Erklärung der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Nahost-Konflikt

„Wir bitten Gott um seinen Frieden, der höher ist als alle menschliche Vernunft“

Evangelische Kirche im Rheinland

25. Juli 2006

In einem Schreiben an die Gemeinden, Kirchenkreise, Ämter, Werke und Einrichtungen der Evangelischen Kirche im Rheinland hat Oberkirchenrat Wilfried Neusel, Leiter der Abteilung „Ökumene – Mission – Religionen“ im Landeskirchenamt und hauptamtliches Mitglied der Kirchenleitung, heute im Namen der rheinischen Kirche eine Erklärung zum Nahost-Konflikt abgegeben.

Die Erklärung, die auch an den Nes Ammim Deutschland e.V. und an die Jüdischen Kultusgemeinden im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland gegangen ist, nachfolgend im Wortlaut:


„Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,

die Menschen im Nahen Osten erleben in diesen Tagen eine erschreckende Eskalation der Gewalt.

Täglich wächst die Zahl der Opfer, besonders unter der Zivilbevölkerung.
Die Situation der Flüchtlinge aus dem Krisengebiet ist bedrückend.
Nur zu verständlich ist darum die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und der Aufnahme von Verhandlungen. Es muss in der Tat alles Menschenmögliche getan werden, andere als militärische Lösungen für den gegenwärtigen Konflikt zu finden.

Darum beten wir für Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen und Völker im Nahen Osten, insbesondere für die, die durch die Kampfhandlungen in Israel, im Libanon und in Palästina an Leib und Seele verwundet sind, und für die, die den Verlust von Angehörigen und Freunden beklagen. Und wir unterstützen nach unseren Möglichkeiten weiterhin unsere Partner in Israel und Palästina, die sich für einen gerechten Frieden und für Versöhnung einsetzen.

Mit Sorge verfolgen wir die zunehmend einseitiger werdende Berichterstattung, die auch in der öffentlichen Diskussion ihren Niederschlag findet.

Die Reaktion Israels auf die Entführung israelischer Soldaten an den Grenzen zum Gazastreifen und dem Libanon sowie den Beschuss israelischer Wohngebiete durch Hamas und Hisbollah weckt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel, aber es dient dem Friedensprozess gewiss nicht, in diesem Konflikt Ursache und Wirkung zu verwechseln:

Im Süden wie im Norden sind die Kampfhandlungen durch das Vordringen von Hamas und Hisbollah-Aktivisten auf israelisches Gebiet provoziert worden.
Israel hat sich gemäß der Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrats vom August 2004 aus dem Libanon zurückgezogen; die libanesische Regierung aber hat es bis heute nicht vermocht, die Hisbollah zu entwaffnen und die eigene Armee an der Grenze zu stationieren, wie es die Resolution vorsieht.

Israel hat sich aus dem Gaza-Gebiet zurückgezogen, um damit den Weg zu einer wirklich autonomen palästinensischen Selbstverwaltung frei zu machen. Die Hamas-Regierung aber, wie auch die Führung der Hisbollah,  propagieren weiterhin den Anspruch auf ganz „Palästina“ und unterstreichen ihre Forderung durch Vernichtungsdrohungen und anhaltenden Raketenbeschuss auf israelische Dörfer und Städte.

Wir rechtfertigen Israels Politik damit nicht kritiklos, das tun auch viele Israelis nicht. Aber jede Kritik an Israel muss die besondere Geschichte und Situation dieses Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger im Blick haben und darf die Gewalt, die von der arabischen Seite ausgeht, nicht verharmlosen.

Darum stellen wir uns auch an die Seite der jüdischen Kultusgemeinden in Deutschland, die um die Existenz Israels bangen. Wir warnen davor, die gegenwärtige Situation im Nahen Osten wieder einmal als Legitimation für antijüdische Äußerungen und Aktionen in unserem Land zu missbrauchen.

Als Christinnen und Christen glauben wir, dass Gottes Liebe allen Menschen gilt und dass die selig gepriesen werden, die Frieden stiften; dass es in allen Konfliktparteien Menschen gibt, die wissen, dass Gewalt und Krieg Konflikte nicht lösen können, die mutig und ausdauernd Schritte aufeinander zu tun und sich so für einen Frieden einsetzen, der allen gerecht wird; dass das Friedensgebot jüdische, christliche und islamische Männer und Frauen verbindet, und wir um Gottes Willen miteinander entdecken, wie wir diese Weisung für unser Zusammenleben fruchtbar machen können.
Wir bitten Gott um seinen Geist bei allen Bemühungen um eine Lösung des Konflikts, um seinen Frieden, der höher ist als alle menschliche Vernunft:

,Du Gott der Gerechtigkeit und des Friedens, wir bringen vor dich unsere Sorge und unsere Bitterkeit über die Spirale der Gewalt im Nahen Osten. Weinende Menschen auf allen Seiten, anklagende Trauer und zu allem entschlossene Kämpfer. Diese Bilder lassen uns nicht kalt. Wir meinen, Partei beziehen zu müssen. Aber wir bitten dich, bewahre uns davor, uns mit hinein ziehen zu lassen in unfruchtbare Schuldzuweisungen und Pauschalurteile. Schenke uns Besonnenheit und Wachsamkeit gegenüber Feindbildern, auch unseren eigenen.

Hilf uns an unserem Ort für die Heilung zerstörter Beziehungen zu sorgen.
Segne alle Menschen in Israel, Palästina und im Libanon, die sich im Einsatz für einen gerechten Frieden abmühen, dass sie ihren Mut nicht verlieren und die Früchte ihrer Arbeit erleben können.
Du Gott kannst auch aus dem Bösesten Gutes gebären. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi.‘


Wir bitten Sie herzlich, in Ihren Gesprächen über den Konflikt im Nahen Osten und Ihren Gottesdiensten für Besonnenheit einzutreten und, wo Ihnen immer möglich, auch den Kontakt zu den betroffenen Menschen zu pflegen.

Mit herzlichem Gruß
Ihr Wilfried Neusel
- Oberkirchenrat -


Weitere Informationen im Internet unter: www.ekir.de

Pressestelle der Evangelischen Kirche im Rheinland
25. Juli 2006