Orientierung aus der Bibel für den Alltag

Jahreslosung und Monatssprüche haben im evangelischen Bereich weltweit Tradition

Von Hans-Dieter Frauer (epd)

Stuttgart (epd). Das neue Jahr beginnt in nahezu allen evangelisch-pietistischen Gemeinschaften nach altem Brauch: Fast überall werden am 1. Januar in so genannten Neujahrsstunden Lose gezogen. Die Teilnehmer ziehen sie aus ihnen verdeckt angebotenen Kärtchen. Sie tragen auf der Rückseite einen Bibelspruch und oft auch einen dazu passenden Liedvers und sollen ihren Besitzer durch das Jahr begleiten. Der seit dem 17. Jahrhundert entstandene Pietismus betont vor allem die persönliche Frömmigkeit.

Das Losziehen am Neujahrstag gibt es schon so lange, dass sich selbst beim traditionsbewussten Altpietistischen Gemeinschaftsverband in Württemberg niemand mehr an die Anfänge erinnern kann. Es gehört bei ihnen ganz selbstverständlich zum Jahresbeginn. Mirakulöser Aberglaube sei mit dem Brauch nicht verbunden, wird betont. So wird am 1. Januar auch der württembergische evangelische Landesbischof Frank Otfried July in Stuttgart zum Losziehen eingeladen.

Das Neujahrslos der Pietisten ist nur eine von vielen Arten, Bibelverse weiterzugeben. Besonders im evangelischen Bereich sind Losungen heimisch geworden. In den Gottesdiensten wird beispielsweise an jedem Sonntag der Wochenspruch gelesen, der als Leitwort für die beginnende Woche betrachtet wird.

Am bekanntesten sind die weltweit verbreiteten Tageslosungen der Herrnhuter Brüdergemeine, die es seit 1731 gibt. Sie gehen zurück auf den Reichsgrafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760). Er gab sie erstmals in Herrnhut aus, einer von evangelischen Glaubensflüchtlingen aus Böhmen in der Oberlausitz gegründeten Gemeinde. Seitdem gibt es sie ununterbrochen, für das Jahr 2007 nun schon im 277. Jahrgang.

Zu den Tageslosungen ließ sich Zinzendorf von der beim Militär stets neu ausgegebenen Tageslosung anregen. Von ihnen leiten sich - so wird vermutet - die pietistischen Neujahrslose ab. Alle Lose haben gemeinsam, dass sie seinem Inhaber ein Wort Gottes zusprechen und ihn ermutigen sollen, es mit dem Vertrauen auf Gottes Verheißungen ins noch unbekannte neue Jahr zu wagen. Die Lose können für sich persönlich, aber auch für Verwandte oder Bekannte, für die Gemeinschaft oder für die Landeskirche gezogen werden.

Eine vergleichsweise kurze Geschichte neben den Losungen für jeden Tag haben die für das ganze Jahr. Sie sind 1934 im Kirchenkampf des Dritten Reiches entstanden. An ihrer Wiege steht der aus Stuttgart stammende Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller (1889-1938), während der NS-Zeit Mitglied der regimekritischen Bekennenden Kirche. In Berlin, wo er als Direktor des Reichsverbandes der evangelischen Jugend Deutschlands tätig war, musste er sich mit den NS-Schlagworten auseinander setzen.

Ihnen stellte er eine christliche Jahreslosung entgegen, um so junge Christen vor den einprägsamen NS-Schlagworten zu bewahren und so gegen den totalitären Machtanspruch der Nationalsozialisten zu stehen. Die erste Jahreslosung "Des Herrn Wort aber bleibet in Ewigkeit" enthielt denn auch nicht nur eine Glaubensstärkung, sondern für den Eingeweihten eine deutliche Absage an die NS-Propaganda.

Seit 1934 gibt es die Jahreslosungen ununterbrochen. Sie waren zunächst eine rein evangelisch-landeskirchliche Angelegenheit, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden sie auch von den Freikirchen übernommen. Heute sind sie weltweit verbreitet.


28. Dezember 2006

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