Sozialethiker und Reformer - EKD-Ratsvorsitzender Wolfgang Huber wird 65 Jahre alt

Von Thomas Schiller (epd)

Berlin (epd). Seit vier Jahren gibt Wolfgang Huber der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Gesicht und Gewicht. Am Sonntag (12. August) wird der EKD-Ratsvorsitzende 65 Jahre alt. Doch an Ruhestand ist nicht zu denken: Huber wird noch bis Ende 2009 an der Spitze der mehr als 25 Millionen Protestanten in Deutschland stehen. Unter seiner Leitung hat die EKD die wohl tiefstgreifenden Reformen seit der Gründung 1945 auf den Weg gebracht. "Jetzt sind wir Kirche im Aufbruch", sagt der Theologieprofessor und Berliner Bischof.

Angesichts demografischer Prognosen für das Jahr 2030, nach denen die evangelische Kirche ein Drittel weniger Mitglieder und die Hälfte weniger Geld als heute haben wird, steht Huber für einen konsequenten Umbau. Er fordert eine Besinnung der Kirche auf ihre Kernaufgaben, etwa auf die Qualität von Gottesdiensten, Taufen, Hochzeiten oder auch Beerdigungen. Kritik an Pfarrern und Gemeinden ist nicht tabu, auch Besitzstände nicht: Kirchliche Arbeitsfelder sollen nur erhalten werden, wenn sie nachweisen, dass sie in Zukunft nötig sind.

Hubers Kurs der "Schärfung des evangelischen Profils" richtet sich nicht nur nach innen: Gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften tritt der Ratsvorsitzende deutlicher auf als seine Vorgänger - etwa wenn der Vatikan zum wiederholten Mal den Protestanten den Status als Kirche abspricht. Auch im Verhältnis zu den Muslimen scheut Huber den Konflikt nicht: Er fordert die Absage an den Fundamentalismus und die Anerkennung der Religionsfreiheit. "Klarheit und gute Nachbarschaft" ist die Position der EKD überschrieben. Dialog sei nur sinnvoll, wenn auch Strittiges zur Sprache komme, sagt Huber.

Für das EKD-Thesenpapier "Kirche der Freiheit", das seit einem Jahr heftig diskutiert wird, hat der Ratsvorsitzende als Mitautoren auch Banker und Unternehmensberater gewonnen. Dies entspricht Hubers Kurs, Eliten aus Wirtschaft und Gesellschaft stärker in den Reformkurs der Kirche zu integrieren. Konservative Stimmen finden wieder mehr Gehör in der EKD, die sich in den Jahren der Friedens- und Umweltbewegung den Basisinitiativen weit geöffnet hatte.

Huber selbst kommt aus dem linken Milieu der "68er". Für das Selbstverständnis des Theologieprofessors ist gesellschaftliche Einmischung auf christlicher Grundlage unverzichtbar. Der Sozialethiker war lange beim Deutschen Evangelischen Kirchentag aktiv. In der Friedensbewegung der 80er Jahre kämpfte er gegen die NATO-Nachrüstung, 2003 gegen den Irak-Krieg. Auf eine SPD-Kandidatur für den Bundestag hatte er 1993 verzichtet. Zur Wahl als Bischof für Berlin-Brandenburg hat er sich aus der Parteipolitik zurückgezogen.

Sowohl in der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder als auch in der großen Koalition von Angela Merkel fand und findet Huber Gehör. Den Umbau der Sozialsysteme unterstützt der EKD-Ratsvorsitzende. Einschnitten durch die Hartz-Gesetze hat er sich nicht prinzipiell entgegengestellt und damit manche Kritik aus Diakonie und Kirche auf sich gezogen. Huber protestierte jedoch gegen die größten Härten. Nicht verhandelbar sind für ihn ethische Kernfragen wie der Schutz des Lebens oder der Sonntagsschutz. Für den Religionsunterricht an Schulen hat der Bischof mit dem Berliner Senat erbittert gestritten.

Huber wurde am 12. August 1942 im damals deutsch besetzten Straßburg geboren, wo sein Vater Ernst Rudolf Jura-Professor war und dem NS-Regime nahestand. Seine Mutter Tula, ebenfalls Juristin, war Tochter des früheren Reichsaußenministers Walter Simons. Hubers Frau Kara ist Lehrerin. Mit ihr hat er drei erwachsene Kinder und ein Enkelkind.

