Mahner für ein Weltethos der Religionen

Der Universalgelehrte Carl Friedrich von Weizsäcker starb mit 94 Jahren

Von Heinz Brockert (epd)

Starnberg (epd). Die zehn Kilometer zwischen seinem Haus in Söcking am Starnberg See und der Evangelischen Akademie in Tutzing, wo er viele Vorträge hielt, ging Carl Friedrich von Weizsäcker gerne auch mal zu Fuß. Frische Luft war ihm lieb und frische Luft hat er dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs um Krieg und Frieden, Gerechtigkeit und die Zukunft der Menschheit bis zuletzt zugefächelt. Der Universalgelehrte, der am Samstag (28.4.) im Alter von 94 Jahren starb, war Physiker und Philosoph, Friedensforscher und Mahner für ein Weltethos der Religionen.

Der langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg äußerte Pessimismus, wo es ihm unumgänglich schien. Die Gefahr eines dritten Weltkriegs hielt er in der Zeit der Hochrüstung der 80er Jahre für groß. Er räumte offen ein, dass er für sich und seine Familie einen bombensicheren Bunker an seinem Wohnsitz habe bauen lassen. Auf dem Düsseldorfer Kirchentag 1985 machte er den Vorschlag, ein "Konzil des Friedens" der Kirchen der Welt einzuberufen. Zur "Weltversammlung der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" kam es 1990 im südkoreanischen Seoul.

"Das Wichtigste ist der Bewusstseinswandel, die unauslöschliche Erkenntnis, dass die Institution des Krieges überwunden werden muss", formulierte der am 28. Juni 1912 in Kiel geborene Bruder des Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker einmal. "Wenn nur ein Mensch diese Erkenntnis bis in die Tiefen seiner Seele gewonnen hätte, und wenn jeder, der sie gewonnen hat, sie in einem Jahr einem weiteren Menschen mitteilen könnte, so hätten wir nach einem Jahr zwei Menschen mit einem neuen Bewusstsein, nach zwei Jahren vier und nach 32 Jahren vier Milliarden."

Weizsäckers einzigartige Stellung im deutschen Geistesleben beruhte darauf, dass er die Ergebnisse verschiedenster Disziplinen zusammendenken konnte. Seine Handlungsentwürfe waren für konträre politische und gesellschaftliche Strömungen attraktiv, wenn nicht gar akzeptabel. "Das Sagen der Wahrheit nützt dann am meisten, wenn ich es nicht tue, um damit etwas zu erreichen, sondern weil es die Wahrheit ist", war das Credo des Vordenkers, der Spross einer fränkisch-schwäbischen evangelischen Familie war.

Den Wunsch der sozial-liberalen Koalition, ihn 1979 in letzter Minute als überparteilichen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu nominieren, lehnte er ab. Weizsäcker hat aber durchaus die Nähe der Mächtigen gesucht, um zu beraten, zu mahnen und zu warnen. Sein größter politischer Irrtum sei gewesen, so räumte er ehrlich ein, dass er als junger Atomforscher im Nazi-Reich geglaubt habe, Hitler mit Hinweis auf die Zerstörungskraft der Atombombe zu einer Art Friedenspolitik bewegen zu können. Das gewünschte Gespräch kam nie zu Stande.

Nach dem Krieg riefen Weizsäcker und 17 weitere führende Atomwissenschaftler in der "Göttinger Erklärung" von 1957 zum Stopp der Atomwaffenentwicklung und -produktion auf. 1992 legte er sein Lebenswerk "Zeit und Wissen" vor. Die biblische Religion wird darin als einer der vier "Gipfelwege" des geistigen Aufstiegs der Menschheit bezeichnet, neben der Metaphysik, den Wissenschaften und dem buddhistischen Meditationsweg.

Die Bergpredigt Jesu Christi schien ihm der Schlüssel auf dem Weg zum Frieden in der Welt. "Als ich zwölf war, habe ich sie zuerst gelesen und sofort gewusst, dass das die Wahrheit ist, dass es aber eine Wahrheit ist, an die sich die meisten Menschen gar nicht halten", sagte er in einem epd-Interview.


30. April 2007

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