Damit Energie fließt – Kirchenzusammenschlüsse in Deutschland

Am 1. Juli tritt die “Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland” in Kraft

Lutherischer Weltbund (LWB)

30. Juni 2004

Der deutsche Protestantismus ist sichtlich in Bewegung geraten. Zu Jahresbeginn erschien mit der fusionierten “Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz” (EKBO) ein neues Gebilde auf der Landkarte der protestantischen Landeskirchen, deren Zahl sich damit um eine auf 23 verringerte. Ein halbes Jahr später, am 1. Juli, tritt durch den Zusammenschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen mit der benachbarten Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen die “Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland” (EKM) in Kraft. Und auch im Norden Ostdeutschlands, in Mecklenburg-Vorpommern, gibt es erste Überlegungen zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche.

Vom Zusammenschluss der lutherischen Kirche in Thüringen mit der unierten Kirchenprovinz Sachsen sind zwischen Thüringer Wald und Altmark rund eine Million Kirchenmitglieder betroffen. “Wir schalten heute die Überlandleitungen zusammen”, kommentierte Thüringens Landesbischof Prof. Dr. Christoph Kähler bei der Vertragsunterzeichnung am 18. Mai in Erfurt (Deutschland) den über Jahre vorbereiteten Schritt. Damit ließ er nicht nur seine ursprüngliche Profession als gelernter Elektromonteur erkennen, sondern auch das Hauptanliegen der neuen Kirchenstrukturen. Wichtig sei, “dass Energie fließt”, damit die Qualität der kirchlichen Arbeit in den Gemeinden Thüringens und Sachsen-Anhalts langfristig gesichert werden kann, so Kähler.

Das zielt auf vereinfachte und transparente Strukturen, die Kräfte bündeln und Doppelarbeit vermeiden. Gemeinsame kirchliche Einrichtungen und Werke sollen dabei effektive Dienstleister für beide Teilkirchen der künftigen Föderation werden. Gleichwohl war und ist dieser Weg nicht unumstritten. Anders als in der Kirchenprovinz Sachsen war die Zustimmung der Landessynode in Thüringen deutlich zurückhaltender.

Vorangegangen waren kontroverse Diskussionen in den Kirchenkreisen, von denen einige ausdrücklich gegen eine Föderation votierten. Sie sehen durch den Zusammenschluss regionale Eigenheiten gefährdet und befürchten nach den schmerzhaften Reformen der 1990er Jahre mit Stellenabbau und Mittelkürzungen weitere Einschnitte. Dagegen gab es auch Stimmen, denen eine Föderation als nicht weit reichend genug erschien und die deshalb eine Fusion forderten.

Laut Föderationsvertrag sollen noch in diesem Jahr gemeinsame Gremien und Organe wie Kirchenamt, Kirchenleitung und Synode der EKM gebildet werden. Die zweite Phase der Föderation beginnt 2008 auf der Grundlage einer neuen Kirchenverfassung und mit einem gemeinsamen Etat. Ein gemeinsamer Bischofssitz steht jedoch gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung. Beide Teilkirchen müssten auch weiterhin in den zwei Landeshauptstädten “in guter und effektiver Weise präsent sein”, hieß es.

Die Impulse für den Zusammenschluss waren vielfältig. Neben der sinkenden Finanzkraft in beiden Kirchen durch anhaltenden Mitgliederschwund war die Thüringer Seite in den 1997 begonnenen Gesprächen von Anfang an besonders an einer Regelung des “Erfurt-Problems” interessiert. Dessen Ursachen reichen letztlich zurück bis ins 19. Jahrhundert. Als 1802 in den Napoleonischen Kriegen preußische Truppen in Erfurt einmarschierten, beendeten sie die jahrhunderte lange Zugehörigkeit der Stadt zum Kurfürstentum Mainz. Nach Auflösung des Kurmainzischen Staates 1803 fielen noch im gleichen Jahr Erfurt und die übrigen mainzischen Gebiete im heutigen Freistaat Thüringen an die preußische Krone.

Während die damals entstandenen Grenzen auf der politischen Landkarte 200 Jahre später längst obsolet sind, haben sie als evangelische Kirchengrenzen alle Zeitläufe überdauert. Somit gehören die Thüringer Landeshauptstadt Erfurt und weitere Kirchenkreise der “Altpreußischen Union” in Nord- und Südthüringen heute zur Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen mit Bischofssitz in Magdeburg. Für die übrigen Regionen ist die lutherische Kirche in Thüringen mit Sitz in Eisenach zuständig.

Diese Überreste vergangener Zeiten führen in der Wahrnehmung der evangelischen Kirchen und bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben im Freistaat zwangsläufig zu Problemen.
Ganz konkret wird dies bei den erforderlichen regelmäßigen Kontakten zur Landesregierung etwa bei Fragen der Schul- und Jugendarbeit oder zur Denkmalpflege. Für Erfurt und die anderen Kirchenkreise auf altpreußischen Gebieten war in solchen und ähnlichen grundsätzlichen Fragen bisher formell nicht der Eisenacher Bischof zuständig, sondern sein Amtskollege aus Magdeburg. Nach dem Föderationsvertrag kann nunmehr auch der Eisenacher Bischof die Kirchenprovinz nach außen hin vertreten.

Mit der EKM schließen sich erstmals nach fast drei Jahrzehnten zwei etwa gleich große deutsche Landeskirchen zusammen. Ihre Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen konfessionellen Zusammenschlüssen innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bleibt davon unberührt. Während sich für Thüringen am historisch gewachsenen Charakter einer lutherischen Landeskirche nichts ändern wird, hält ihrerseits die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen mit ihren rund 533.000 Mitgliedern an den Traditionen als unierte Kirche fest.

Der preußische Koenig Friedrich Wilhelm III. hatte 1817 in seinem Territorium die kirchliche Vereinigung lutherischer und reformierter Gemeinden verfügt, wodurch unierte Kirchen entstanden, die heute zur Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) gehören. Nicht zuletzt deshalb könnte der begonnene Reformprozess durchaus beispielhaft für weitere Veränderungen in der evangelischen Kirchenlandschaft Deutschlands sein, betonte Landesbischof Kähler, der auch stellvertretender EKD-Ratsvorsitzender ist. Im Westen Deutschlands habe jedoch die Diskussion um neue Strukturen zur Existenzsicherung der Kirchen “bisher noch nicht begonnen”, gibt Kähler zu bedenken.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen hat 479.298 Mitglieder und gehörte 1947 zu den Gründungsmitgliedern des Lutherischen Weltbundes.

(Ein Beitrag von Thomas Bickelhaupt, Weimar.)

Weimar (Deutschland)/Genf, 29. Juni 2004

Pressestelle des LWB