Menschen für den Glauben begeistern

GEKE-Präsidentin Prof. Dr. Elisabeth Parmentier (Straßburg): Dialog mit anglikanischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche hat Priorität

Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)

07. August 2006

„Rückkehr“-Ökumene Absage erteilt – Ökumenische Bewegung nicht bloß als Plattform für diplomatisches Gerede verstehen – Vollversammlung im September in Budapest muss überlegen, wie die GEKE mit größerer Verbindlichkeit agieren kann

Für die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) – Leuenberger Kirchengemeinschaft hat der Dialog mit den christlichen Kirchen Priorität. Dies machte die Präsidentin der GEKE, Prof. Dr. Elisabeth Parmentier (Straßburg), in einem Interview deutlich. Sie denke dabei vor allem an die anglikanischen Kirchen und an die römisch-katholische Kirche, „mit denen schon einige Etappen auf dem Weg der Einheit möglich wurden“. Nach den Worten der in Straßburg lehrenden Professorin für Praktische Theologie ist es das Ziel der Dialoge mit den christlichen Kirchen, „die Einheit der einen, heiligen christlichen Kirche zu leben“. Dies sei aber nach reformatorischem Verständnis nicht möglich als „Rückkehr nach Rom oder nach Konstantinopel“, wenn man die orthodoxen Kirchen mit einschließt, „sondern in einem Modell der gegenseitigen Anerkennung und der Einheit, die Verschiedenheit in sich zulässt“. Es gehe auch nicht einfach darum, Dialoge zu führen, um sich einander anzunähern, sondern „uns gegenseitig Rechenschaft über unseren Glauben zu geben“. Denn neue Herausforderungen an alle christlichen Kirchen verlangten auf Dauer nach einer Überwindung des Konkurrenzdenkens. Für die Zukunft des christlichen Glaubens in Europa reicht ihrer Einschätzung nach eine spirituelle oder theoretische Einheit nicht weit genug. „Die christlichen Kirchen haben sich gemeinsamen neuen Herausforderungen zu stellen, die nicht mehr den klassischen Kriterien der interkonfessionellen Dialoge folgen“, sagte die GEKE-Präsidentin. Sie denke dabei zum Beispiel an den Dialog mit Nichtgläubigen oder mit Menschen, die keiner Kirche angehören wollten, aber auch an die Konfrontation mit fundamentalistischen Strömungen innerhalb jeder Kirche. Die derzeitigen ökumenischen Diskussionen zeigten, dass in den kommenden Jahren die Probleme sich nicht mehr so sehr zwischen den Konfessionen stellen werden, sondern quer durch die Konfessionen hindurch zwischen einem konservativen und einem liberalen Flügel, vielleicht sogar zwischen den fundamentalistischen und den ökumenisch offenen Strömungen. Gebraucht werde heute „eine motivierende christliche Dynamik, die die Mitmenschen für den Glauben begeistert“. Frau Parmentier wörtlich: „Dafür müsste aber die ökumenische Bewegung nicht bloß als Plattform für diplomatisches Gerede verstanden werden, sondern als eine gemeinsame Besinnung auf die Wurzeln des Glaubens, und als Versuch, diese Kraft wirkungsvoll zu übermitteln.“

Elisabeth Parmentier bestimmt die Geschicke der GEKE seit mehr als einem Jahrzehnt in leitender Funktion mit – seit 1994 als Kopräsidentin und seit 2001 als Geschäftsführende Präsidentin. Wenige Wochen vor der nächsten Vollversammlung, die vom 12. bis 18. September in Budapest unter dem Motto „Gemeinschaft gestalten – Evangelisches Profil in Europa“ tagt, sieht sie die GEKE vor dem „noch nicht gelösten Problem, mit größerer Verbindlichkeit reden, lehren und agieren zu können“. Die Mitgliedskirchen müssten nach einer ihnen angemessenen Lösung suchen, „ohne eine Super-Struktur zu bilden, oder einem Gremium die absolute Macht auszuhändigen“. Sie erwarte von der Vollversammlung „konkrete Vorschläge für gemeinsame Entscheidungsorgane – oder zumindest verbindliche konsultative Organe“.

