Bischof Huber würdigt Gründe für Münteferings Rücktritt

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, hat den Rücktritt von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) mit "großem Bedauern" zur Kenntnis genommen. Müntefering habe stets mit "großer Aufopferung das Beste für das Land gesucht", sagte Huber am Dienstag in Berlin. Ihn beeindrucke sehr, dass Müntefering aus familiären Gründen zurückgetreten sei, um bei seiner krebskranken Frau zu sein, sagte Huber. Dafür und für seine Lebensleistung gebühre Müntefering "außerordentlicher Respekt".

Huber äußerte sich in der Evangelischen Akademie zu Berlin während einer Diskussionsrunde zum Thema "Das Kapital des Alters". Müntefering, der ebenfalls eingeladen worden war, hatte seine Teilnahme abgesagt.

13. November 2007

EKD-Pressemitteilung "Huber: "Wandel der Wahrnehmungskultur des Alters nötig" - Bedauern über den angekündigten Rücktritt von Müntefering"


Kurze Sätze, klare Überzeugungen

Franz Müntefering hat den politischen Stil in Berlin mitgeprägt - Nun tritt er zurück

Von Bettina Markmeyer und Asmus Hess (epd)

Berlin (epd). Zweieinhalb Wochen ist es her, dass er seine Partei noch einmal mitgerissen hat: Franz Müntefering hatte mit seiner Rede über gute Arbeit und faire Löhne dem Hamburger SPD-Parteitag ein Glanzlicht aufgesetzt. Die Delegierten trampelten, johlten und applaudierten minutenlang. Müntefering erzeugte ein Gemeinschaftsgefühl, wo sonst bestenfalls Geschlossenheit herrscht.

"Es ist noch was da, ich bin noch nicht ausgetrocknet", hatte der Arbeitsminister den Delegierten am Ende seiner Rede zugerufen. Gemünzt war das auf die Auseinandersetzung mit dem Parteivorsitzenden Kurt Beck um das Arbeitslosengeld I, die Müntefering verloren hatte. In seiner Rede verlor er darüber kein Wort. Nun tritt Franz Müntefering als Arbeitsminister und Vizekanzler zurück.

Für seinen Schritt ließ der 67-Jährige am Dienstag in Berlin durch seine Sprecher "rein familiäre Gründe" angeben. Seine Frau ist schwer krank. Müntefering hat schon in den vergangenen Tagen Termine abgesagt und auch an einem Koalitionsausschuss vor gut einer Woche nicht teilgenommen. Am späten Nachmittag wollte er sich vor der Bundespressekonferenz äußern.

Es ist sein zweiter Rücktritt. Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, am 15. November 2005, wählte die SPD in Karlsruhe Matthias Platzeck zu ihrem neuen Parteivorsitzenden - und zum Nachfolger von Franz Müntefering. Müntefering hatte das Amt nur knapp anderthalb Jahre inne gehabt.

Er war als SPD-Parteivorsitzender zurückgetreten, weil er seinen Kandidaten, Kajo Wasserhövel, nicht als Generalsekretär hatte durchsetzen können. Der Parteivorstand wählte die Linke und heutige stellvertretende Parteivorsitzende Andrea Nahles. Nahles nahm die Wahl nicht an, Generalsekretär wurde Hubertus Heil. Beobachter meinten noch in Hamburg, das sei dumm gelaufen damals, Müntefering fehle an der Spitze der Partei.

Müntefering ist ein Vollblut-Sozialdemokrat, der sich von ganz unten nach ganz oben gekämpft hat. Sein Weg führte ihn aus einer katholisch geprägten Arbeiterfamilie über acht Jahre Volksschule und eine Lehre zum Industriekaufmann bis an den Kabinettstisch. Im politischen Tagesgeschäft wirkt er prägnant und sachorientiert. Einer, der sich nicht anbiedert, in kurzen Sätzen spricht und weiter denkt als andere. Reden und denken hingen zusammen, sagte Müntefering einmal. Wer in zu langen Sätzen rede, sei häufig im Kopf nicht klar.

Müntefering treiben Überzeugungen an. Wer arbeitet, muss davon auch leben können. Das hat er immer wieder eingefordert. Dass die Union ihm seine Mindestlohn-Pläne verhagelt hat, empöre ihn, sagte Müntefering noch am Morgen seines Rücktritts: Er sei "tief enttäuscht" über das Agieren des Koalitionspartners beim Post-Mindestlohn.

Müntefering hat in seiner Karriere zahlreiche politische Ämter bekleidet. Er war Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, wurde Bundesverkehrsminister, dann Vorsitzender der SPD-Fraktion und schließlich Arbeitsminister. Sein Aufstieg in der Partei ging gradlinig vonstatten. Als Bundesgeschäftsführer baute er 1997 die "berühmte" Wahlkampfzentrale "Kampa", auf. Ein Jahr später zog Gerhard Schröder ins Kanzleramt ein.

Im politischen Alltagsgeschäft war Müntefering durchsetzungsfähig, auch wenn er zunächst selbst überzeugt werden musste. Als SPD-Fraktionschef im Bundestag half er maßgeblich mit, die auch in den eigenen Reihen umstrittenen Hartz-Gesetze durchzusetzen. Nach der Wahl 2005 trieb er die Bildung der großen Koalition mit Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin voran. An der Agenda 2010 aus der Schröder-Ära wollte er festhalten, auch noch, als sein Parteivorsitzender gemerkt hatte, dass er mit dem Arbeitslosengeld-I-Thema der SPD wieder einen sozialen Touch verleihen konnte.

Obwohl er die Linie der Agenda 2010 verteidigte, hat Arbeitsminister Müntefering diese Legislaturperiode vor allem dazu genutzt, Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Ältere zu machen. Die Merkel-Regierung legte auf seine Initiative hin mehrere Kombilohnprogramme auf. Er initiierte einen Zuschuss für Arbeitnehmer mit Niedriglöhnen, will den gesetzlichen Mindestlohn und hat noch in der Nacht zum Dienstag erreicht, dass die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere mit intensiver Arbeitsvermittlung gekoppelt wird.

"Gute Arbeit" für alle, das ist Münteferings Credo. Als Nachfolger im Arbeitsministerium ist der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Olaf Scholz, im Gespräch.

13. November 2007

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