Die Kirche im Jahre 2020

Evangelische und katholische Bischöfe sinnieren über die Zukunft

Von Thomas Morell (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber träumt von einer Stärkung des Religiösen. In Zukunft, so der Berliner Bischof, werde die Kirche nicht nur als politische Mahnerin, sondern mehr auch als Begegnungsraum mit dem Heiligen wahrgenommen. Für den katholischen Karl Kardinal Lehmann (Mainz) wird die Kirche auch als Minderheit im Kern stark bleiben. In dem neuen Buch "Zukunft wagen" geben 26 evangelische und katholische Bischöfe zwischen Schleswig, Dresden und Karlsruhe Auskunft über ihre Träume und Visionen für das Jahr 2020.

Die Rahmenbedingungen für Träume sind schlecht. Allein aufgrund der demografischen Entwicklung werde die Kirche schrumpfen, schreibt Mitherausgeber Udo Hahn, Mediendezernent im EKD-Kirchenamt. "Die Kirche wird weniger, ärmer und älter." Von Altkanzler Helmut Schmidt ist das Zitat überliefert: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen." Doch die Bischöfe wollen sich nicht entmutigen lassen.

Im Jahre 2020, so erwartet Hannovers Bischöfin Margot Käßmann, werden offene Kirchentüren alle einladen, die Ruhe und Stille suchen. Die Kirchen werden dann einige der wenigen Orte sein, wo die Menschen statt der harten Sprachwelt der Wirtschaft noch poetische Worte hören, "die zu Herzen gehen".

Die Seele der Menschen werde gegen die einseitige Ausrichtung des Lebens auf Geld und Konsum rebellieren, schreibt Bischof Huber. Je stärker die Welt auf Wirtschaft und Markt setze, desto stärker würden auch die Gegenkräfte. Es werde ein neues Gespür dafür entstehen, dass ein komplett diesseitiges Leben zu banal und oberflächlich ist. Huber: "Die religiöse Tiefenschicht des menschlichen Lebens wird wieder entdeckt."

Für Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, wird es in Zukunft viel entscheidender auf das persönliche Zeugnis des Einzelnen in Wort und Tat ankommen. "Der künftige Christ wird ein Zeuge sein, oder er wird bald nicht mehr sein." Dazu gehöre auch die Rede vom Gericht, der Sünde, von Heil und Erlösung.

Bischof Hans Christian Knuth (Schleswig) hofft auf eine "attraktive Volkskirche". Sie würde mitfühlend Partei nehmen für Arme, Kinder und Tiere. Die Gotteshäuser wären wieder Orte der gesellschaftlichen Debatte, die eine neue Perspektive auf das Leben eröffnen. Das Lebensgefühl dieser Volkskirche wäre eine zuversichtliche "Leichtigkeit des Seins", mit der sie sich von Fundamentalisten und Esoterikern abhebt.

Die Gemeinden werden wieder lernen müssen, mehr ihrer Kreativität zu trauen als der Macht des Geldes, sagt der rheinische Präses Nikolaus Schneider. Die Kirchengebäude, so der Kasseler Bischof Martin Hein, bleiben auch künftig als sichtbar gelebtes Christentum erhalten, brauchen aber neue Nutzungen. Als "Silberne Kirche" werde sie vor allem Ansprechpartner für die älteren Generationen sein.

Aber auch Skepsis gegenüber den eigenen Visionen ist zu hören. 2020 werde sie kurz vor der Pensionierung stehen, schreibt Bischöfin Käßmann. Da bleibe die bange Frage, ob sie an den entscheidenden Veränderungen mitgewirkt habe. Auch Kardinal Lehmann zeigt sich zurückhaltend. "Ich bin ein zu nüchterner Mensch, um eine Vision der Kirche der Zukunft zu erträumen." Er lege die Zukunft lieber zuversichtlich in Gottes Hand.

Udo Hahn, Marlies Mügge (Hg.): Zukunft wagen, Träume und Visionen deutscher Bischöfinnen und Bischöfe. Gütersloher Verlagshaus, 140 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 3-579-06424-X.

02. November 2006

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