EKD-Ratsvorsitzender hofft auf Dynamik für kirchlichen Reformprozess

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hat dafür geworben, sich stärker Menschen zuzuwenden, die aus der Kirche ausgetreten sind. Gemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen müssten ihre Angebote stärker so ausrichten, dass sich diese Gruppe angesprochen fühlt, sagte Huber wenige Tage vor Beginn der EKD-Synode in einem epd-Interview in Berlin. Ein besonderer Schlüssel dabei sei die Praxis von Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen. Auch das Angebot von Gottesdiensten zu besonderen Anlässen müsse verstärkt werden.

Diese stärkere Außenorientierung gehöre zusammen mit der Konzentration auf Verkündigung zum nötigen Mentalitätswandel in der evangelischen Kirche, fügte Huber hinzu. Er plädierte dafür, Veränderungen bei der Beteiligung am kirchlichen Leben mehr in den Blick zu nehmen. Die Entwicklung neuer Gemeindeformen bedeute nicht, dass die örtliche Kirchengemeinde ihre Bedeutung verliere. Damit werde anerkannt, dass Menschen sich dort engagierten, wo das Gemeindeangebot ihren Bedürfnissen eher entspreche.

Nach der Vorlage des Impulspapiers "Kirche der Freiheit", mit dem die EKD einen weit reichenden Reformprozess angestoßen hat, geht es Huber zufolge jetzt darum, ob ein Funke überspringe. "Ich hoffe, dass Dynamik auch durch das kritische Weiterdenken bestimmter Reformvorschläge entsteht", sagte der Ratsvorsitzende. Das im Juli präsentierte Papier ist Thema bei der EKD-Synode, die vom 5. bis 9. November in Würzburg tagt.

Der Ratsvorsitzende widersprach der Kritik, die EKD-Veröffentlichung strebe eine Zentralisierung an. Die vorgeschlagenen Konzepte könnten nur von den Landeskirchen entwickelt werden. "Wenn beispielsweise vorgeschlagen wird, die Frauenkirche in Dresden als hervorgehobenen und ausstrahlungsstarken Ort des Protestantismus in Deutschland insgesamt weiter zu entwickeln", so argumentierte Huber, habe dies mit einer Zentralisierung auf EKD-Ebene überhaupt nichts zu tun. Mit den Dienstleistungs- und Kompetenzzentren werde eine Kooperation und Koordination bei kirchlichen Aufgaben empfohlen, für die sich die Landeskirchen auf freiwilliger Grundlage zusammentun könnten, sagte Bischof Huber.

Im Blick auf die umstrittene Empfehlung, bis 2030 die Zahl der 23 evangelischen Landeskirchen auf acht bis zwölf zu verringern, betonte der Ratsvorsitzende, das Impulspapier habe absichtlich keine konkreten Vorschläge für Fusionen unterbreitet. Dieses Thema liege nicht in der Zuständigkeit der EKD, gegenüber den Landeskirchen habe sie in dieser Frage "allenfalls eine dienende Funktion".

01. November 2006


Huber kritisiert Selbstbedienungsmentalität von Spitzenmanagern

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hat überzogene Zahlungen an einige Spitzenmanager in der Wirtschaft kritisiert. Auch wenn in anderen Ländern hohe Abfindungen gezahlt würden, rechtfertige dies kein Verhalten, das die Bevölkerung als "Selbstbedienungsmentalität" empfinde, die auf Kosten anderer gehe, sagte Huber in einem epd-Interview in Berlin.

Wirtschaftskapitäne sollten selbst Vorbilder sein, verlangte Huber. Die Wirtschaft könne nicht von der Politik verlangen, vorbildlich zu arbeiten und zu handeln, "während einige Menschen in herausgehobener wirtschaftlicher Verantwortung sich dieser Verpflichtung entziehen." Dies sei die Frage nach öffentlichen Tugenden.

Reichtum und Ungleichverteilung müssten daran gemessen werden, ob sie noch denjenigen zugute kommen, denen Teilhabe an der Gesellschaft kaum oder gar nicht möglich sei, sagte der Ratsvorsitzende wenige Tage vor Beginn der diesjährigen EKD-Synode in Würzburg. Das Schwerpunktthema des Treffens ist Armut und Reichtum. Der Maßstab sei nicht, ob Manager das Vielfache ihrer Angestellten verdienen. Die maßgebliche Frage laute: "Wird Vermögen umgesetzt in Aktivität, die Arbeitslosigkeit abbaut oder neue Arbeitsplätze schafft? Wird es umgesetzt in wirtschaftliche Dynamik?"

