Auf der Suche nach der Seele Europas

Rückbesinnung auf Werte und Fundamente als Ausweg aus Identitätskrisen

Von Rainer Clos (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Den politischen Alltag in der EU bestimmen zumeist ganz profane Angelegenheiten: Fangquoten für Kabeljau, Zulassung gentechnisch veränderter Kartoffeln, Verbot von Glühbirnen oder Roaminggebühren im Mobilfunk. Im Tagesgeschäft geht es um Kompromisse, die nationale und gruppenspezifische Interessen ausbalancieren. Große Herausforderungen, die die Feiern zum 50. Geburtstag der Europäischen Union überschatten, sind die Erweiterung und die institutionellen Reformen.

Wohin soll es mit Europa gehen? Wozu brauchen wir Europa? Was hält Europa zusammen? Diese Fragen lieferten die Folie, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die europäische Einigung als "Erfolgsgeschichte ohne Beispiel" und "beeindruckendes Friedenswerk" beschwor. Nach der schlimmsten Periode von "Hass, Verwüstung und Vernichtung" sei den Europäern damit ein großes Glück zuteil geworden. Auf dieser Linie liegt auch ein manifest katholischer Laien, die dafür werben, den Sinn der europäischen Einigung wieder zu finden. Doch ob historische Vergewisserung allein einen Ausweg bietet aus der "midlife-crisis" der EU, so das Magazin "Time", ist fraglich.

Ein anderer Therapievorschlag, der angesichts wachsender Skepsis und Distanz der Bürger rasch zur Hand ist, lautet: "Europa eine Seele geben". Als Merkel im Januar im Europaparlament das Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorstellte, wandelte sie in einer bemerkenswerten Rede dieses Motto ab: "Wir müssen Europas Seele finden. Denn eigentlich brauchen wir sie Europa nicht zu geben, weil sie schon bei uns ist." Ohne Pathos fügte die Christdemokratin hinzu: "Es ist die Toleranz. Europas Seele ist die Toleranz."

Das Copyright für "Europas Seele" wird Jacques Delors zugeschrieben. Der französische Sozialist, der 1984 bis 1995 als Präsident der EU-Kommission den Binnenmarkt vollendete, meinte 1992 im Kreis von Kirchenführern ernüchtert: "Wenn wir es innerhalb von zehn Jahren nicht schaffen, Europa eine Seele zu geben, eine Spiritualität und einen Inhalt, dann ist das Spiel aus." Leitend war dabei die Erkenntnis, dass ein Binnenmarkt allein kaum zur Herzenssache der Europäer wird.

Zwar vielfach aufgegriffen und zitiert wurde im europäischen Alltag aus dem Delors'-Impuls bald ein schlichter Haushaltsposten. "A-3024: Eine Seele für Europa", aus dem Projekte zur ethischen und spirituellen Dimension der europäischen Einigung mit bescheidenen EU-Geldern gefördert wurden. Inzwischen ist das Programm beendet und der Ausschuss abgewickelt, in dem Vertreter von Kirchen, des Islam, des Judentums und der Humanisten über die Geldvergabe entschieden.

"Europa braucht eine religiöse Dimension", reklamierte Papst Johannes Paul II. 2003 in dem Apostolischen Schreiben "Ecclesia in Europa". Über das Haus Europa heißt es in dem Dokument: "Die Christen können sich nicht nur mit allen Menschen guten Willens zusammenschließen, um für die Errichtung dieses großen Bauwerks zu arbeiten, sondern sie sind eingeladen gewissermaßen dessen Seele zu sein ..."

Kurz vor seiner Wahl zum Papst warnte Kardinal Joseph Ratzinger in einem Zeitungsaufsatz davor, die Identität Europas zu verleugnen. Er mahnte: "Europa sollte ganz bewusst wieder seine Seele suchen." Für die Gründerväter der europäischen Einigung war nach Ratzingers Überzeugung klar, dass das christliche Erbe den Kitt des Kontinents ausmacht. Für zwei katholische Wegbereiter der Römischen Verträge, den französische Außenminister Robert Schuman (1886-1963) und den italienischen Christdemokraten Alcide De Gasperi, (1881-1954) sind Verfahren zur Seligsprechung noch anhängig.

20. März 2007

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