Schindehütte: Neue Phase im Dialog der Religionen

Frankfurt a.M. (epd). Im Dialog der Religionen zeichnet sich nach dem Eindruck des evangelischen Auslandsbischofs Martin Schindehütte eine neue Phase ab. Bisher sei im interreligiösen Gespräch das Gemeinsame sehr betont worden, sagte Schindehütte in einem epd-Interview: "Das war wichtig für die Vertrauensbildung." Der Dialog müsse nun in eine vertiefte Phase eintreten, wobei es auch zu Konflikten kommen könne.

Dies gelte ebenfalls für das Gespräch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit den muslimischen Verbänden, betonte der Bischof. Das Ende 2006 von der EKD vorgelegte Islampapier hatte heftige Kritik beim Koordinationsrat der Muslime, aber auch einzelnen Kirchenvertretern hervorgerufen. "Wenn es gut geht, dann wird es ein produktiver Konflikt, an dessen Ende beide Partner ein Stück weiter sind", sagte Schindehütte, der seit einem Jahr EKD-Auslandsbischof ist. Er leitet die Hauptabteilung "Ökumene und Auslandsarbeit" im EKD-Kirchenamt, dessen Vizepräsident er zugleich ist.

Der EKD-Auslandsbischof unterstrich, dass die evangelische Kirche auch gegenüber der Türkei und anderen islamisch geprägten Ländern für freie Religionsausübung eintrete. Die Gewährleistung der positiven Religionsfreiheit sei für die EKD ein zentrales Kriterium für einen Beitritt der Türkei zur EU.

"Natürlich müssen wir einfordern, dass in der Türkei genauso Kirchen gebaut werden könne wie in Deutschland Moscheen", erklärte der evangelische Theologe weiter. Einen Umkehrschluss, wonach Moscheebau nur erlaubt sein soll, wenn auch Kirchen in islamischen Ländern errichtet werden können, lehnte er aber ab: "Das führt allenfalls zu einer unproduktiven Eskalation."

30. August 2007


EKD-Auslandsbischof: Auslandsgemeinden können Vorbild sein

Frankfurt a. M. (epd). Die evangelische Auslandsgemeinden können nach Ansicht von Bischof Martin Schindehütte Vorbild für Kirchengemeinden in Deutschland sein. Dies gelte insbesondere für die ökumenische Zusammenarbeit und das ehrenamtliche Engagement, sagte der Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einem epd-Interview. Er regte an, die Erfahrungen der Auslandspfarrer nach ihrer Rückkehr stärker zu nutzen. Schindehütte, der seit einem Jahr auch Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD ist, äußerte sich auch zum Dialog mit dem Islam und der ökumenischen Bewegung. Mit dem Auslandsbischof sprachen Stephan Cezanne und Rainer Clos.

epd: Herr Schindehütte, seit einem Jahr sind Sie Auslandsbischof der EKD. Sehen Sie sich mehr als Bischof, als Diplomat oder als "Außenminister"?

Schindehütte: Die Bezeichnung Bischof ist durchaus richtig und angemessen. Ein zentrales Thema, das mich viel beschäftigt, sind die Auslandsgemeinden. Für die habe ich als Auslandsbischof eine aufsichtliche Funktion. Immerhin zwölf Auslandsgemeinden habe ich bisher besuchen können. In diesen Gemeinden bin ich auch gottesdienstlich und spirituell als Bischof gefragt

Diplomat stimmt auch. Das gilt zuerst für die vielen ökumenischen Partnerkirchen und Zusammenschlüsse. Ich bin aber auch erstaunt, wie intensiv die Arbeit der EKD und ihrer Auslandsgemeinden im weiteren Horizont der deutschen Außenpolitik wahrgenommen wird. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht in der Kulturpolitik die dritte Säule der Außenpolitik. Neben Goethe-Instituten, politischen Stiftungen und Botschaften spielen darin die Auslandsgemeinden eine wichtige Rolle.

epd: Wie viele evangelische Auslandsgemeinden gibt es aktuell?

Schindehütte: Rund 130. Daneben gibt es noch Entsendungsstellen insbesondere für die Tourismusseelsorge. Insgesamt kommen 180 Orte zusammen, an denen die EKD im Ausland präsent ist.

epd: Wie haben Sie die Auslandsgemeinden erlebt?

