Regionalbischöfin Breit-Keßler predigte im Trauergottesdienst in Bad Reichenhall

Rettungskräfte und Seelsorger sind lebendige Symbole für die Zusage Gottes, dass er die Menschen auch in tiefster Not und Trauer nicht alleine lässt.

Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern

10. Januar 2006

In ihrer Predigt in dem ökumenischen Trauergottesdienst in der Kirche St. Zeno in Bad Reichenhall würdigte die Ständige Vertreterin des Landessbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, heute die Rettungskräfte, freiwilligen Helfer und Pfarrer, die den Hinterbliebenen und Freunden der Opfer nach dem Einsturz der Eishalle beistanden, als , „lebendige Symbole“ für die göttliche Zusage, dass Gott die Menschen auch in tiefster Not nicht allein lasse. Gemeinsam mit den Familienangehörigen und Freunden hätten sie so ein eindrückliches Beispiel für die Zusage Gottes gegeben, wie sie im Text der Jahreslosung, also des Mottos, unter dem Christen in diesem Jahr leben wollen, verheißen ist: „Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“

Die drängende Frage nach dem Grund für soviel menschliches Leid könne keine „noch so gescheite Theologie“ beantworten, so Breit-Keßler weiter. Es gebe Leid, so wie in diesem Fall, das man nur miteinander aushalten könne. Auch wenn die Untersuchungen der Experten die Ursache, die vor einer Woche zu dem Einsturz der Eishalle geführt hatte, ermitteln würden, ändere dies nichts am Elend und an der Trauer der betroffenen Familien. Auf ihr Leid gebe es nur diese eine verzweifelt-zuversichtliche Antwort, so die Ständige Vertreterin wörtlich: „Gott verlässt uns nicht und er weicht nicht von uns. Nicht an den Höhepunkten und nicht in den tiefen Abgründen, in die wir fallen.“ Die Wahrheit dieser Zusage erweise sich in der Kraft, die einem zuwachse, wenn man sie nicht mehr erwarte und auch nicht mehr aus sich selbst nehmen könne.

Den ökumenischen Trauergottesdienst gestaltete die Ständige Vertreterin des Landesbischofs gemeinsam mit dem Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter.

München, 10. Januar 2006

Michael Mädler
Stellv. Pressesprecher

Die Predigt im Wortlaut:

"Ich lese aus dem Buch Josua im Alten Testament, aus dem ersten Kapitel. Die Verse, die Sie hören werden, enthalten die Jahreslosung für uns Christen. Das Wort, unter dem wir dieses Jahr leben möchten: „Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht´“.

Nachdem Mose gestorben war, sprach der HERR zu Josua …: Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe.
Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht….

Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.(Josua 1, 1-2.5.9)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Trauergemeinde!

Mit vielen Hoffnungen und guten Wünschen begann das neue Jahr. Zuversichtlich wollte man in 2006 gehen; es sollte besser, fröhlicher werden als die vergangenen Monate. Kaum zwei Tage alt, hat das neue Jahr unendlichen Schmerz und großes Leid gebracht. Drei Menschen wurden von einer Lawine in den Tod gerissen. Die Trümmer der Eishalle in Bad Reichenhall begruben Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter sich. Manche haben überlebt, sind mit dem Schrecken davon gekommen. Andere sind schwer verletzt. Und unter bitteren Tränen müssen Väter und Mütter, Ehepartner und Freunde fassungslos zuschauen, wie Kinder und Erwachsene nur noch tot geborgen werden können. Blühendes Leben – ausgelöscht von einer Minute auf die andere.

Fragen werden laut: War die Schneelast auf dem Dach schuld? War das Gebäude nicht schon längst sanierungsbedürftig? Ist ein Materialfehler die Ursache? Experten, Sachverständige sind mit solchen Überlegungen befasst und versuchen, erste Antworten zu geben. Die Frage nach Schuld und Verantwortung ist ganz selbstverständlich: Man will Ursachen kennen, Gründe wissen für das, was einem so unfassbar, so entsetzlich sinnlos vorkommen muss. Inzwischen haben die Behörden mit ihren Ermittlungen begonnen. Das ist die juristische Seite, die im Lauf der Zeit wohl geklärt werden wird.

