„Signal von Zeitz“ jährt sich am 18. August zum 30. Mal

Jahrestag der Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz

Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

09. August 2006

„Funkspruch an alle. Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an. Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen."

Diese Worte standen auf dem Plakat, das Pfarrer Oskar Brüsewitz auf seinem Auto angebracht hatte, als er sich am 18. August 1976 vor der Michaeliskirche in Zeitz mit Benzin übergoss und in Brand steckte. Er starb vier Tage später an seinen Verbrennungen im Krankenhaus Halle-Dölau.

Veranstaltungen zum Brüsewitz-Gedenken 2006:

Anlässlich des 30. Jahrestags der Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz finden in dessen ehemaliger Gemeinde in Rippicha sowie in Zeitz mehrere Gedenkveranstaltungen statt. Um 11 Uhr gibt es in der Zeitzer Michaeliskirche einen ökumenischen Gedenkgottesdienst. Es predigt der Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack. Anschließend werden vor dem Gotteshaus Kränze niedergelegt (12 Uhr). Eine Andacht am Grab von Oskar Brüsewitz auf dem Friedhof von Rippicha ist für 14 Uhr angesetzt. Die Feier hält der Superintendent des Kirchenkreises Naumburg-Zeitz, Reinhard Voitzsch.

Um 17 Uhr gibt es in der Michaeliskirche eine Vorführung des Films „Der Störenfried – Ermittlungen zu Oskar Brüsewitz“ von Thomas Frickel aus dem Jahr 1992. Außerdem werden Texte aus dem Buch „Ich werde dann gehen“ gelesen. Das aktuellste Werk über Oskar Brüsewitz, das im Juni dieses Jahres bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erschienen ist, enthält neben Autorenbeiträgen – unter anderem von Manfred Stolpe und Prof. Dr. Harald Schultze – bisher unveröffentlichte Zeitdokumente.

Wort der Kirchenleitung von 1976 und Trauerpredigt:

Nach dieser Pressemitteilung sind das „Wort an die Gemeinden“ der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen vom 21. August 1976 sowie der Text der Trauerpredigt vom 26. August 1976 angefügt.

Magdeburg, 09. August 2006

Oliver Vorwald
Pressesprecher

Wort an die Gemeinden (21.08.1976)

In großer Betroffenheit müssen wir bestätigen, daß ein Pfarrer unsrer Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, 0skar B r ü s e w i t z aus Droßdorf-Rippicha, am Mittwoch, dem 18. August 1976, in Zeitz den Versuch unternommen hat, sich selbst öffentlich zu verbrennen. Wir sind davon völlig überrascht worden. Bruder Brüsewitz hat weder seiner Familie noch einem unserer Mitarbeiter sein Vorhaben in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben. Wir beklagen es, daß in der Gemeinschaft unserer Kirche ein solcher Entschluß nicht abgewendet werden konnte.

Wir wissen, daß Bruder Brüsewitz sich in seinem Dienst als Zeuge Gottes verstand, auch mit manchen ungewöhnlichen Aktionen. Selbst mit dieser Tat wollte er auf Gott als den Herrn über unsere Welt hinweisen. Er war getrieben von der Sorge, daß unsere Kirche in ihrem Zeugnis zu unentschlossen sei.

Wir können der Tat unseres Bruders nicht zustimmen. In der Nachfolge Jesu Christi sollen wir bereit sein, Opfer zu bringen, aber nicht so, daß wir vorsätzlich unser Leben beenden. Wir meinen, daß unsere Aufgabe darin besteht, in unserer Gesellschaft mitzuarbeiten, um durch das Zeugnis und Beispiel unseres Lebens dazu zu helfen, daß Gottes Ziele in dieser Welt verwirklicht werden. Wir dürfen unseren Bruder Oskar Brüsewitz nicht verurteilen. „Wir alle werden vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden“ (Römer ]4,10).

Wir bedauern, daß Äußerungen verantwortlicher Mitarbeiter des Kirchenkreises Zeitz und der Kirchenleitung sinnentstellt veröffentlicht worden sind. Jeden Versuch das Geschehen in Zeit zur Propaganda gegen die Deutsche Demokratische Republik zu nutzen, weisen wir zurück.

Zur Zeit befindet sich Bruder Brüsewitz mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus. Wir bitten die Gemeinden, ihn und seine Familie in die Fürbitte einzuchließen.

Magdeburg, am 21. August 1976

Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

Trauerpredigt von Propst Friedrich Wilhelm Bäumer (26.08.1976)

Offbg. 1,17-18 Jesus Christus spricht: "Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes.“

Liebe trauernde Angehörige, liebe Trauergemeinde!