Schindehütte: Meine Erfahrung aus Besuchen etwa in Kairo, Jerusalem oder Delhi, sowie einigen Gemeinden in Europa und den USA zeigen, dass jede Auslandsgemeinde für sich gesehen werden muss. Sie sind in ihrem kulturellen und religiösen Kontext lebendige Unikate. Sie leben in starkem Maße vom Engagement der Mitglieder und strahlen eine große Faszination aus. Manches von der künftigen Entwicklung der Kirchengemeinden in Deutschland lässt sich modellhaft an den Auslandsgemeinden ablesen. In ihrer ökumenischen Zusammenarbeit und mit ihrem ehrenamtlichen Engagement können sie Vorbild sein. Deshalb müssen wir zukünftig stärker fragen, wie die Erfahrung der Auslandspastoren nach ihrer Rückkehr für die Arbeit hier im Land fruchtbar werden kann.

epd: Wie sehen Sie die Rolle der EKD bei internationalen Konflikten?

Schindehütte: Nehmen wir die sehr bedrückende Situation im Sudan. Hochqualifizierte Spezialisten des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) sind vor Ort. Sie sind gefragt als Gesprächspartner für andere nichtstaatliche Organisationen und politischen Akteure, wo es um Konfliktbeilegung und -bearbeitung geht. Wir können an vielen Orten Botschafter sein für die unterschiedlichen kulturellen Prägungen, die in Konflikten viel zu schnell aus dem Blick geraten. Wer kulturelle Prägungen vor Ort übersieht, entwickelt Strategien zum Konfliktmanagement, die in diesen Kulturen nicht greifen. Dann sind diejenigen unverzichtbar, die Vertrauen gewonnen haben und dicht dran sind.

Zugleich gibt es aus der Politik Anfragen, welche Rolle in diplomatischen Zusammenhängen Kirchen spielen können. Viele Kontakte, die etwa ein Botschafter nicht oder noch nicht knüpfen kann, kann der Auslandspfarrer oder der Mitarbeiter von "Brot für die Welt" oder des EED knüpfen. Dies bietet Chancen, Brücken zu bauen, um einen Konflikt zu entschärfen oder beizulegen. Im günstigsten Fall tragen wir so zum Aufbau von Verhältnissen bei, die dauerhaft Frieden mit sich bringen.

epd: Wie ist denn Ihre Wahrnehmung von Religion in internationalen Konflikten. Tragen Religionsgemeinschaften eher zum Frieden bei oder heizen sie Konflikte an?

Schindehütte: Kühn behaupte ich, dass Religionsgemeinschaften eher eine Rolle als Friedensstifter wahrnehmen. Allerdings wird Religion nicht selten politisch benutzt, um Konflikte aufzuladen. In solchen Fällen werden Religionsgemeinschaften instrumentalisiert. Dann kann es auch sein, dass solche Konflikte ein Eigenleben entwickeln und diese religiösen Motivationen in den Vordergrund rücken, obwohl sie zunächst einen ganz anderen Ursprung haben. Trotzdem nehme ich in meiner Arbeit eher die Kräfte wahr, auch etwa unter Muslimen, die den Dialog zur Beilegung von Konflikten suchen. Die Friedenspotenziale der Religionen schätze ich stärker ein.

epd: An Gewicht gewonnen hat die Frage nach der Religionsfreiheit für Christen in islamischen Ländern? Kommt darin ein gestärktes Selbstbewusstsein zum Tragen?

Schindehütte: Nach meinem Eindruck treten wir beim Dialog der Religionen in eine neue Phase ein. Sie können das "selbstbewusster" nennen. Der Dialog kann nur dann fruchtbar weitergehen, wenn Streitpunkte etwa im Gottesverständnis, im Verständnis von Tradition und Geschichte, aber auch im Verhältnis von Religion zu Gesellschaft und Staat auf den Tisch gelegt werden.

Die bisherige Phase war dadurch geprägt, dass im interreligiösen Gespräch das Gemeinsame sehr betont wurde. Das war wichtig für die Vertrauensbildung. Nun muss der Dialog in eine neue vertiefte Phase eintreten. Dass es dabei zu Konflikten kommen kann, ist selbstverständlich. Dies bietet auch große Chancen für den Dialog. Das sehe ich auch für den Dialog, wie ihn die EKD mit dem Koordinationsrat der Muslime führt. Nicht umsonst heißt die Islam-Handreichung der EKD "Klarheit und gute Nachbarschaft". Wenn es gut geht, dann wird es ein produktiver Konflikt, an dessen Ende beide Partner ein Stück weiter sind.

epd: Ist diese Klarheit auch angesagt in der Begegnung mit islamischen Ländern?