Am Elend der betroffenen Familien, an ihrer Trauer, ändern die möglichen Erkenntnisse nichts. Sie haben Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu beklagen. Nichts mehr wird so sein, wie es vorher war. In der Jahreslosung für 2006 wird eine Zusage von Gott gemacht: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“. Das mag zunächst wie  ein massiver Widerspruch zu Ihren Erfahrungen klingen, liebe Trauernde – müssen Sie doch einen Schmerz tragen, der Sie zu zerbrechen droht, fühlen Sie sich wie zu Boden geschmettert und vollkommen allein. Die drängende Frage nach dem „Warum?“ lässt sich auch nicht beantworten – mit keiner noch so gescheiten Theologie. Es gibt Leid, für das wir keine Ursache ausmachen, keinen Grund finden, Leid, das wir nur miteinander aushalten, auf das wir aber keine Antwort geben können.

Noch vor kurzem haben wir Weihnachten gefeiert - die Geburt des göttlichen Kindes. Als Maria und Josef den kleinen Jesus, wie es Brauch ist, in den Tempel bringen, treffen sie dort auf den alten Propheten Simeon. Er wiegt das Kind in seinen Armen, lobt Gott und sagt zu Maria, der Mutter des Herrn: „Siehe, … er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen vieler Herzen Gedanken offenbar werden. Und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen“ (Lukas 2, 28.34). Was damit gemeint ist, spüren Sie, liebe Trauernde, in diesen Tagen in schrecklicher Intensität. Und wir alle müssen begreifen: Nicht einmal das göttliche Kind, nicht einmal Gott selbst, bleibt verschont vom Widerspruch, vom Leid, von Sterben und Tod.

Gott setzt sich den bittersten Erfahrungen, die Menschen machen können, aus, um ihnen in ihrem Schmerz ganz nahe zu sein – dann, wenn durch die Seele ein Schwert dringt. Auf unser, auf Ihr Leid gibt es nur die eine, verzweifelt-zuversichtliche Antwort: Gott verlässt uns nicht und er weicht nicht von uns. Nicht an den Höhepunkten und nicht in den tiefsten Abgründen, in die wir fallen, nicht in den dunkelsten Tälern, durch die wir hindurch müssen. Alle, die für Sie, liebe Trauernde,  in diesen Tagen da waren, da sind und es auch künftig sein werden, die Rettungskräfte, die freiwilligen Helfer und Helferinnen, Pfarrerinnen und Pfarrer, Familie und Freunde: Sie sind lebendige Symbole für die göttliche Zusage: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“.

Wenn wir gebraucht werden und unsere Anwesenheit von Nöten ist, dann können und sollen wir das alle tun:

Trösten, wo Trost erbeten ist.

Klage und unaussprechlichen Jammer vor Gott bringen.

Worte für die Stummen finden und mit denen schweigen, die sich nach Stille sehnen.

In den Arm nehmen und diejenigen halten, die keinen Halt mehr haben.

Mit Worten der Zuversicht auf ewiges Leben und liebevolle Geborgenheit bei Gott alle segnen, die auf ihrem letzten Weg geleitet werden.

„Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht “ – die Wahrheit dieser göttlichen Zusage erweist sich in allem, was Menschen im Glauben an Gott für andere an Liebevollem und Fürsorglichem tun.

Sie erweist sich in der Kraft, die einem dann zuwächst, wenn man sie nicht mehr erwartet und auch nicht mehr aus sich selbst heraus nehmen kann. Einer unserer bedeutendsten Pfarrer, Dietrich Bonhoeffer, hat vor seinem gewaltsamen Tod geschrieben, er glaube, dass Gott uns nicht im Voraus, aber doch in jeder Not soviel Widerstandskraft  geben will, wie wir brauchen. Das ist es, was bleibt: Sich mit seiner Trauer Menschen anvertrauen, die einem unerschütterlich und herzensgut zur Seite stehen. Die mit uns, mit Ihnen, die furchtbaren Widersprüche dieses Lebens aushalten und tragen. Und es bleibt, auf Gott zu bauen, der uns, den Kindern, Frauen und Männern ein ewiges Zuhause bei sich, in seinen Armen verspricht: Heute, alle Tage, über unseren Tod hinaus.

Amen."