Vor zehn Jahren veröffentlichten die Kirchen gemeinsames Wirtschafts- und Sozialwort

Dokument mit bleibendem Wert

Von Rainer Clos (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Weit über die kirchlichen Mauern hinaus wurde es wahrgenommen, als sich vor zehn Jahren die evangelische und katholische Kirche gemeinsam zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland äußerten. Am 28. Februar 1997 veröffentlichten die beiden großen Kirchen das viel beachtete Wort "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit", in dem sie neoliberalen Tendenzen eine Absage erteilten. Die Botschaft der kirchlichen Einmischung lautete: Plädoyer für das Gemeinwohl, Option für die Armen, Reform des Sozialstaates und Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft.

Ein weiteres "Sachverständigengutachten" wollten sie nicht liefern, stellten die Kirchen klar. Vielmehr war es Anliegen des Sozialwortes, "für eine Wertorientierung einzutreten, die dem Wohlergehen aller dient" und "dem Anliegen jener Gehör zu verschaffen, die im wirtschaftlichen und politischen Kalkül leicht vergessen werden, weil sie sich selbst nicht wirksam artikulieren können: der Armen, Benachteiligten und Machtlosen, auch der kommenden Generationen und der stummen Kreatur". Schwerpunkte waren die Massenarbeitslosigkeit, die Krise des Sozialstaates und die ökologischen Probleme.

Mit dem gemeinsamen Wort hätten die Kirchen verdeutlicht, dass auch eine leistungsfähige Wirtschaft von Voraussetzungen lebe, die sie selbst nicht schaffen könne, erläutert Hermann Barth, Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die bleibende Bedeutung des Dokumentes: "Auch die soziale Marktwirtschaft braucht Tugenden." Neben dem emeritierten katholischen Bischof Josef Homeyer war Barth maßgeblich an der Entstehung des Papiers beteiligt, dem ein breit angelegter dreijähriger Konsultationsprozess vorausging.

Dieses Element der Beteiligung, die eine Fülle von Diskussionsbeiträgen und Stellungnahmen nicht nur von kirchlichen Gremien und Gruppierungen, sondern von Institutionen, Parteien und Sozialverbänden ausgelöst hatte, trug nach Ansicht des evangelischen Theologieprofessors Ulrich H.J. Körtner (Wien) zur breiten Zustimmung bei, die das Sozialwort fand. Gewerkschaften und Unternehmer, Grüne, Neoliberale und Sozialdemokraten zollten dem Kirchenwort Beifall.

In der Union, damals unter Führung Helmut Kohls in der Regierungsverantwortung und damit Adressat des Papiers, gab es neben vernehmlichem Grummeln auch anerkennende Worte. Gerade dieser Erfolg - Kardinal Karl Lehmann sorgte sich schon 1997, das Sozialwort sei "totgelobt" worden - sei zugleich Ursache für eine "gewisse Wirkungslosigkeit", die dem deutschen Dokument nach zehn Jahren zu attestieren sei, findet Körtner: "Es enthält viel Wichtiges und Richtiges, ohne dass es die sozialpolitische Debatte der letzten Jahre nachhaltig geprägt hätte."

In den Jahren seit der Veröffentlichung haben beide Kirchen weitere Stellungnahmen und Dokumente zur Sozialpolitik verfasst. Damit reagierten sie auf die erheblichen Veränderungen der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Bundesrepublik und setzten dabei auch unterschiedliche sozialethische Akzente.

So verlangten die katholischen Bischöfe 2003 in dem Papier "Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik" tiefgreifende Korrekturen am Sozialstaat und rückten den Aspekt der Eigenverantwortung als einen Weg zu sozialer Gerechtigkeit stärker in den Vordergrund. Die EKD wiederum machte 2006 mit ihrer Denkschrift "Gerechte Teilhabe" auf das gesellschaftliche Problem der Armut aufmerksam. Trotz des neuen Denkens in der sozialethischen Debatte sei Verteilungsgerechtigkeit nicht zum Unwort geworden, meint Kirchenamtspräsident Barth.

