"Menschliches im Zentrum"

Fulda (epd). Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär erwartet vom 32. Deutschen Evangelischen Kirchentag, dass er in der Wirtschaftskrise Orientierung gibt. "Das Menschliche steht für uns im Zentrum allen Handelns", sagte Ueberschär dem epd. Es gehe um die Suche nach Maßstäben: "Wie muss verantwortliches Handeln aussehen?"

Breiten Raum werden laut Ueberschär in Bremen die Themen Demokratie und Bildung einnehmen. "Nach 60 Jahren Bundesrepublik und 20 Jahre nach der friedlichen Revolution ist die Zukunft des Rechtsstaates, der Demokratie, des sozialen Miteinanders in der multikulturellen Gesellschaft wichtig", sagte die Theologin. Außerdem spiele bei den rund 2.500 Veranstaltungen vom 20. bis 24. Mai auch der Klima- und Umweltschutz wieder eine große Rolle.

Nach Einschätzung Ueberschärs hat sich die Diskussionskultur in der 60-jährigen Geschichte des Kirchentages verändert: "Die Zeiten der massiven Kritik, die nicht zuhört, sind vorbei. Das war noch auf den Kirchentagen der 70er und 80er Jahre der Fall." Angesichts dessen erwarte sie auch ein "differenziertes Herangehen" an all jene Fragen, die mit der Wirtschaftskrise und der Verantwortung von Managern verbunden sind: "Die Bereitschaft, sich auf Diskussionen einzulassen, ist auf beiden Seiten gewachsen."

11. Mai 2009


Das Interview im Wortlaut:

Stimme für evangelische Laien

Generalsekretärin Ellen Ueberschär zur Bedeutung des Kirchentags und die Themen in Bremen

Fulda (epd). Demokratie und Bildung werden ganz oben auf der Tagesordnung des 32. Deutschen Evangelischen Kirchentages vom 20. bis 24. Mai in Bremen stehen. Das kündigte die Generalsekretärin des Kirchentages, Ellen Ueberschär, im epd-Interview an. Nach 60 Jahren Bundesrepublik und 20 Jahre nach der friedlichen Revolution seien die Zukunft des Rechtsstaates, der Demokratie und des sozialen Miteinanders in der multikulturellen Gesellschaft zentrale Themen des Christentreffens. Mit Ueberschär sprachen die epd-Redakteure Rainer Clos, Karsten Frerichs und Thomas Schiller.

epd: Wird die aktuelle Wirtschaftskrise zum alles beherrschenden Thema des Kirchentags?

Ueberschär: Natürlich werden die Themen, die mit der Wirtschaftskrise zusammenhängen, in Bremen breiten Raum einnehmen. Aber uns hat die Krise nicht überrascht. Die kritische Auseinandersetzung mit der Globalisierung ist für den evangelischen Kirchentag nicht neu. Nun ist die Zeit des Umdenkens gekommen. Inzwischen haben wir den Punkt erreicht, den der Club of Rome in seinen Thesen zu den Grenzen des Wachstums schon 1972 vorhergesagt hat.

epd: Was kann der Kirchentag zur Debatte beisteuern?

Ueberschär: Wir sind kein Wirtschaftsforum. Der Kirchentag steht unter dem Leitwort: "Mensch, wo bist du?". Das Menschliche steht für uns im Zentrum allen Handelns. Dem Kirchentag geht es um die Suche nach Maßstäben: Welche gesellschaftliche Linien brauchen wir? Und was kann der Einzelne tun, von der Bundeskanzlerin bis zur Krankenschwester? Wie muss verantwortliches Handeln aussehen?

epd: Was wird für Sie persönlich ein Höhepunkt im Programm?

Ueberschär: Besonders gespannt bin ich auf den gemeinsamen Auftritt von Altkanzler Helmut Schmidt und Weltbank-Präsident Robert Zoellick, die über das Thema "Verantwortung in der globalen Krise" sprechen werden.

epd: Wird sich der Kirchentag der Managerschelte anschließen, die aus Teilen von Kirche und Gesellschaft laut wurde?

Ueberschär: Die Zeiten der massiven Kritik, die nicht zuhört, sind vorbei. Das war noch auf den Kirchentagen der 70er und 80er Jahre der Fall. Die Bereitschaft, sich auf Diskussionen einzulassen, ist auf beiden Seiten gewachsen. Ich erwarte ein differenziertes Herangehen, wie es auch in der Unternehmer-Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland vom vergangenen Jahr zum Ausdruck gekommen ist.

epd: Welche weiteren thematischen Schwerpunkte setzt der Bremer Kirchentag?

