Warum sich selbst Popmusiker für den vor 400 Jahren geborenen Kirchenlieddichter Paul Gerhardt interessieren

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Von Nicole Kiesewetter (epd)

Berlin (epd). "Paul Gerhardt ist bekannt und unbekannt zugleich". Christian Bunners, Theologe und Musikwissenschaftler aus Berlin, kennt sich wie kaum ein zweiter mit Leben, Werk und Wirkung des bedeutendsten deutschen Kirchenlieddichters aus. Nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit Gerhardt weiß er: "Vielen ist sein Name von Kindheit an vertraut, anderen sagt er gar nichts." Aber auch denen, so fügt er hinzu, dürften die Verse schon "in Ohr und Herz" geklungen haben.

"Geh aus, mein Herz, und suche Freud", "Befiehl du deine Wege" oder "Die güldne Sonne" gehören zu den wohl bekanntesten Texten von Gerhardt, der am 12. März 1607 in Gräfenhainichen bei Dessau geboren wurde. Und die Wiederkehr seines 400. Geburtstags wirft ihre Schatten unübersehbar voraus.

Während die Kirchenprovinz Sachsen einen Kompositionswettbewerb ausschrieb, brachten die evangelischen Büchereien ein Themenheft und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein Arbeitsheft über den protestantischen Liederdichter heraus. Darüber hinaus gibt es während des Gedenkjahres unzählige Veranstaltungen vor allem in Berlin und Brandenburg, wo Gerhardt als Pfarrer tätig war.

Für Bunners, der auch der 1999 gegründeten Paul-Gerhardt-Gesellschaft vorsteht, ist das wieder erwachte Interesse eine Chance, "die literarischen und spirituellen Werte dieses Dichters neu zu entdecken". Er sehe eine sehr starke Entsprechung zwischen der gesellschaftlichen Krisen- und Umbruchzeit des 17. Jahrhunderts und heute, sagt der Theologe.

Vielfach seien es gerade die sehr persönlichen Krisenerfahrungen Gerhardts, der sehr früh seine Frau sowie vier seiner fünf Kinder verlor, die vielen Menschen einen Zugang zu seinen Texten und Liedern ermöglichten. "Er hat keine billigen Antworten auf Fragen wie: 'Warum lässt Gott das zu?' gegeben", sagt Bunners. Vielmehr habe Gerhardt auch mit seinen während des Dreißigjährigen Krieges entstandenen Liedern versucht, "Menschen durch das Leid hindurch zu tragen". Dabei ermuntere er stets dazu, trotz Not und Angst am Glauben festzuhalten.

Der DDR-Schriftsteller Erwin Strittmatter würdigte die Volkstümlichkeit Gerhardts. Für den Lyrikforscher Hans-Georg Kemper gehören die Gerhardt'schen Lieder "neben Grimms Märchen und noch vor Luthers Bibelübersetzung und Dichtung zu den bekanntesten poetischen Texten überhaupt".

Dass der 1676 gestorbene Paul Gerhardt von seiner Aktualität über die letzten vier Jahrhunderte kaum etwas eingebüßt hat, beweisen auch zwei aktuelle Projekte. So erforscht in Greifswald der Musikwissenschaftler Matthias Schneider, wie die bekannte Gerhardt-Melodie "O Haupt voll Blut und Wunden" vom US-Gesangsduo Simon & Garfunkel in ihrem Stück "American Tune" verarbeitet wurde.

Und dass dies kein Einzelfall war, zeigte jüngst ein Projekt des Musikproduzenten Dieter Falk. Der 1959 geborene Künstler, der einem breiteren Publikum als Jury-Mitglied in der ProSieben-Sendung "Popstars" bekannt wurde, brachte im November sein neues Album "A Tribute to Paul Gerhardt" auf den Markt. Es ist eine CD mit Jazz-Arrangements von bekannten Kirchenliedern Paul Gerhardts.

Schon als Teenager habe er auf der Orgel gerne alte Choräle gespielt, verriet Falk in einem Interview. Als sein Lieblingslied von Paul Gerhardt bezeichnete er "Befiehl du deine Wege". Der Text sei für ihn geradezu zum Lebensmotto geworden, erklärte Falk. Das Gottvertrauen, das hier zur Sprache kommt, bleibe auch nach über 300 Jahren noch "total aktuell".

03. Januar 2007

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