Ethiker Tanner: Unterschiedliche Haltung der Kirchen zu Stichtag für Stammzellforschung

Frankfurt a.M. (epd). Der evangelische Ethikprofessor Klaus Tanner hat dem öffentlichen Eindruck widersprochen, die Ablehnung einer Verlegung des Stichtages zur Stammzellforschung könne sich auf einen Konsens zwischen den Kirchen berufen. In den Kirchen, auch in der katholischen, gebe es wie in den meisten Parteien zu dieser Frage unterschiedliche Positionen, sagte Tanner in einem epd-Gespräch. Die massive Kritik vor allem von katholischer Seite an dem CDU-Beschluss zur Fristverlängerung führte der Theologieprofessor darauf zurück, dass Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) nicht einfach als "verlängerter Arm der katholischen Kirche" handele.

Derzeit dürfen Forscher in Deutschland nur an embryonalen Stammzelllinien forschen, die vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind. Auf dem CDU-Parteitag hatten sich die Delegierten mit einer knappen Mehrheit dafür ausgesprochen, eine Lockerung dieser Regelung nicht auszuschließen. Auch in der evangelischen Theologie und Kirche gebe es Befürworter einer Stichtagsverlegung, argumentierte Tanner. So habe sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, für eine Verschiebung des geltenden Stichtages ausgesprochen. Damit werde das hohe Niveau des Embryonenschutzes nicht abgeschafft, sondern unter gewandelten Bedingungen aufrechterhalten, so Tanner.

Auch der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hermann Barth, befürwortete eine Verschiebung des Stichtages. "Wer den Stammzellen-Kompromiss von 2002 mitgetragen hat, bewegt sich in Logik und Geist dieses Kompromisses, wenn er heute eine Verschiebung des Stichtages bejaht", sagte Barth der "Süddeutschen Zeitung" (Freitagsausgabe). Eine Verschiebung des Stichtages sei "nicht die Preisgabe, sondern eine Stärkung der politischen Verantwortung".

Der in Halle-Wittenberg lehrende Theologe Tanner sagte, es gebe kein Definitionsmonopol für das christliche Menschenbild. So nähmen etwa Kirchen in der Schweiz oder Großbritannien in der ethisch strittigen Frage des Schutzes menschlicher Embryonen weniger restriktive Positionen ein. Das Festhalten am bisherigen Stichtag sei nicht automatisch der ethisch eindeutige oder gute Weg, sagte Tanner im Blick auf die deutsche Debatte. Er warnte nachdrücklich vor einem faktischen Forschungsverbot.

Gleichwohl hält der Ethiker eine Stichtagsregelung für sinnvoll. Dadurch ergebe sich ein zeitlicher Puffer zwischen der Erzeugung der Embryonen für künstliche Befruchtungen und der Forschung an den überschüssigen Embryonen. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Bedarf an Embryonen in der Forschung und dem ärztlichen Handeln in der Fortpflanzungsmedizin könne so vermieden werden.

14. Dezember 2007

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