Ueberschär: Demokratie und Bildung werden ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Nach 60 Jahren Bundesrepublik und 20 Jahre nach der friedlichen Revolution ist die Zukunft des Rechtsstaates, der Demokratie, des sozialen Miteinanders in der multikulturellen Gesellschaft wichtig. Mehrere Podien, unter anderem mit Gesine Schwan, der Kandidatin für das Bundespräsidentenamt, Arbeitsminister Olaf Scholz und IG-Metall-Chef Berthold Huber widmen sich Bildungsfragen. Natürlich spielt auch der Klima- und Umweltschutz wieder eine große Rolle. Und im Jubiläumsjahr widmet sich der Kirchentag nicht nur den genannten Jahrestagen, sondern blickt selbst auf 60 Jahre Kirchentagsgeschichte zurück.

epd: Wo steht der Kirchentag nach 60 Jahren?

Ueberschär: Der Kirchentag ist eine der wenigen Veranstaltungen, die aus sich heraus solch eine Stärke entwickeln, dass auf sie gehört wird. Der Kirchentag ist noch immer ein großes zivilgesellschaftliches Forum, das evangelischen Laien eine Stimme gibt. Dazu ist es wichtig, dass wir wiederum auf den Podien und in den Gremien glaubwürdige und verantwortungsvolle Menschen versammeln.

epd: Nächstes Jahr feiern sie gemeinsam mit Katholiken den zweiten Ökumenischen Kirchentag in München. Welche Bedeutung wird die Ökumene schon 2009 in Bremen spielen?

Ueberschär: Die Ökumene ist ein Querschnittsthema. Sie spielt in vielen Veranstaltungen eine Rolle, zwei davon haben wir gemeinsam mit dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken vorbereitet. Natürlich wird es mehrere ökumenische Gottesdienste geben, darunter einen großen Open-Air-Gottesdienst zu Himmelfahrt auf dem Bremer Markt.

epd: Gibt es Bewegung im Dialog zwischen Protestanten und Katholiken?

Ueberschär: Ich denke, in den großen theologischen Fragen sind auf wissenschaftlicher Ebene viele Dinge erreicht, die kirchlich umgesetzt werden müssen. Dort wird es aber nach meinem Eindruck in absehbarer Zeit keine Bewegung geben. Viel wichtiger erscheint mir momentan die Zusammenarbeit in den Gemeinden. In ganz praktischen Dingen wie gemeinsamen Angeboten zum Beispiel in der Kinder- und Jugendarbeit und der Sozialarbeit passiert mancherorts sehr viel, an anderen Orten ist noch viel zu tun.

epd: Wird die Affäre um den Holocaust-Leugner Richard Williamson und das umstrittene Bemühen Papst Benedikts XVI. um eine Annäherung an die ultrakonservativen Piusbrüder in Bremen eine Rolle spielen?

Ueberschär: Nein, das ist nicht unser Thema. Unser Verhältnis zum Papst ist geklärt.

epd: Eng mit der Affäre Williamson verbunden ist die Frage des jüdisch-christlichen Verhältnisses.

Ueberschär: Das treibt auch uns stark um. Aus meiner Sicht kann das Verhältnis zum Judentum ein großes Zukunftsthema für die Ökumene sein. Daran werden wir in München arbeiten. Hinzu tritt der muslimisch-christliche Dialog. Für Bremen planen wir eine trialogische Bibelarbeit, um theologischen Gemeinsamkeiten im Verhältnis der Religionen nachzugehen.

epd: Die Auseinandersetzung mit dem Islam spielte beim Kirchentag vor zwei Jahren in Köln eine zentrale Rolle. Wird das in Bremen auch so sein?

Ueberschär: Migration und Integration bleiben natürlich große gesellschaftliche Themen. In Bremen werden wir uns damit unter dem Blickwinkel von Bildung auseinandersetzen. Aber es gibt auch wieder das Zentrum Muslime und Christen. Letztlich wird auch das christlich-muslimische Verhältnis beim Bremer Kirchentag ein Thema sein, das in vielen Veranstaltungen eine Rolle spielt, auch wenn die Präsenz der Muslime in der diesjährigen Gastgeberstadt deutlich geringer ist als in Köln 2007.

epd: 100.000 Dauerteilnehmer werden in Bremen erwartet, der Kirchentag ist ohne Frage eine Massenveranstaltung. Ist angesichts der wachsenden Kommunikation insbesondere junger Leute in unzähligen virtuellen Gemeinschaften des Internets solch ein Massenereignis überhaupt noch zeitgemäß?

Ueberschär: Die persönliche Begegnung ist das, was Menschen zu Menschen macht. Natürlich nutzt der Kirchentag die Möglichkeiten des Internets, um die Leute nach Bremen einzuladen und den Kirchentag zu begleiten. Die Programmdatenbank zu den mehr als 2.500 Veranstaltungen zum Beispiel ist erstmals per Mobiltelefon abrufbar. Aber einen rein virtuellen Kirchentag im Netz - den kann ich mir nicht vorstellen. Der Kirchentag lebt von der Begegnung von Mensch zu Mensch, die durch nichts zu ersetzen ist.

11. Mai 2009

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