Was das EKD-Impulspapier bewirkt hat

idea-Logo Wittenberg wird aufgewertet

Lange hat es nicht mehr so heiße Diskussionen über ein evangelisches Dokument gegeben wie über das Impulspapier „Kirche der Freiheit“, in dem die Leitungsspitze der Volkskirche – der Rat der EKD – im vergangenen Jahr ihre Visionen für das Jahr 2030 ausgebreitet hat. Ehrgeizige Ziele sind darin formuliert: So soll die Zahl evangelischer Kirchenmitglieder trotz schrumpfender Bevölkerung gehalten werden. Den Gottesdienstbesuch will man von heute 3,9% auf 10% steigern. Die Zahl der Landeskirchen soll von 23 auf acht bis zwölf schrumpfen. Vor der EKD-Synode, die vom 4. bis 7. November in Dresden zum Thema „evangelisch Kirche sein“ tagt, haben die idea-Redakteure Tobias-B. Ottmar und Marcus Mockler nachgehakt, was in einzelnen Landeskirchen von den Vorschlägen konkret umgesetzt wurde.

Blitzreformen sind nicht zu erwarten. Das liegt in der Natur der Sache, denn jede der 23 Landeskirchen ist autonom. Das heißt: Sie kann sich den Vorstoß des Impulspapiers zu eigen machen, kann das Dokument aber ebenso in den Reißwolf stecken, weil es rechtlich nicht bindend ist. Aus dieser Sicht ist es erstaunlich, wie positiv das Papier aufgenommen worden ist. Landessynoden, Pfarrkonvente und Evangelische Akademien haben darüber eifrig diskutiert. Der Wille, angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen und absehbarer Finanzlücken kirchliche Strukturen zu verändern, scheint durchaus vorhanden zu sein. Nur wenn es konkret werden soll, geraten Interessengruppen aneinander. Dann verlangsamen die Mühlen kirchlicher Entscheidungsgremien spürbar ihre Geschwindigkeit.

Grünes Licht für Personalgemeinden

In Baden sieht Landesbischof Ulrich Fischer (Karlsruhe) in dem Papier vor allem den Anstoß, über die Qualität von Predigten, Liturgie und der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen ins Gespräch zu kommen. „Das war bislang ein Tabu“, stellt er fest. Künftig soll eine Projektstelle Gemeinden Tipps für die Gottesdienstgestaltung geben. Zudem arbeite man gemeinsam mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg an einer Landkarte von „Gemeinden mit besonderer Ausstrahlungskraft“. Mittelfristig sollen sie zu sogenannten Profilgemeinden werden – wie in dem Impulspapier vorgeschlagen. In Württemberg macht man sich weitergehende Gedanken, wie man das Parochialprinzip, das Kirchenmitglieder aufgrund ihres Wohnorts einer Gemeinde zuweist, ergänzen kann. Bischof Frank O. July (Stuttgart) greift in seiner Landeskirche schon auf gute Erfahrungen mit sogenannten Personalgemeinden zurück. Angebote dieser Art soll es künftig vermehrt geben.

In Bayern sind sich viele Gruppen und Gremien schnell einig, wenn es um die „geistliche Profilierung“ geht, sagt Pressesprecher Johannes Minkus (München). Doch könne die Motivation einer missionarischen Kirche nicht darin bestehen, lediglich die Zahlen zu steigern. Wer um Mitglieder werbe, sollte auch damit rechnen, dass neue Leute kommen. „Die ,Neuen’ sollten dann vor Ort auch etwas davon spüren können, dass sich die Gemeinde über diese Menschen freut“, fordert Minkus.

Ausländer gewinnen

In der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sieht man das Impulspapier als eine Bestätigung der bereits begonnenen Reformbemühungen, sagt Pressesprecher Karl Waldeck (Kassel). Mit Hessen-Nassau berate man derzeit über Kooperationen in den Bereichen theologische Ausbildung, Religionspädagogik, Mission und Ökumene, Akademiearbeit sowie Diakonie. Bis zur Synode im Herbst 2008 soll es erste Ergebnisse geben. Um die Mitgliederquote zu halten, öffnet sich die hessen-nassauische Kirche zunehmend für Gemeinden ausländischer Herkunft, erläutert ihr Sprecher Stephan Krebs (Darmstadt). „Wir wollen mehr Menschen erreichen, die nicht zum klassischen kerngemeindlichen Milieu gehören.“ So wurden auch ein Innovationspreis und eine Ideenmesse eingeführt, um gute Projekte zu fördern und anderen Anregungen zu liefern.

Sind die Sachsen diskussionsmüde?

Vor Prognosen schreckt der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Helge Klassohn (Dessau), zurück. Gerade was die Steigerung der Gottesdienstbesucherzahl angehe, könne man nicht in Sachsen-Anhalt die gleichen Erwartungen hegen wie in Baden-Württemberg. Trotzdem müsse man „die Art unserer Verkündigung überdenken“. Predigten sollten evangelistischer werden, wünscht sich Klassohn.

Auf kreative Art haben sich die Sachsen mit dem Reformpapier auseinandergesetzt. Eine eigens dafür eingerichtete Internetseite informiert über die neuesten Beschlüsse im Reformprozess. Darunter findet sich auch ein Bericht der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens zum 500-Jährigen Reformationsjubiläum 2017. In diesem visionären Bericht ist von Gemeinden die Rede, die mit Nachbarkirchen zusammenarbeiten. Das Echo zum Diskussionsangebot ist mager: Seit dem Start am 1. Oktober gibt es gerade einmal vier Beiträge im Forum der Internetseite.