Schindehütte: Wir können doch in der Türkei nicht anders auftreten als in Deutschland. Natürlich müssen wir einfordern, dass in der Türkei genauso Kirchen gebaut werden können wie in Deutschland Moscheen. Dieses Eintreten für die positive Religionsfreiheit ist gegenüber allen anderen islamischen Staaten ebenso erforderlich

Deswegen sagt die EKD glasklar: Die positive Religionsfreiheit muss gewährleistet sein. Für uns ist dies ein zentrales Kriterium für einen Beitritt der Türkei zur EU.

epd: Kann man dieser Forderung Nachdruck verleihen, indem man sie mit Bedingungen für den Moscheebau in Deutschland verknüpft?

Schindehütte: Nein, das Prinzip des Umkehrschlusses sollte nicht gelten. Nach dem Motto 'Wenn ihr uns keine Kirchen bauen lasst, dann lassen wir euch keine Moscheen bauen' kann man nicht verfahren. Das führt allenfalls zu einer unproduktiven Eskalation.

Stattdessen müssen wir positive Beispiele setzen. Wenn in Deutschland Moscheen gebaut werden, müssen wir zugleich von der Türkei und anderen islamischen Ländern fordern, dass dort Kirchen gebaut werden können, christliche Gemeinden aktiv und sichtbar werden dürfen.

epd: Was erwarten Sie von der Dritten Ökumenischen Europäischen Versammlung im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) Anfang September?

Schindehütte: Sibiu ist ein wichtiges ökumenisches Signal und Teil der ökumenischen Erfolgsgeschichte und ein wichtiger Markstein im Dialog der Kirchen in Europa. Ich erinnere an die Versammlungen in Basel 1989 und Graz 1997. Die Dritte Ökumenische Europäische Versammlung, da bin ich mir sicher, wird Impulse für den weiteren ökumenischen Weg setzen. Alle beteiligten Kirchen, auch die orthodoxen Kirchen haben sich positiv zu Sibiu geäußert. Sie haben klar erkennen lassen, dass sie auf dem Boden der 2001 verabschiedeten Charta Oecumenica stehen, in der sich die Kirchen zu mehr Einheit verpflichten. Die zentralen Anliegen der Charta Oecumenica werden in Sibiu diskutiert und vertieft. Das sind neben der Frage nach der Einheit der Kirchen die Frage nach der Rolle der Kirchen in Europa und die Frage nach den Überlebensbedingungen der ganzen Welt.

epd: Wird das vor kurzem veröffentlichte Vatikan-Dokument zum Kirchenverständnis, in dem Rom den Protestanten den Status einer Kirche abspricht, die Tagung in Sibiu stören?

Schindehütte: Es wäre jammerschade, wenn das Vatikan-Dokument das Geschehen in Sibiu überwölben würde. Ich glaube das nicht. Sibiu macht eine langfristige Grundströmung ökumenischer Entwicklung und Zusammenarbeit sichtbar. Die Kirchen sind gemeinsam herausgefordert. Europa und die Welt wartet auf Antworten der Kirchen auf Fragen der Säkularisierung, im Blick auf die Bewahrung der Schöpfung und den interreligiösen Dialog. Diese Fragen gelten uns allen. Und wir werden Antworten geben. Solche Versammlungen wie Sibiu sind ein Geschenk Gottes.

epd: Kritiker monieren, dass sich in Sibiu vor allem kirchliche Amtsträger treffen. Teilen Sie diese Klage?

Schindehütte: Auf der Zweiten Ökumenischen Versammlung in Graz 1997 haben die Basisgruppen teilgenommen, aber waren keine ordentlichen Delegierten. In Sibiu nehmen Basisgruppen als ordentliche Delegierte teil. Das ist ein Fortschritt und kein Rückschritt. Das muss man mal mit aller Nüchternheit so sehen. Richtig ist allerdings, dass die Zahl der Teilnehmer nicht so groß sein kann, weil Sibiu eine kleinere Stadt ist. So sind die Delegierten aus dem Bereich der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zu 20 Prozent Jugendliche. Viele Vertreter aus den Basisgruppen sind dabei, freilich auch kirchenleitende Menschen. Und manche, die vor Jahren in einer Basisgruppe aktiv waren, sind heute kirchenleitend, das ist auch nicht ganz unwichtig.

epd: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der Ökumene?

Schindehütte: Insgesamt steht die Ökumene ganz gut da, wenn man mal den fokussierten Blick wegnimmt von den dogmatischen Fragen wie bei dem Vatikan-Papier zum Kirchenverständnis. Das soll uns jetzt nicht verbauen, was wir an gemeinsamen Aufgaben vor uns haben.

30. August 2007

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