Thies Gundlach: Kirche muss die Menschen "von falschen Ängsten befreien"

Frankfurt a.M. (epd). Die Generation der 35- bis 45-Jährigen lebt nach Ansicht des Kasseler Soziologen Heinz Bude in der ständigen Angst, Fehler zu machen und ihre Potenziale nicht richtig auszuschöpfen. Vorherrschend für die oft aus dem Milieu der akademischen Intelligenz stammenden Frauen und Männer sei die Gefühlslage der Bedrohung, sagte Bude bei einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie Frankfurt zum Thema "Angstgesellschaft und Reformation". Alle ihre Bemühungen drehten sich um ein gelungenes Leben. Sie orientierten sich ständig an den Anderen und seien zutiefst frustriert, wenn ihre Selbstoptimierung scheitere.

Für den Vizepräsidenten des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Thies Gundlach, kam mit der Reformation die Befreiung von Ängsten in die Welt. "Der innere Mensch wurde selbstbewusst, konnte plötzlich gerade stehen und aufrecht gehen." Allerdings seien durch die Reformationen nicht alle Ängste verschwunden, räumte Gundlach ein. Denn nach wie vor fürchteten sich die Menschen vor Liebesentzug, Kriegen oder der Klimakatastrophe. Aufgabe der Kirche sei es, "von falschen Ängsten zu befreien und mit einem unaufgeregten Ton gegen apokalyptische Aufgeregtheiten" anzugehen.

Ängste nicht kleinreden

Bude, Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel und Autor ("Gesellschaft der Angst", "Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen"), führte die lähmende Angst der jüngeren Generation vor allem darauf zurück, "dass für sie alle Bedrohungen in der Zukunft liegen". Dagegen sei für die Jahrgänge 1944 bis 1964 das Schlimmste – Angriffskrieg und Völkermord – schon Vergangenheit gewesen. "Für sie konnte es immer nur besser werden." Bude riet der Politik, die Ängste der 35- bis 45-Jährigen nicht kleinzureden oder gar zu dementieren, sondern ihnen zu versichern, "dass sie keine Angst vor ihrer Angst zu haben brauchen" und dass es auch immer einen Plan B und C gebe.

Die jüngere Generation ist nach Überzeugung von Bude auch ein Grund für das Erstarken der populistischen Bewegungen in Europa.  Dies mache eine neue kulturelle Bruchlinie sichtbar. Sie verlaufe zwischen einem "strikten Territorialismus" der Jüngeren und einem "laxen Kosmopolitismus" der Älteren.

26. April 2017

 

 

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