Für den Kirchenpräsidenten der pfälzischen Kirche, Eberhard Cherdron (Speyer), hat das EKD-Papier einen wichtigen Anstoß gegeben, über die Qualität ins Gespräch zu kommen. „Wir brauchen gute Pfarrer, wo man auch gerne in den Gottesdienst geht. Da müssen wir auch unsere Anforderungen an die Hauptamtlichen formulieren“, sagt er. Beim Thema Mission hätte er sich einen optimistischeren Tenor des Papiers gewünscht. „Wenn man immer nur von Mitgliederrückgang und knappen Kassen redet, ist das keine gute Basis, um missionarisch tätig zu sein.“

Fusion unwahrscheinlich

Im Rheinland verweist Präses Nikolaus Schneider (Düsseldorf) auf die eigenen Reformen, gerade hinsichtlich der Gewinnung von Mitgliedern. Die in der Lutherstadt Wittenberg anwesenden Delegierten hätten sich in mehreren Treffen mit den Zukunftsvorschlägen beschäftigt, doch sei ihm selber noch keine Einrichtung oder Kirchengemeinde bekannt, die aufgrund dieser Diskussion ihre Arbeit neu strukturiert habe. Einer Fusion mit der westfälischen Kirche erteilte Schneider eine Absage: „Das scheint mir unrealistisch.“ Allerdings soll künftig in mehr Bereichen zusammengearbeitet werden.

Bereits seit mehr als sieben Jahren befindet sich die Evangelische Kirche von Westfalen in einem Reformprozess. Jede Gemeinde ist laut Synodenbeschluss dazu aufgerufen, eine eigene Konzeption für ihre Arbeit zu entwickeln. Um Menschen wieder neu für die Kirche zu begeistern, wurden neue Projekte angestoßen, wie zum Beispiel „Mit Kindern neu anfangen“. Diese Arbeit schließt an die Kindertaufe an und versucht, durch kindgerechte Angebote erst die Kleinen und mittelfristig auch die Eltern zu erreichen. Im Blick auf die Verbesserung der Qualität verweist Präses Alfred Buß (Bielefeld) auf die kommende Landessynode im November. Da werde sich auch mit der Rolle der Pfarrer beschäftigt

Reformierte Kirche setzt auf Weiterbildung

In der Bremischen Kirche gab es nach „Wittenberg“ bis in Gemeindekreise hinein eine lebhafte Diskussion. Nun sollen verschiedene Ausschüsse zum Beispiel zu Taufe, Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen und dem Verhältnis von Diakonie und Gemeinde bis zum Kirchentag im November 2008 konkrete Handlungsempfehlungen entwickeln, heißt es in dem Ende Oktober erscheinenden Mitarbeitermagazin der Kirche.

In der Evangelisch-reformierten Kirche setzt man auf die Verstärkung der Fort- und Weiterbildung für die Haupt- und Ehrenamtlichen, sagte Hilke Klüver (Leer) gegenüber idea. Sie ist zuständig für die Aus- und Weiterbildung sowie den theologischen Nachwuchs. Im Januar werde in Osnabrück die erste reformierte Jugendkirche eröffnet, weitere sollten nach Klüvers Wünschen folgen. Auch in die Fortbildung von Kirchenältesten soll mehr investiert werden. Sollte die Gesamtsynode zustimmen, werden die Ausgaben dafür im kommenden Jahr auf 10.000 Euro vervierfacht. „Da hat das Impulspapier sicherlich auch einen Prozess in Gang gesetzt“, bestätigt die Pastorin.

Pommern: Projektstelle für Gemeindegründung

Viele Fragezeichen ergeben sich bei Oberkirchenrat Andreas Flade (Schwerin) von der mecklenburgischen lutherischen Kirche, wenn man ihn auf das Impulspapier anspricht. „Das hilft über einen ersten Impuls nicht hinaus. Hinsichtlich der konkreten Umsetzung lässt das Papier viele Fragen offen“, sagt er. Dennoch diskutiert derzeit in Mecklenburg eine Arbeitsgruppe, welche Anstöße man aufnehmen kann. Auch in der benachbarten pommerschen Kirche wird das Papier intensiv diskutiert. „Fast alle Pfarrkonvente haben sich damit auseinandergesetzt“, heißt es aus dem Konsistorium. Ganz praktisch geht die Kirche das Thema Mission an: So wurden in diesem Jahr eine Projektstelle für eine Gemeindegründung auf Rügen mit einem Pfarrer im Probedienst besetzt, ein weiterer verstärkt die bibelmissionarische Arbeit.

Neues Kompetenzzentrum

Konkreter ist bei der Umsetzung offenbar die EKD selbst. Sie will in der Lutherstadt Wittenberg ein „Kompetenzzentrum“ gründen, um die evangelische Kirche an dieser Stätte der Reformation besser sichtbar zu machen. Ein Predigtzentrum ist dort geplant, man will sich auf den „Luthertourismus“ zum 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 vorbereiten. Der EKD-Finanzbeirat hat sich bereits darauf geeinigt, 500.000 Euro in die Gründung einer Stiftung für Wittenberg zu investieren – die Landeskirchen sollen sich mit eigenen Beiträgen daran beteiligen.

01. November 2007

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