Hannover, 7. August 2006

Udo Hahn
Pressesprecher

Das Interview im vollen Wortlaut:

Frage: Frau Präsidentin, seit mehr als einem Jahrzehnt bestimmen Sie in leitender Funktion die Geschicke der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa mit – seit 1994 als Kopräsidentin und seit 2001 als Geschäftsführende Präsidentin. Wie lautet Ihr persönliches Fazit, insbesondere über die letzten fünf Jahre?

Elisabeth Parmentier: Die GEKE hat sich in diesen Jahren permanent weiter entwickelt. Das Modell ist nicht perfekt, aber es hat seine Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt. Heute weiß man, zumal in theologischen Kreisen und in Kirchenämtern, was die Leuenberger Konkordie von 1973 ist und mit sich gebracht hat, welches Potenzial sie hat. Der theologische Konsens von Spezialisten hat Kirchengemeinschaft hervorgebracht, die so weit wie möglich da gelebt wird, wo es verschiedene reformatorische Kirchen gibt.

Die GEKE ist meines Erachtens vergleichbar mit dem gelungenem Experiment des Pfropfen, das eine neue Pflanze hervorgebracht hat, die Früchte trägt und sich aus tiefen Wurzeln stetig weiter entwickelt hat. Man hat sie bis jetzt so leben lassen, wie sie wuchs. Und das war ihre Stärke und das permanente, nicht programmierbare Wunder. Das Engagement einiger großer Kirchen – ich denke dabei insbesondere an die unierten Kirchen in Deutschland beziehungsweise ganz allgemein an die deutschen Kirchen, ebenso an den Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und die protestantischen Kirchen in den Niederlanden – hat die kleineren Kirchen getragen, die ihrerseits durch Partizipation von engagierten Personen oder in einzelnen Projekten teilnehmen konnten. Dank der Motivation vieler Multiplikatorinnen und Multiplikatoren haben sich auch viele grenzüberschreitenden Initiativen entwickelt, die regionale verbindende Identitäten im zusammenwachsenden Europa entstehen ließen.

Nicht zuletzt verdanken wir diese Entwicklung und Stabilität auch dem Einsatz des kleinen Stabs in Berlin um den Leiter des GEKE-Sekretariates Dr. Wilhelm Hüffmeier, der nach 19 Jahren in dieser Funktion in den Ruhestand geht. Durch die Umstrukturierung der Evangelischen Kirche der Union, deren Kirchenkanzlei er leitete, wird ein Umzug des Sekretariats nötig. Dies hat für uns fast einen völligen Neuanfang zur Folge. Ich bin dankbar, dass die kleinen evangelischen Kirchen in Österreich bereit sind, nach der Vollversammlung im September die Verantwortung für das Sekretariat zu übernehmen. Dies bedeutet aber für die größeren Kirchen, dass deren Wille zur Unterstützung nicht erlahmen darf. Unsere Gemeinschaft braucht auch in Zukunft funktionsfähige Strukturen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. So benötigen wir einen neuen Finanzierungsplan, wir müssen über Statuten reden und über Strukturen der Gemeinschaft. Werden die Kirchen bereit sein, in diesem Prozess mit zu machen? Der Erfolg und die Erweiterung der GEKE hat eine neue Komplexität mit sich gebracht. Die Zeit der Improvisation ist vorbei. Die zukünftige Gestalt dieser seltenen Pflanze liegt in der Hand der Delegierten dieser Vollversammlung, die vermutlich entscheidender wird als die früheren.

Frage: Die letzte Vollversammlung hat gefordert, die protestantische Stimme in Europa zu stärken. Wurde dieses Ziel erreicht?

Elisabeth Parmentier: Zunächst ist zu fragen, welche Vorstellung sich konkret mit dieser Forderung verbindet. Geht es um mehr protestantische Präsenz in den Medien und effektivere Lobbyarbeit? Hier hat sich die GEKE seit der letzten Vollversammlung deutlich verbessert, wenn ich an den umfassenden Internetauftritt denke, der den Signatarkirchen eine bislang nicht da gewesene Plattform des Austauschs bietet. Auch in der Europaarbeit hat sich einiges bewegt. So arbeitet für die GEKE ein Pastor in der Kommission „Kirche und Gesellschaft“ der Konferenz Europäischer Kirchen in Brüssel mit und sorgt auf diese Weise dafür, dass wir direkt an den Diskussionen in den europäischen Gremien beteiligt sind. Vor diesem Hintergrund kann man mit Recht sagen, dass sowohl eine protestantische Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit als auch eine spürbare Qualität protestantischer Arbeit und Präsenz in den europäischen Institutionen gewährleistet ist.

