Europas Protestanten: Mehr Dialog mit Islam notwendig

Absage an "Rechristianisierung" Europas

Budapest (epd). Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) hat angesichts wachsender Konkurrenz zwischen den Religionen zur Schärfung des protestantischen Profils und stärkeren missionarischen Anstrengungen aufgerufen. "In mehreren Ländern Europas leben heute mehr Muslime als Protestanten", heißt es in einer am Freitag auf der 6. GEKE- Vollversammlung in Budapest vorgelegten Studie. Einer "Rechristianisierung" Europas und jedem "missionarischen Imperialismus" erteilte der Dachverband fast aller protestantischen Kirchen auf dem Kontinent allerdings eine Absage. Dies sei weder realistisch noch erstrebenswert.

"Religiöser Pluralismus stellt das Christentum in eine Konkurrenzsituation", wird in dem Dokument "Evangelisch evangelisieren - Perspektiven für Kirchen in Europa" betont. Der Islam sei inzwischen wieder zu einer europäischen Religion geworden. Die Kirchen seien wieder gefordert, sich mit anderem Glauben auseinander zu setzen. Religiöser Pluralismus werde von manchen Menschen "als gefährliche Irritation und Bedrohung der eigenen religiösen Identität" erfahren. Zugleich wird davor gewarnt, die eigene Identität durch Ausgrenzung und Rückzug zu sichern.

Für eine stärkere missionarische Ausrichtung der evangelischen Kirchen spreche ein Wandel in vielen Bereichen. In der EU werde die Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen in den nächsten 15 Jahren um etwa 20 Prozent zunehmen, die Zahl der über 80-Jährigen sogar um etwa 50 Prozent: "Evangelisierung wird auf diesen Strukturwandel reagieren müssen, indem sie sich älteren Menschen und Alleinstehenden in neuer Weise zuwendet." Kompetenzen und Fähigkeiten älterer Menschen müssten für den Dienst in der Kirche gewonnen werden.

Die "missionsmüden Kirchen Europas" erlebten zudem eine Herausforderung, aber auch Bereicherung durch die Kirchen des Südens der Erde und Gemeinden von Migranten vor Ort, hieß es weiter. Als Zukunftsfrage für die Kirchen in Europa bezeichnete es die GEKE, ob sie fähig und bereit sind für die Zusammenarbeit mit den Gemeinden und christlichen Traditionen aus anderen Kontinenten. Dies sei auch eine Chance für die globale Ökumene.

Kritisch äußerte sich der protestantische Dachverband zu einem "Gesundheitskult" in Europa. Merkmale der "postmodernen Gesundheitsreligion" seien unter anderem die Vergötzung der Jugend und eine Fitness-Kultur mit überzogenen Heilserwartungen an die Medizin. "Hauptsache gesund" sei kein sinnstiftendes Lebensmotto. Evangelisierung ziele darauf, Menschen mit der "Gebrochenheit und Begrenztheit" ihres Lebens auszusöhnen: "Es geht nicht darum, dem Leben immer mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben."

Der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) gehören rund 105 Mitgliedskirchen an, die einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gewähren. Ihr Gründungsdokument ist die 1973 in der Nähe von Basel unterzeichnete "Leuenberger Konkordie". Mit dem Text wurde die mehr als 450-jährige Spaltung zwischen lutherischen und reformierten Kirchen seit der Reformation beendet. Die siebentägige 6. GEKE-Vollversammlung mit rund 200 Delegierten in der ungarischen Hauptstadt geht am Montag zu Ende.

15. September 2006

Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)

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