Seine Theologenlaufbahn begann mit dem Studium in Heidelberg, Göttingen und Tübingen, wo er 1966 promovierte. Nach einem Vikariat in Reutlingen trat er 1968 in die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg ein. 1980 wurde er Professor für Sozialethik in Marburg. 1984 kehrte er nach Heidelberg auf einen Lehrstuhl für systematische Theologie zurück.

Im Jahr 1993 wurde Huber zum Nachfolger des Berliner Bischofs Martin Kruse gewählt, 2003 folgte er dem rheinischen Präses Manfred Kock an der Spitze des Rates der EKD nach. In der Öffentlichkeit gilt Huber als scharfer Analytiker und brillanter Formulierer, sei es in Reden und Predigten, in Interviews oder TV-Talkshows. Seine Präsenz in den Medien hat den Protestantismus wieder stärker ins gesellschaftliche Gespräch gebracht. Als Ratsvorsitzender amtiert Huber bis zur EKD-Synode im November 2009.


Neue Prioritäten gesetzt: EKD-Ratsvorsitzender Huber wird 65

Einstige Symbolfigur der Linksprotestanten ist heute auch bei Evangelikalen geschätzt B e r l i n (idea) – Er hat sich theologisch und politisch verändert wie kaum ein anderer Kirchenleiter: der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber (Berlin). Der wegen seines brillanten Intellekts und seiner geschliffenen Rede geschätzte Theologe vollendet am 12. August sein 65. Lebensjahr. Seit dem Herbst 2003 ist er oberster Repräsentant der rund 25 Millionen landeskirchlichen Protestanten in Deutschland. An der Spitze der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz steht er seit 1994. Wegen seiner Wandlung bezeichneten ihn Journalisten auch als „Otto Schily der EKD“. In den 1980er Jahren war Huber, auch als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags (1983-1985), ein Vertreter der politischen Theologie und galt als Symbolfigur des Linksprotestantismus. So brandmarkte er 1987 den Antikommunismus als das zentrale Hindernis für Demokratie und Entspannung in Europa. 1993 bewarb er sich um ein sozialdemokratisches Bundestagsmandat, zog dann aber seine Bewerbung zurück.

Fehler eingestanden

Nach dem Antritt seines Bischofsamts erkannte er, wie tief die Verweltlichung reicht. „Ich bin aufgerüttelt worden durch den gelehrten Materialismus im Osten und den gelebten Materialismus im Westen“, sagte er in einem idea-Interview. Er übte auch Selbstkritik. Anfang 2006 räumte er in einem FAZ-Interview ein, an der häufigen Anpassung der Kirche an den Zeitgeist mitbeteiligt gewesen zu sein, mit der Folge, dass sie immer mehr verweltlichte. Er zog daraus Konsequenzen und betont immer wieder: „Nichts ist dringlicher als Mission.“ Huber setzte ein Zeichen: Er holte einen der prominentesten Evangelikalen, den ProChrist-Redner Ulrich Parzany, nach Berlin, damit dieser regelmäßig in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche evangelisiert.

Für Klartext gegenüber Muslimen

Unter Hubers Führung beendete die EKD ihren Schmusekurs gegenüber dem Islam. Der Ratsvorsitzende benennt die Unterschiede zwischen Christen und Muslimen und stellte klar: Der dreieinige Gott, den die Christen bekennen, ist nicht eins mit Allah, dem Gott der Muslime. „Die Gleichsetzung würde das Bekenntnis zu Jesus Christus als unserem Herrn und Heiland de facto außer Kraft setzen“, sagte er in einem idea-Interview. Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag Anfang Juni in Köln lieferte er sich einen verbalen Schlagabtausch mit Vertretern muslimischer Verbände, die die EKD wegen ihres Islam-Papiers „Klarheit und gute Nachbarschaft“ kritisierten. Auch mit seiner Haltung zu ethischen Fragen erwarb sich Huber Anerkennung unter Evangelikalen. So tritt er dafür ein, die Abtreibungsgesetzgebung auf den Prüfstand zu stellen, und insbesondere etwas gegen Spätabtreibungen zu unternehmen. 2006 kürte die idea-Redaktion den Ratsvorsitzenden zum „Bischof des Jahres“. 

10. August 2007

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