Allerdings kann es nicht um „die“ protestantische Stimme gehen, die sozusagen im Namen aller GEKE-Kirchen offiziell spricht. Die Kirchen der GEKE haben aber durch ihre jahrelange gemeinsame theologische Arbeit einen kriteriologischen Rahmen gesteckt, der dieser reformatorischen Gemeinschaft ein spezifisches Profil gewährt. Dieser Bezugsrahmen, in dem man sich bemüht, den theologischen Konsens zu entfalten und in spezifischen Fragestellungen zu erproben, ist auch eine Art von „gemeinsamer Stimme“, die trotz kultureller und theologischer Unterschiede einen gemeinsamen tragenden Grund bietet.

Ungeachtet dieser Fortschritte bleibt für die protestantischen Kirchen die Herausforderung, von der territorialen zur europäischen Ebene zu gelangen. Es geht hier um das noch nicht gelöste Problem, gemeinsam engagiert und mit größerer Verbindlichkeit reden, lehren und agieren zu können. Wenn auch zur Zeit das Konzept einer gemeinsamen europäischen Synode Widerstand hervorruft, könnte ich mir vorstellen, dass zum Beispiel regionale grenzüberschreitende Synoden oder Konferenzen von Kirchenleitenden Experimente sind, mit dem die Kirchen testen, ob und wie sie miteinander zu verbindlichen Positionen kommen können. Diese Frage wird auch die Vollversammlung in Budapest beschäftigen.

Frage: Nach der letzten Vollversammlung hat sich die Leuenberger Kirchengemeinschaft in Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa umbenannt. Haben sich die Erwartungen, durch den neuen Namen deutlicher wahrgenommen zu werden, erfüllt?

Elisabeth Parmentier: Mit dem neuen Namen verbindet sich ein Programm: Der Geburtsname wurde durch eine Art „mission statement“ ersetzt, das den Auftrag, das Selbstverständnis und die Zukunftsvorstellung dieser Kirchen zum Ausdruck bringt:

- Gemeinschaft...: Die Signatarkirchen der Konkordie bezeichnen damit die Qualität ihrer Verbundenheit. Zusammen bilden sie keine Allianz, Föderation oder Konferenz, sondern eine Gemeinschaft, eine Familie, auf Christus gegründet, aus Gottes Wort und Sakrament konstituiert, im gemeinsamen Zeugnis und Dienst für die Menschen hörbar und sichtbar.

- ...Evangelischer Kirchen...: Die Konkordie zeigt das evangelische Profil von seinem Zentrum her: von der Botschaft der freien Gnade Gottes. „Evangelisch“ betont daher die Orientierung am Evangelium. Das Wort „protestantisch“ in der französischen und englischen Übersetzung wurde gewählt, um nicht mit „evangelikal“ verwechselt zu werden. Es ist nicht als Abgrenzung oder Protest gegen andere Kirchen zu verstehen.

- ...in Europa: Obwohl auch Kirchen vom Rio de la Plata zu den Unterzeichnerinnen gehören, war es wichtig, den europäischen Rahmen zu betonen, als Rahmen der Versöhnung der Kirchen, der Völker und Kulturen.

Mit alledem sollte die Zukunftsperspektive deutlicher als die Herkunft charakterisiert werden. Dies zeigte sich auch in den zwei Lehrgesprächsthemen, die die Vollversammlung in Belfast 2001 in Auftrag gab und die – anders als bisher – keine klassischen Kontroversthemen, sondern projektbezogene Themen waren: „Der missionarische Auftrag der evangelischen Kirchen in Europa“ und „Gestalt und Gestaltung der evangelischen Kirchen in Europa“.

Wir sind nicht mehr in der Phase der Rückbesinnung auf die trennenden Fragen der Reformation, sondern auf dem Weg zu gemeinsamen Projekten. Insofern entspricht der neue Name diesem Vorhaben. Dies soll aber nicht bedeuten, dass die klassischen theologischen Lehrgespräche keine Relevanz mehr hätten. Im Gegenteil! Nur sind sie in der heutigen Situation und unter heutigen Herausforderungen zu bedenken, zum Beispiel: Amt, Ordination und Priestertum aller Gläubigen, Interpretation der Schrift, Kirche, Bekenntnis und Tradition. Obwohl diese unter uns keine kirchentrennenden Fragen mehr darstellen, lösen sie im Zusammenleben der Kirchen erhebliche Konflikte aus, etwa die Ordination von Prädikanten, die Frauenordination und die fundamentalistische Interpretationen der Bibel.

