Auslandbischof: Lange geführter Dialog hält auch etwas aus

Frankfurt a.M./Rostow (epd). In Rostow am Don geht an diesem Donnerstag ein Treffen zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Russischen Orthodoxen Kirche zu Ende. Der evangelische Auslandsbischof Martin Schindehütte sieht die zwischenkirchlichen Beziehungen auf einem guten Weg. "Ein so lange geführter Dialog hält auch etwas aus", sagte der Vizepräsident im EKD-Kirchenamt zu Verstimmungen, die es zwischen beiden Kirche zuletzt gegeben hatte. Die Diskussionen über die russische Frauen-Punkband "Pussy Riot" hätten bei der Unterredung keine Rolle gespielt.

epd: Nach einer längeren Pause haben die Evangelische Kirche in Deutschland und die Russische Orthodoxe Kirche den bilateralen Dialog wieder aufgenommen. Sind die Differenzen der vergangenen Jahre ausgeräumt?

Martin Schindehütte: Die Differenzen sind bearbeitet und stehen einem konstruktiven Dialog nicht im Wege. Ein substanzieller Dialog wird ja gerade auch über Differenzen geführt. Denn darin liegt ein besonderes Potenzial gegenseitigen Lernens. Die Dokumentation vergangener Dialoge hat den schönen Titel: "Hinhören und Hinsehen". Genau darum geht es, wenn ein Dialog gelingen soll.

epd: Bei dem Treffen in dieser Woche geht es um die Herausforderungen, denen sich Kirchen in der multikulturellen Gesellschaft gegenübersehen. Was können die Orthodoxen und die Protestanten voneinander lernen?

Schindehütte: Wir können gemeinsam lernen, uns aktiv und selbstbewusst in das Gespräch der Kulturen einzubringen mit dem Ziel, gemeinsame Orientierungen zu gewinnen, ohne die eine Gesellschaft ihre Zukunftsfähigkeit verliert. Ohne eine gemeinsame Kultur gegenseitigen Respektes, der Solidarität, der Lebensdienlichkeit und des Eintretens für die kommenden Generationen zerfällt eine Gesellschaft. Unser gemeinsamer christlicher Glaube ermutigt, befähigt und verpflichtet uns zu dieser Verantwortung für das Ganze von Gottes guter Schöpfung.

epd: Seit dem Auftritt der feministischen Punkband "Pussy Riot" in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale debattiert Russland über Blasphemie, Meinungsfreiheit und den Einfluss der Kirche in Staat und Gesellschaft. In der Bundesrepublik wird von Kirchenleuten dafür geworben, bei Provokationen religiöser Gefühle mehr auf Anstand als auf schärfere Strafen zu setzen. Welches Vorgehen empfehlen Sie für solche Fälle? Ist die rechtliche Aufarbeitung des "Pussy-Riot"-Auftritts auch ein Thema der zwischenkirchlichen Kontakte?

Schindehütte: In der Debatte um "Pussy Riot" muss man verschiedene Ebenen auseinanderhalten. Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass der Auftritt völlig inakzeptabel war. Menschen in ihren religiösen Gefühlen zutiefst zu verletzen, führt niemals in eine konstruktive Auseinandersetzung. Man muss auch an die bitteren Erfahrungen denken, die die Russische Orthodoxe Kirche mit gegen sie gerichteten blasphemischen Handlungen insbesondere in der kommunistischen Zeit machen musste. Das schwingt mit in ihren Reaktionen.
Etwas anderes ist das vom Gericht ausgesprochene Strafmaß, das ebenso unangemessen ist und scharf kritisiert werden muss. Ein Drittes ist der ja nicht angenommene Vorschlag, der Band den Preis "Das unerschrockene Wort" zu verleihen. Luther hat mit seinem unerschrockenen Wort der Dialog gesucht. Das kann ich in der Aktion der Band nicht erkennen. Bei unseren Gesprächen hat die Debatte um "Pussy Riot" keine Rolle gespielt.

epd: Der Dialog der EKD mit der Russischen Orthodoxen Kirche geht bis in das Jahr 1959 zurück. Wie würden Sie den Stand der Beziehungen nach einem halben Jahrhundert beschreiben? Was sind die Perspektiven?

Schindehütte: Ein so lange geführter Dialog hält auch etwas aus. Wir sind dankbar, dass unser gegenwärtiger Dialog in Rostow am Don in großer Offenheit und Herzlichkeit geführt worden ist. Wir sehen in einer Gesellschaft, die pluralistisch und kulturell sehr heterogen geworden ist, die große gemeinsame Aufgabe, unseren Glauben und die gesellschaftliche Verantwortung, die aus ihm erwächst, gemeinsam zu bedenken und wahrzunehmen. Dabei gibt es eine Reihe von erheblichen Differenzen, die unserem unterschiedlichen geschichtlichen und kulturellen Kontext geschuldet sind. Diese Differenzen gilt es in gegenseitigem Hinhören und Hinsehen kritisch zu bearbeiten und produktiv zu wenden. Dieser Dialog hat uns auf diesem Weg ein gutes Stück vorangebracht.

epd: Der Besuch in Rostow am Don hat für Sie auch einen persönlichen Aspekt. Was verbinden Sie mit der südrussischen Stadt?

Schindehütte: In der Tat: Mein Vater war als Wehrmachtssoldat nach der zweiten Eroberung in dieser Stadt stationiert. Er hat von seinen schrecklichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg nichts erzählt. Von der Zeit ohne Kämpfe, die er in Rostow verbracht hat, hat er uns Kindern mit Wärme und Dankbarkeit erzählt. Mitten im Wüten des Krieges eine Zeit, in der er etwas von der Schönheit der Stadt und ihrer Kultur wahrnehmen durfte. Es ist durchaus bewegend, 70 Jahre später vor der orthodoxen Kathedrale zu stehen, die auch ihn beeindruckt hat, und den warmen Klang im Ohr zu haben, mit dem er den Namen der Stadt ausgesprochen hat.

13. Dezember 2012

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