Die unverminderte Aktualität des Sozialwortes hebt der rheinische Präses Nikolaus Schneider hervor. Die damaligen Aussagen der Kirchen zum Ausgleich zwischen Arm und Reich sowie zum Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten seien unverändert dringend. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde immer größer, konstatiert Schneider: "Diese Entwicklung kann man nicht einfach hinnehmen."

Ein neues gemeinsames Sozialwort der Kirchen hält EKD-Kirchenamtspräsident Barth für wenig realistisch. In der ökumenischen Zusammenarbeit gebe es derzeit einen Pendelausschlag in eine Richtung, für die eine stärkere evangelische und katholische Profilierung kennzeichnend sei. Überdies sei fraglich, ob die Kirchen angesichts der vielen Aufgaben, denen sie sich gegenübersehen, für eine derartige Anstrengung genügend Kraft hätten.

26. Februar 2007

Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland


"Der Markt ist ethisch blind"

Rheinischer Präses: Sozialwort von 1997 gilt dringender als damals

Düsseldorf (epd). Der rheinische Präses Nikolaus Schneider hält das vor zehn Jahren von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam veröffentlichte Sozialwort für nach wie vor aktuell. "Was wir damals gesagt haben, gilt heute dringender als damals", sagte der Theologe und Sozialethiker in einem epd-Interview in Düsseldorf. Das betreffe die Frage des Ausgleichs zwischen Arm und Reich genauso wie die Balance zwischen wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde immer größer, stellte Schneider fest: "Diese Entwicklung kann man nicht einfach hinnehmen."

Das am 28. Februar 1997 veröffentlichte Papier "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" habe so etwas wie den Endpunkt des klassischen Sozialstaats und der klassischen sozialen Marktwirtschaft markiert, sagte Schneider. Seitdem hätten sich die gesellschaftlichen und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändert, "woran eben auch alte Maßstäbe und alte Standards des Sozialstaats zerbrochen sind".

"Ich glaube, dieses Papier war der Versuch, gegen die ersten Vorboten der Globalisierung Standards zu setzen und Standards zu verteidigen", sagte Schneider. "Das Setzen von Standards ist gelungen, das Verteidigen von Standards nicht", resümierte der evangelische Theologe.

Zum Abbau der Arbeitslosigkeit forderte der Repräsentant der zweitgrößten evangelischen Landeskirche die Schaffung eines zweiten oder dritten Arbeitsmarktes. Außerdem plädierte er dafür, Kombilohn-Modelle auszuprobieren, und trat für Mindestlöhne ein: "Ausbeutung darf sich nicht lohnen." Das sei eine politische Aufgabe, die der Markt aus sich selbst heraus nicht leiste, betonte Schneider. "Der Markt ist ethisch blind." Um einen geordneten Markt zu schaffen, "muss Politik endlich wieder ihre Handlungsfähigkeit und ihre Handlungskompetenz zurückgewinnen".

Auch der im Sozialwort geforderte Vorrang von Gemeinwohl vor Eigennutz werde angesichts der Armuts- und Reichtumsentwicklung immer aktueller, sagte der rheinische Präses. Er kritisierte das "hochideologische" Schlagwort "Privat vor Staat", das unterstelle, dass privat im Ansatz alles besser zu lösen sei. Die Beispiele Bahn oder Post zeigten, dass das nicht stimme. Leistungen würden schlechter und teurer, Arbeitskräfte schlechter bezahlt.

Sehr kritisch sehe er auch Tendenzen zur Privatisierung in Bereichen der Für- und Vorsorge wie etwa der Bildung und Erziehung, sagte der Theologe. Die EU diskutiere etwa, ob Kindergärten nicht Gewerbebetriebe seien. Solche Bereiche der Lebensvorsorge dürften nicht dem privaten Wettbewerb anheim gegeben werden, warnte Schneider. "Man kann nicht aus allem und mit allem einen Markt und ein Geschäft machen."

26. Februar 2007

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