Frage: Was erwarten Sie von der Vollversammlung in Budapest?

Elisabeth Parmentier: Das Thema der Vollversammlung gibt den Ton an: „Gemeinschaft gestalten – Evangelisches Profil in Europa“. Ist die Einheit der ganzen Kirche die Gabe Jesu Christi, so geht es hier um den Auftrag, diese zu gestalten, im Leben der Kirchen zu verwirklichen. Eine Gemeinschaft sein, das ist für evangelische Kirchen alles andere als einfach, da ihr Profil zunächst territorial und konfessionell ist. Es muss heute viel dringender als in den letzten Jahren überlegt werden, wie der Konsens im Glauben und in der Lehre auch im kirchlichen Leben sichtbar wird: zum Beispiel in Fragen zu Einheit und Leitung der Kirche, Ämtern, Strukturen, Liturgie. Diese Themen wurden von der Konkordie nicht als vorrangig empfunden. Es haben sich im Laufe der Jahre aber erhebliche Unterschiede in Lehre und Praxis gezeigt, in der gemeinsamen Gestaltung des Kircheseins. Zur Zeit sind die meisten Kirchen an der Frage ihrer Restrukturierung angelangt. Viele tun sich paradoxerweise schwer mit Reformen ihrer Strukturen und Entscheidungsprozesse, weil die Gestaltung zu ihrer Identität gehört. Es wäre eine große Hilfe für alle, wenn wir diese Probleme gemeinsam anpacken könnten. Denn nicht das Überleben der Institutionen ist das Ziel, sondern wie sie ihrem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums in der heutigen Welt besser gerecht werden können.

Für mich ist es die Frage, ob eine Kirchengemeinschaft nur die Summe ihrer Mitgliedskirchen ist oder sie auch die Möglichkeit hat, als Gemeinschaft Entscheidungen zu treffen. Eine Kirchengemeinschaft kann ein viel glaubwürdigeres und effektiveres Zeugnis ablegen, wenn die einzelnen Kirchen gemeinsame Projekte und Prioritäten entwickeln. Die Vollversammlung hat dies zum Ziel, ist aber nur ein konsultatives Organ, dem die Kirchen nicht verpflichtet sind. Die evangelischen Kirchen müssen nach einer ihnen angemesseneren Lösung suchen, das heißt: ohne eine Super-Struktur zu bilden, oder einem Gremium die absolute Macht auszuhändigen. Ich erwarte von dieser Vollversammlung konkrete Vorschläge für gemeinsame Entscheidungsorgane – oder zumindest verbindliche konsultative Organe.

Ich hoffe auch, dass die Vollversammlung die bisherige Orientierung in Richtung einer Vertiefung der Gemeinschaft weiterhin bestätigt und nicht den heutigen Tendenzen der Rekonfessionalisierung huldigt und so den Verdacht, der den evangelischen Kirchen anhaftet, verstreut und gemeinschaftsunfähig zu sein, bestätigt. Ich wünsche den Kirchen der GEKE, dass sie auch den Mut haben, eine ökumenische Offenheit zu zeigen, auch auf das Risiko hin, dass die anderen Kirchen ihnen nicht folgen. Sie werden dann aber einen weiteren Schritt zur Versöhnung getan haben. Auch die innerreformatorische Ökumene muss im Blick bleiben, denn die Beziehung zu den evangelikalen und zu den Pfingstkirchen ist eine alltägliche Frage vieler evangelischer Minderheitskirchen.

Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die Zukunftsaufgaben der GEKE?