Arbeitslosigkeit sei der Kern des Armutsproblems, erklärte Huber. Die Perspektivlosigkeit, die sich durch den Ausschluss aus der aktiven Gesellschaft entwickeln und bis in die nächste Generation fortsetzen könne, "muss uns aufrütteln". Es wachse die Zahl derer, "die nicht wissen, wo sie regelmäßig zu Mittag essen, die bei Initiativen wie den Tafeln, den Vesperkirchen und Obdachlosenunterstützungen Schlange stehen." Daran dürfe sich die Gesellschaft unter keinen Umständen gewöhnen, so der Berliner Bischof.

Im Blick auf die Folgen der Hartz-IV-Reform sagte Huber, er mache besonders auf die Menschen aufmerksam, "für die Hartz IV zu einer Rutschbahn in die Armut wird". Dies sei nicht die Absicht der Reform gewesen. Deshalb müsse die Politik für diese Personengruppe "neue Initiativen ergreifen."

01. November 2006


EKD-Ratsvorsitzender Huber: Es geht darum, ob der Funke überspringt - (epd-Interview/Wortlaut)

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat Kritik widersprochen, das Impulspapier "Kirche der Freiheit" strebe eine Zentralisierung an. Die Konzepte besonderer kirchlicher Orte sowie sogenannter Dienstleistungs- und Kompetenzzentren könnten nur von den Landeskirchen entwickelt werden, sagte der Berliner Bischof in einem epd-Interview wenige Tage vor Beginn der EKD-Synode. Mit Huber sprachen Rainer Clos und Bettina Markmeyer in Berlin.

epd: Die von Ihnen geleitete Perspektivkommission hat ein brisantes Papier vorgelegt, das die evangelische Kirche für das Jahr 2030 fit machen soll. Nun wird sich die Synode erstmals mit dem Impulspapier "Kirche der Freiheit" befassen. Erwarten Sie Rückenwind für die Reformvorschläge oder wo wird es eher Widerspruch geben?

Huber: Ich freue mich, dass sich die Synode mit dem Impulspapier "Kirche der Freiheit" und den Vorschlägen der Perspektivkommission beschäftigen wird. Von anderen Schriften der EKD unterscheidet sich dieses Impulspapier dadurch, dass es in unserer Kirche selbst einen Prozess der Veränderung in Gang bringen will. Es geht darum, einen Anstoß zu geben, der zu einer Veränderung der Wirklichkeit in unseren Gemeinden und Kirchen führt. Deswegen kommt es darauf an, wer sich zum Subjekt dieses Prozesses macht. Das ist nicht der Rat der EKD und erst recht nicht die Perspektivkommission, sondern das sind die kirchlichen Akteure auf allen Ebenen - in den Gemeinden, in den Kirchenkreisen, in den Landeskirchen, in der EKD und ihrer Synode.

Es geht also darum, ob ein Funke überspringt. Die Synode wird, so hoffe ich, klären, welche Vorschläge sie aufnehmen und sich zu Eigen machen will als Schwerpunkte in einem Reformprozess, der den Zeitraum von 2007 bis zum Reformationsjubiläum im Jahr 2017 bestimmt. Ich hoffe, dass Dynamik auch durch das kritische Weiterdenken bestimmter Reformvorschläge entsteht. Wenn diejenigen, die andere Konzepte haben, Modelle dafür schaffen, wie Kirche sich bewegt, dann entspricht auch dies dem Sinn des Impulspapiers.

Im Wesentlichen geht es in diesem EKD-Papier darum, dass in unserer Kirche eine deutliche Konzentration auf den Kern des Evangeliums und auf die Botschaft von der Gnade Gottes erfolgt, so dass sie Menschen wirklich erreicht, ihnen Heimat und Verwurzelung im Glauben vermittelt. Gleichzeitig geht es um eine Orientierung nach außen hin zu den Menschen, die sehr wohl nach Glaube und Kirche fragen, aber dies als Kirchenungewohnte und -ungeübte tun.

epd: Sind diese Kirchenungeübten jene fünf Millionen Menschen, die in den vergangenen Jahren ausgetreten sind und keinen Kontakt mehr zur Kirche haben? Braucht es für diese Gruppe neuartige kirchliche Angebote?

Huber: Es braucht eine neue Aufmerksamkeit für Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind. Für viele von ihnen ist das Motiv zum Kirchenaustritt heute mitunter gar nicht mehr tragend. Aber sie finden nur schwer den Weg zurück zur Kirche. Es geht aber auch um die Kinder aus Familien, die den Kontakt zur Kirche verloren haben. Dass wir als Gemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen diese Gruppe stärker im Bewusstsein haben, gehört zu dem Mentalitätswandel, auf den es ankommt. Denn nur dann kann es gelingen, dass die Thematik kirchlicher Veranstaltungen, die Gestaltung von Gottesdiensten, die kirchlichen Bildungsangebote so ausgerichtet werden, dass sich diese Gruppe von Menschen angesprochen fühlt.