Für uns alle, die wir uns heute hier zusammengefunden haben, bekommt dieses Wort aus dem letzten Buch der Bibel eine unerhörte Bedeutung. Es stellt uns mit all den Gedanken, die uns bewegen, seitdem  wir von der Tat unsers Bruders erfahren haben, vor den einen hin, der sagen kann: Ich bin der Erste und der Letzte! Es stellt uns vor ihn hin mit dem Gewicht eines Zeugnisses, das weder von den Jahrhunderten Menschheitsgeschichte noch von den Augenblicken einer einzigen Menschenerfahrung angetastet werden durfte. Das Unerhörte daran ist, daß all unser Leben und Sterben nicht mehr irgendwoher kommt und  irgendwohin geht, sondern daß es immer schon einen hinter sich hat, der um die Herkunft weiß und einen vor sich hat, der das Ziel kennt, den einen, lebendigen Herrn. So sind wir heute unter dem Eindruck dieses erschütternden, unfaßlichen Lebensendes unseres Bruders dennoch nicht hinausgeworfen in, eine bodenlose Ausweglosigkeit und in eine grenzenlose Sinnlosigkeit, aufgerissen durch den Widerstreit unserer Empfindungen. Aber wir sind allerdings ganz auf  Ihn geworfen, der in seinem Wort  zu uns spricht und der  hinter unserer bodenlosen Ausweglosigkeit und grenzenlosen Sinnlosigkeit die Spur erkennen kann, die zum Ziel führt. Ich weiß, daß unser Bruder für Ihn leben wollte. Darum müssen wir mit Ihm rechnen und  müssen uns Ihm stellen, wenn wir heute unserem Bruder den letzten Dienst zu tun haben.

Aber wir haben Fragen, unruhige, leidenschaftliche, bittere Fragen. Und wo immer Antworten versucht werden, bleiben sie doch in den halben Wahrheiten und in den Rätseln, die der andere uns mit seinem Wesen stellt, stecken. Wer kann ein Menschenherz ergründen, das umgetrieben ist von den Widersprüchen unserer Zeit. Wer will sich zum Richter machen über das unruhige Gewissen. Wenn aber Er, der der Erste und der Letzte, der Eine, der das Leben hat, ist, die Strecke absteckt, die wir' nicht übersehen können und die uns schreckt, dann bleibt es eben nicht dabei, daß ja doch alles Fragen und Suchen und Prüfen keinen Zweck hat, dann bleibt es eben nicht dabei, daß das geduldige Wagen des nächsten Schrittes, das vertrauensvolle Hineintreten in den neuen Tag ja doch keinen Sinn haben kann. Nein, dann fängt die Hoffnung an, davon zu leben, daß Er da ist, ,Jesus Christus, gestern und heute und morgen. Es ist die Erfahrung in unserer Kirche, die uns über diesem Grabe mit außerordentlichem Ernst zur Buße ruft, daß wir uns unterwegs auf den angefochtenen Wegen diesen Zuspruch der Gegenwart Gottes, seine Zusagen, unsere Wege mitzugehen, nicht zu sagen wagen oder es nur unglaubwürdig tun. Wir haben allen Grund, es tief betroffen zu beklagen, daß in der Gemeinschaft unserer Kirche ein solcher Entschluß, wie ihn unser Bruder für sich gefaßt hat, nicht abgewendet werden konnte. Wer sich erst einmal hineinverfangen hat in die dunklen Netze der eigenen und und einsamen Gedankenvorgänge, der vergißt leicht, daß Gottes heilige Gegenwart sich vor unseren Augen in dem zu erkennen gegeben hat, der seinen Weg bis an das Kreuz gegangen ist, und zwar- für uns gegangen ist.

Jesus Christus ist unsere Wege  gegangen, er ist dem Leiden der Menschen nicht aus dem Wege gegangen, er hat an den Entscheidungen der Menschen gelitten, er konnte über der geschäftigen und selbstsicheren Gleichgültigkeit der Menschen weinen, er mußte in die äußerste Verlassenheit hinein. Und Jesus Christus betete: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Nun sind  wir von ihm mitgenommen  vor den Richterstuhl und vor den Gnadenstuhl Gottes. Und er schämt sich dabei unser nicht.  Darum gilt beides: Er weiß mehr und gültigers als wir von dem, was unseren Bruder zu seiner Tat getrieben hat. Er hat sein „fürchte dich nicht“ auch da bereit., wo wir nicht hinreichen, wo wir versagen. Und zugleich gilt: Er entläßt uns nicht aus dem Ruf nur Nachfolge auf Seinem Wege. Seine Nachfolge ist nicht abhängig  von Voraussetzungen, die die Welt bietet oder nicht bietet, sie ist aber abhängig davon, daß wir auf der Spur Jesu Christi bleiben.

Die Fragen, vor die uns unser Bruder mit seiner Entscheidung, die er für sich getroffen hat, stellt, werden wir nicht so schnell . beantworten oder gar abschütteln können, Fragen, die uns in unserer geistlichen, in unserer kirchlichen, in unserer politischen und in unserer menschlichen Existenz aufgeschreckt haben.  Wir müssen vor der dunklen Grenze, die uns gesetzt ist, die uns auch durch dieses Sterben gesetzt ist, halt machen. Das stellt alle unsere Beurteilungen, unsere Rückfragen, unsere Vorwürfe, unsere Sorgen, unsere Angst und selbst unser Gewissen unter eine Vorläufigkeit, über die wir nicht hinaus können.

Keiner von uns kann sagen: „Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes". Wir sind darauf angewiesen, dass der, der diesen Schlüssel in seiner Hand hält, die ganze Wahrheit aufschließt. Er wird es tun nach seiner Verheißung. Darauf leben wir zu.
 
Laßt uns aus dem Ernst dieser Stunde heraus Gott bitten, dass seine Barmherzigkeit. über seiner Kirche und über seiner Welt nicht aufhört.

Euch, Gattin, Kinder und Anverwandte schließe er fest ein in seinen Frieden, daß Ihr es täglich neu hören könnt, wie Er in die Traurigkeit und in die Unruhe,  in die Einsamkeit und in das Fragen des Herzens hinein spricht: „Fürchte dich nicht", "Ich bin der Erste  und der Letzte und der Lebendige.“