Elisabeth Parmentier: Die GEKE steht zunächst im Dienst der evangelischen Kirchen und sollte diesen helfen, ihre Fragen auf dem Weg der Versöhnung von Menschen und Völkern zu bearbeiten. Dabei ist die Unterstützung im Gebet, im Teilen von Predigt und Sakramenten entscheidend. Dieses gemeinsame Zeugnis geschieht nicht nur mit Worten und durch finanzielle Unterstützung, sondern auch dadurch, dass Kirchen sich weiterhin bemühen, ihre Gemeinschaft lokal, regional und grenzüberschreitend miteinander zu vertiefen, damit dies auf die Menschen und Völker ausstrahlt. Dazu kommt die schwierige Situation der westlichen Kirchen in einer säkularisierten und entchristlichten Welt. Die rein instrumentale Sicht der Kirche sowie die Anpassung an die Modernität beziehungsweise Postmodernität machen es insbesondere den reformatorischen Kirchen schwer, ihre Ausstrahlungskraft zu bewahren und die Gebundenheit des christlichen Glaubens an die Kirche überzeugungsfähig zu vermitteln. Hier zeigt sich die Notwendigkeit fortwährender theologischer Arbeit, sowohl innerevangelisch als auch mit anderen Kirchen. Zudem müsste die Theologie viel stärker an den Fragen der heutigen Menschen arbeiten.

Dies erfordert auch eine Konfrontation und ein Gespräch mit den radikalen Flügeln im Protestantismus, die des öfteren fundamentalistischer Prägungen beschimpft werden, in sich selbst aber viel differenzierter sind. Ein Dialog zwischen der GEKE und den baptistischen Kirchen in Europa ist vielversprechend – ein Text über die Taufe wird auch die Vollversammlung beschäftigen. Darüber hinaus gibt es Bestrebungen, die Pfingstkirchen und -bewegungen stärker in die Ökumene einzubinden. Hier sollte man überlegen, ob nicht ein Dialog mit den Pfingstkirchen sowie eine Studie über die charismatischen Bewegungen innerhalb der GEKE-Kirchen an der Tagesordnung wäre.

Andererseits wird heute die Wichtigkeit des interreligiösen Dialogs betont. Die absolute Notwendigkeit von Diskussionen insbesondere mit dem Judentum und dem Islam steht außer Frage. In Dialog treten kann aber nur, wer sich seiner eigenen Identität sicher genug ist, um sich der Andersartigkeit seiner Gesprächspartner ohne Angst auszusetzen. Ein Dialog ist keineswegs ein Beharren auf Neutralität, sondern ein Ringen um die Wahrheit des Glaubens in aufrichtiger und intensiver Diskussion mit den Andersdenkenden. Da geht es nicht nur um Toleranz, die auch ein Alibi für Gleichgültigkeit sein kann, sondern um gelebten Glauben. Um diesen Dialog auch glaubwürdig führen zu können, müssen sich die christlichen Kirchen mehr denn je über ihren eigenen gemeinsamen Glauben gegenseitig Rechenschaft geben. So kann der interreligiöse Dialog kein Ersatz für interkonfessionelle Gespräche sein, sondern ist ein eigenständiges Unternehmen mit spezifischen Zielen.

Ich bin der Überzeugung, dass der Dialog mit den christlichen Kirchen Priorität hat, insbesondere in Europa. Dabei denke ich vor allem an die anglikanischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche, mit denen schon einige Etappen auf dem Weg der Einheit möglich wurden. Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zwischen Lutherischem Weltbund und römisch-katholischer Kirche bedarf der Weiterentwicklung in den im Dokument genannten Fragen und braucht die Umsetzung in Predigt, Katechese und Gemeindepraxis.

Frage: Die GEKE hat in den vergangenen Jahren – Sie haben es bereits angesprochen – den Dialog mit Anglikanern, Orthodoxen und Baptisten intensiviert. Was ist das Ziel dieser Gespräche?

Elisabeth Parmentier: Das Ziel der Dialoge mit den christlichen Kirchen ist, die Einheit der einen, heiligen christlichen Kirche zu leben. Dies aber ist nach reformatorischem Verständnis nicht möglich als „Rückkehr“ nach Rom oder nach Konstantinopel, sondern in einem Modell der gegenseitigen Anerkennung und der Einheit, die Verschiedenheit in sich zulässt. Die Wege zu diesem Ziel sind aber je nach Partnerkirche unterschiedlich. Die Dialoge mit den anglikanischen Kirchen haben bereits zu drei Abkommen geführt: zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirche von England, zwischen den baltischen und nordischen lutherischen Kirchen und den anglikanischen Kirchen der britischen Inseln und Irland sowie zwischen den lutherischen und reformierten Kirchen in Frankreich und den anglikanischen Kirchen der britischen Inseln und Irland. Hier besteht bereits gegenseitige Anerkennung und eucharistische Gastfreundschaft, wenn auch nicht eine völlige Anerkennung der Ämter.

