EKD-Studie: Hoffen auf ein Leben ohne Schulden

Hamburger Studie befasst sich mit Nöten und Wünschen von Menschen in Armut

Hamburg (epd). Simon R. (Name geändert), Vater von vier Kindern, arbeitet als Kommissionierer und macht Material versandfertig. Weil das Einkommen des 46-Jährigen zum Leben nicht reicht, ist die Familie auf staatliche Hilfe angewiesen. Die Töchter sind bereits aus dem Haus. Die Jungs allerdings bereiten Sorgen, weil sich deren Suche nach einem Arbeitsplatz schwierig gestaltet. Der Vater ist frustriert: "Du opferst dein ganzes Leben für die Kinder, und die haben dann auch keine Zukunft."

Der Jüngere geht noch zur Realschule, bewirbt sich um eine Lehre als Koch und bekommt trotz guter Noten nur Absagen. Der Ältere hat zwar kürzlich seine Ausbildung zum Anlagenmechaniker abgeschlossen, doch übernahm ihn sein Chef nicht. Der Grund laut Pablo R.: "Ich war nicht in der Lage, den Führerschein zu bezahlen." Nun muss der Sohn bei einer Zeitarbeitsfirma jobben.

Pablo R. ist einer von rund 50 Menschen mit wenig Geld, die die Sozialwissenschaftlerin Claudia Schulz in den vergangenen zwölf Monaten im Rahmen von Gruppendiskussionen im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg interviewt hat: Langzeitarbeitslose und Geringverdiener, Alleinerziehende und Jugendliche ohne Schulabschluss.

Wie wird Armut erlebt, und wie bewältigen Betroffene ihre Situation? Welche Wünsche und Hoffnungen haben sie? Und was könnte der Begriff Teilhabe für sie bedeuten? Das waren die Leitfragen der Studie, die die Wissenschaftlerin im Auftrag des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erstellt hat. Es habe lang gedauert, Gesprächspartner zu finden, sagt die Forscherin: "Wir haben gelernt, dass Betroffene sich kaum über ihre Lebensbedingungen unterhalten wollen."

Menschen mit wenig Geld sind vor allem mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt, für Träume finden sie kaum Zeit. "Eine Wohnung ohne Schimmel" oder "Dass meine Schulden weg sind" - so antworteten sie auf die Frage nach ihren Wünschen und Sehnsüchten. "Es gibt keine Perspektive für das große Ganze", so das Fazit der Wissenschaftlerin.

Den meisten fehle Arbeit, vielen damit ein Ort, an dem sie sich aufhalten und eine Aufgabe ausfüllen könnten, wie die Schilderungen einer älteren Langzeitarbeitslosen verdeutlichen: "Und das ist das, was mich so verbittert: Man sitzt den lieben langen Tag in seinen vier Wänden. Halb acht, Becher Kaffee, Zigarette, Fernseher an. Und so sitz ich abends und warte, dass ich ins Bett kann." Und sie äußert resignative Gedanken: "Wenn man das dann 13 Jahre hat, dann ist irgendwann genug. Dann will man nicht mehr."

Nicht nur Forscherin Claudia Schulz zeigte sich "entsetzt" über manche Ergebnisse der Studie, die unter dem Titel "Teilhabe von unten" an die EKD-Denkschrift "Gerechte Teilhabe" vom vergangenen Jahr anknüpft. "Die Anspruchslosigkeit der Betroffenen hat mich geradezu umgehauen", sagt Professor Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. "Meine Schlussfolgerung ist: Alleine schaffen es diese Menschen nicht."

Katharina Seiler-Neufert, Leiterin des Diakonischen Werkes Hamburg-Harburg, fordert: "Die Kirche muss zu den Armen gehen und dafür sorgen, dass die Betroffenen ihre Rechte wahrnehmen oder dass ihnen dabei geholfen wird." Gabi Brasch vom Vorstand vom Diakonischen Werkes Hamburg kritisiert, dass seit 1990 die Regelsätze der Sozialhilfe beziehungsweise des Arbeitslosengeldes II nicht den steigenden Lebenshaltungskosten angepasst worden seien. Wer Hunger habe oder über seine Schulden grübele, habe keine Energie darüber nachzudenken, ob er eine Ausbildung machen oder mit Nachbarn kommunizieren wolle.

Von Ulrich Jonas (epd)

12. Oktober 2007

EKD-Pressemitteilung "Arme fühlen sich ausgegrenzt und abgefunden"

Sozialwissenschaftliches Institut der EKD

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