Ein besonderer Schlüssel dazu ist die Praxis kirchlicher Amtshandlungen - Taufen, Konfirmationen, Trauungen, Beerdigungen. Sehr wichtig sind auch die anlassbezogenen Gottesdienste, so weit sie nicht Kasualgottesdienste sind. Das sind zum Beispiel Gottesdienste zu Schulbeginn und -entlassung, Gottesdienste in Urlaubsgebieten, Gottesdienste aus besonders erfreulichen oder auch erschütternden Anlässen. In dieser Hinsicht hat sich innerhalb des letzten Jahrzehnts in unserer Kirche schon ungeheuer viel verändert. Aber es ist an der Zeit, Veränderungen noch beherzter anzugehen. Diese besonderen Gottesdienste müssen so ausgestaltet werden, dass sie als vergleichbar wichtig wahrgenommen werden wie die Sonntagsgottesdienste, die natürlich der Kern des gottesdienstlichen Geschehens in unseren Gemeinden bleiben.

Ähnliche Überlegungen haben wir im Blick auf unterschiedliche Profile von Kirchengemeinden entwickelt. Das bedeutet nicht, dass die örtliche Kirchengemeinde an Bedeutung verliert. Allerdings entwickelt sich das Beteiligungsverhalten dahingehend weiter, dass viele sehr wohl kirchlich beteiligt sind, aber dies nicht unbedingt in der eigenen Wohnortgemeinde, sondern unter Umständen in einer anderen Gemeinde, deren besonderes Angebot ihren Bedürfnissen oder ihrem Engagement eher entspricht. Diese Veränderung sollten wir nicht verschämt zur Kenntnis nehmen. Sondern wir wollen die gewandelten Beteiligungsformen der Menschen am kirchlichen Leben respektieren und würdigen.

epd: Neben dem Zuschnitt der Landeskirchen macht sich ein Haupteinwand am Reizwort Zentralisierung fest. In dem Impulspapier ist davon keine Rede: Dort wird vom vermehrten Koordinierungsbedarf gesprochen, der der EKD zuwächst. Sie sprechen von Bündelung der Kräfte. Wie wollen Sie diese Besorgnisse entkräften?

Huber: Die Zentralisierungsdebatte entzündet sich an den Vorschlägen, die die besonderen kirchlichen Orte einerseits und die so genannten Kompetenzzentren und Dienstleistungszentren andererseits betreffen. Das eine wie das andere kann sich aber überhaupt nur in der Verantwortung der Landeskirchen entwickeln und nicht in der Verantwortung der EKD.

Wenn beispielsweise vorgeschlagen wird, die Frauenkirche in Dresden als hervorgehobenen und ausstrahlungsstarken Ort des Protestantismus in Deutschland insgesamt weiter zu entwickeln, dann hat das mit einer Zentralisierung auf der Ebene der EKD überhaupt nichts zu tun. Vielmehr nehmen wir mit Dankbarkeit wahr, dass das von vielen unerwartete, von manchen gar mit Skepsis betrachtete Vorhaben der Wiederherstellung der Frauenkirche für den Protestantismus insgesamt, auch weit über die deutschen Grenzen hinaus, zu einem Kristallisationspunkt der Hoffnung und der Bereitschaft zur Versöhnung geworden ist. Wenn wir dies dankbar feststellen und uns nicht nur daran freuen, so weit wir Sachsen sind, hat das mit Zentralisierung wirklich nichts zu tun.

Das andere Beispiel: Ein computergestütztes Programm zur Erfassung von landeskirchlichen Immobilien ist eine Dienstleistung, die unter Umständen gebündelt mehreren oder auch allen Landeskirchen zur Verfügung gestellt werden könnte. Zu dieser Bündelung können wir ermutigen, wobei damit nicht festgelegt ist, dass diese Bündelung in der Hand der EKD liegen muss. Vorgeschlagen wird ein Prozess der Koordination und der Kooperation bei Aufgaben, die in der Verantwortung der Landeskirchen bleiben, für die sie sich aber auf freiwilliger Grundlage zusammentun können. Dabei sind nicht Einsparungen bei der Gemeindearbeit das Ziel, sondern eine effizientere Nutzung von Ressourcen.

01. November 2006

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