Mit den anglikanischen Kirchen wird eine solche gegenseitige Anerkennung, die aber europaweit angelegt ist, diskutiert. Die derzeitigen internen Schwierigkeiten der anglikanischen Weltgemeinschaft lassen uns aktuell jedoch nicht recht voran kommen. Mit den orthodoxen Kirchen verbindet uns das Konzept einer Abendmahlsgemeinschaft, in der die Kirchen ihre Autonomie bewahren, aber sich als konziliare Gemeinschaft verstehen. Jedoch ist von orthodoxer Seite aus eine Anerkennung der evangelischen Kirchen bislang nicht möglich. So ist das Ziel dieses Dialogs eine europaweite Anerkennung der Taufe in den evangelischen Kirchen. Mit den baptistischen Kirchen besteht das Problem, dass sie die Säuglingstaufe nicht anerkennen, was im Falle eines Übertritts zu einer Wiedertaufe – so sehen wird das jedenfalls – führen kann und so die Kirchengemeinschaft unmöglich macht. Ein gemeinsamer Text, der auf der Vollversammlung besprochen werden soll, versucht, dieses Problem zu überwinden. Es muss betont werden, dass diese Dialoge nicht zu trennen sind von denen, die in Europa bereits in der KEK oder in den internationalen und nationalen Gremien geführt werden. Der Rahmen der GEKE bietet jedoch einen gemeinsamen klaren Bezugsrahmen, der die territorialen Interessen überwindet.

Es geht nicht einfach darum, Dialoge zu führen, um uns einander anzunähern. Es geht vielmehr darum, uns gegenseitig Rechenschaft über unseren Glauben zu geben. Denn neue Herausforderungen an alle christlichen Kirchen verlangen auf Dauer nach einer Überwindung des Konkurrenzdenkens. Für die Zukunft des christlichen Glaubens in Europa reicht eine spirituelle oder theoretische Einheit nicht weit genug. Die christlichen Kirchen haben sich gemeinsamen neuen Herausforderungen zu stellen, die nicht mehr den klassischen Kriterien der interkonfessionellen Dialoge folgen: zum Beispiel dem Dialog mit Nichtgläubigen oder mit Menschen, die keiner Kirche oder Konfession angehören wollen; der Konfrontation mit fundamentalistischen Strömungen innerhalb jeder Kirche; den verschiedenen Formen des interreligiösen und des interkulturellen Dialogs; der Verständigung über den Glauben mit den Kirchen der anderen Kontinente. Die derzeitigen ökumenischen Diskussionen zeigen, dass in den kommenden Jahren die Probleme sich nicht mehr so sehr zwischen den Konfessionen stellen werden, sondern quer durch die Konfessionen hindurch zwischen einem konservativen und einem liberalen Flügel, ja vielleicht sogar zwischen den fundamentalistischen und den ökumenisch offenen Strömungen.

Die Zeit ist zu kurz, um sich allein um die eigenen Institutionen zu sorgen. Was wir brauchen, ist eine motivierende christliche Dynamik, die die Mitmenschen für den Glauben begeistert. Dafür benötigen wir uns gegenseitig. Aber die Angst vor dem eigenen Verschwinden ist zu groß. Es fehlt allen Kirchen die Einsicht in ihre eigene Bedürftigkeit und somit der Sinn für die Notwendigkeit gegenseitiger Korrektur und Ergänzung. Dafür müsste aber die ökumenische Bewegung nicht bloß als Plattform für diplomatisches Gerede verstanden werden, sondern als eine gemeinsame Besinnung auf die Wurzeln des Glaubens, und als Versuch, diese Kraft wirkungsvoll zu übermitteln.

Frage: Der Konsensökumene wird vorgeworfen, sie sei rückwärtsgewandt und überholt. Wie muss sich Ihrer Meinung nach der Dialog der Kirchen entwickeln?

