsaal der Mönche und bis jetzt die Heizung für die gesamte Kirche untergebracht. Die neue Konstruktion erlaubt, dass man die Orgel innerhalb weniger Minuten mit Luftdruck um knapp zwei Zentimeter anhebt. „Mit einer Hand kann man dann die Orgel durch die Kirche schieben“, beschreibt Lutz den Vorteil der Luftkissen-Orgel.

Im September nun gilt es Abschied zu nehmen. Abschied von der Orgel und Abschied von der Kirche, denn die Renovierung wird knapp zwei Jahre dauern. Und wenn dann am 17. September zum letzten Mal die Orgelklänge ertönen, werden bereits wenige Tage später die ersten Container vor der Kirche stehen und die Orgelfracht aufnehmen. Zuerst auf dem Landweg, später zu Wasser, wird die in ihre Einzelteile zerlegte Orgel dann über den großen Teich bis in die Karibik gelangen.

Für die Kirchengemeinde von Alpirsbach und ihre Verantwortlichen war es eine tröstliche Vorstellung, dass „ihre“ Orgel nun nicht auf dem Schrott landet, sondern überholt wieder ihrer ureigenen Bestimmung zugeführt wird, wenn auch siebentausend Kilometer entfernt. Ja eigentlich ist das gut 40 Jahre alte Instrument, das bei Orgelbauer Walter in Ludwigsburg entstanden war, bestens geeignet für die klimatischen Verhältnisse in den Tropen. Die Aluminium-Sperrholz-Kunststoff-Konstruktion verträgt sich mit dem heißen und feuchten Klima besser als eine Massivholz-Konstruktion, die schon nach wenigen Wochen Schaden leiden würde. 15.000 Euro erlöst die Alpirsbacher Kirchengemeinde noch beim Verkauf in die Karibik. Angesichts der Kosten der Nachfolgerin, nicht viel Geld, aber immerhin ein kleines Trostpflaster für die erlittenen Abschiedsschmerzen von der alten Königin der Instrumente.


Klaus Rieth

14. August 2006