Elisabeth Parmentier: Europa braucht eine Pädagogik des realistischen Umgangs mit der Angst und einen befreienden Umgang mit der Vergangenheit. Gerade die evangelischen Kirchen, denen Konfessionalismus oder gar Territorialismus vorgeworfen wird, zeigen mit ihrem Engagement in grenzüberschreitenden Formen der Gemeinschaft eine Möglichkeit der Selbstüberwindung. Viele evangelische Kirchen haben nämlich ihre Identität auf die Erinnerung an Verfolgungen oder auf ihre Minderheitensituation aufgebaut. Wenn es den Kirchen gelingt, in der ökumenischen Arbeit offen ihre Ängste und Schwierigkeiten auszusprechen, die Wunsch- sowie die Feindbilder der „anderen“ zu überwinden, können solche ehrlichen Diskussionen in und zwischen ihnen den Weg vorbereiten für die Aufmerksamkeit für die Nöte und Ängste der Völker, der Minderheiten, der Religionen in Europa. Hier leistet die ökumenische Bewegung Vorarbeit, indem sie zeigt, dass Krisen unumgänglich sind, wenn es um den Kern der Identität geht. Denn in der religiösen Identität geht es um mehr als um Inhalte des Bekenntnisses: auch um die emotionale und geistige Beziehung zu der Vergangenheit, um Erfahrungen, um kulturelle Spezifika. Es ist ein unverzichtbares Kriterium für Versöhnung, ob eine Kirche es akzeptiert, ihre eigenen Mythen erneut in Frage zu stellen und mit anderen Selbstdarstellungen zu konfrontieren. Deshalb ist der Prozess der GEKE gerade wichtig als Prozess einer Gemeinschaft und nicht einfach eines unverbindlichen Forums, weil die Kirchen dadurch lernen, miteinander und zueinander zu stehen, trotz ihrer Ängste um die eigene Identität. Ein lebendigeres Zeugnis der immer zu überwindenden Sorgen kann man nicht finden. So ist die GEKE ein interessantes Experiment der Zukunftsfähigkeit der evangelischen Kirchengemeinschaft. Sie wird zukunftsfähig, wenn sie sich als sprachfähig, verkündigungsfähig, bildungsfähig und versöhnungsfähig erweist.

Ein gutes Beispiel der jetzigen Arbeit der GEKE, das zeigt, dass die Orientierung zukunftsweisend ist, ist das Projekt „Healing of Memories“. In der Praxis der Realisierung der Kirchengemeinschaft zeigt sich immer deutlicher die Notwendigkeit, die Erinnerungen zu heilen. Ein solches Programm wurde von der KEK vorgeschlagen, um den verschiedenen, oft zerstrittenen Völkern, Kirchen und Ethnien die Möglichkeit zu geben, sich gemeinsam Rechenschaft über ihre vergangene und gegenwärtige Geschichte zu geben. Die GEKE hat es in die Tat umgesetzt, in Zusammenarbeit mit der KEK und mit dem Gustav-Adolf-Werk. In Rumänien bringt dieses Projekt die christlichen Kirchen in eine Neuschreibung ihrer Geschichte und einen Prozess der Versöhnung vor Ort zusammen. Auch hier wirkte bereits eine nicht erwartete Dynamik: Alle christlichen Kirchen beteiligen sich daran!

Solche Prozesse der gemeinsamen Ablösung von der Last der Vergangenheit weisen europäischen Ländern und Völkern eine Zukunft. Sie sind notwendig, aber riskant: Bricht die neugewonnene Einsicht die Treue gegenüber den Vätern und der Vergangenheit? Ist es Verrat an der Identität? Kann man dem ehemaligen „Feind“ auch zutrauen, dass er sich verändert? Dass man für solche schwierigen Prozesse eine Verankerung in seiner Tradition braucht, steht außer Frage. Aber es geht darum, dass Kirchen sich verändern, indem sie sich immer mehr zusammen dem Zentrum ihres Glaubens zuwenden, das ihnen gemeinsam ist.

Ein Beispiel außerhalb Europas zeugt auch von der Zukunftsfähigkeit des reformatorischen Modells der Einheit: Im Nahen Osten haben sieben große evangelische – reformierte und eine lutherische – Kirchen oder Kirchenunionen ein Abkommen für eine volle Kirchengemeinschaft unterzeichnet, die „Erklärung von Amman“, die zirka 1,3 Millionen Gläubige betrifft. In der heutigen Situation ist eine solche Gemeinschaft ehemals getrennter Kirchen nicht nur ein symbolisches, sondern auch ein effektives Zeugnis von Solidarität und Versöhnung in einem Kontext von Hass und Rache.

Die Fragen stellte Udo Hahn.