Erste Rabbiner-Ordination in Deutschland nach dem Holocaust

Berlin/Dresden (epd). Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus sollen in Deutschland erstmals wieder Rabbiner ordiniert werden. Zu der Feier für die drei ersten Absolventen des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs, der einzigen deutschen Ausbildungsstätte für jüdische Geistliche, werden am Donnerstag in der Dresdner Synagoge auch hochrangige Vertreter aus Religion, Politik und Gesellschaft erwartet. Zuletzt wurde 1940 ein Rabbiner in Deutschland ordiniert.

Nach dem Holocaust hätten sich viele ein neuerliches Aufblühen des jüdischen Lebens in Deutschland nicht vorstellen können, erklärte Bundespräsident Horst Köhler. Die erste Rabbinerordination seit über 60 Jahren sei deswegen ein ganz besonderes Ereignis. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete das Geiger-Kolleg als "Symbol einer vitalen und wachsenden jüdischen Gemeinschaft". Sie hoffe auf weitere Studierende. Nach Ansicht der Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, ist das Ziel ein Stück näher gerückt, jüdisches Leben in allen seinen Facetten in den Gemeinden zu etablieren.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, sprach von einem "historischen Datum". Eine neue Generation von Auslegern der Heiligen Schrift für die jüdischen Gemeinden in Deutschland wachse heran. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, sprach Glück- und Segenswünsche für die erste Ordination aus.

An der Amtseinführung wollen neben Knobloch auch der sächsische evangelische Landesbischof Jochen Bohl, Prälat Stephan Reimers von der EKD, der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, und der Generalsekretär des deutschen Zentralrates der Muslime, Ayyub Axel Köhler, teilnehmen. Erwartet werden zudem Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) und sein brandenburgischer Kollege Matthias Platzeck (SPD).

12. September 2006

EKD-Pressemitteilung "Wolfgang Huber gratuliert zu Rabbinerordination"

Das Rabbinerseminar "Abraham-Geiger-Kolleg"


Neue Rabbiner für das jüdische Leben

In Dresden werden die ersten Rabbiner in Deutschland seit 1940 ordiniert

Von Yvonne Jennerjahn (epd)

Potsdam/Dresden (epd). Der schmale Mann mit dem Tuch über dem T-Shirt bleibt fast während der ganzen Zeremonie ruhig sitzen. Dann plötzlich steht Tom Kucera auf und geht zu zwei jungen Männern, gibt jedem von ihnen auch einen Gebetsschal und nimmt sie mit zur Bima, dem Leseplatz. Zusammen mit zwei anderen Gottesdienstbesuchern öffnen sie den Schrein dahinter, holen die Thorarolle heraus, tragen sie durch die Gemeinde und legen die Schrift auf den Tisch in der Mitte des Raums. Die Lesung beginnt.

Eine Studentin predigt über starke Frauen, Tom Kucera spricht von Freiheit und Verantwortung und singt die Haftara, Verse aus der Thora, der hebräischen Bibel. Auch er ist Rabbinerschüler. Am Donnerstag wird der 36-jährige Biochemiker aus Tschechien gemeinsam mit zwei weiteren Studenten des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs in der Dresdner Synagoge zum Rabbiner ordiniert. Die drei sind die ersten Absolventen der 1999 gegründeten Ausbildungsstätte, der einzigen in der Bundesrepublik. Und sie sind die ersten Rabbiner, die in Deutschland nach dem Holocaust ordiniert werden.

"Ich glaube an die Evolution", begründet Tom Kucera seine Entscheidung, Rabbiner zu werden. "Nicht nur in der Natur und im Kosmos, sondern auch im persönlichen Leben." In den 90er Jahren verließ er Tschechien und schrieb in Göttingen seine Doktorarbeit als Molekularbiologe. Während eines Forschungsaufenthalts in den USA gab dann eine Freundin den Anstoß, noch etwas anderes zu wagen, und ihm vorgeschlagen, Rabbiner zu werden.

Erst lehnte er ab. Nach und nach ließ er sich aber auf den Gedanken ein, als Lehrer eine jüdische Gemeinde zu leiten. Nach zwei Jahren an einer Rabbinerschule in Jerusalem wechselte er an das Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam, das sich als Nachfolgerin der 1942 von der Gestapo geschlossenen Berliner "Hochschule für die Wissenschaft des Judentums" versteht.

Daniel Alter nennt die "Liebe zu den Menschen" und zu seiner Religion als Motive für seine Entscheidung, Rabbiner zu werden. Der 47-jährige Franke war zuletzt Religionslehrer am Jüdischen Gymnasium in Berlin. Dass er zu den ersten ordinierten Rabbinern in Deutschland seit 1940 gehört, umschreibt er kurz mit einem Wort: "Bedauerlich." "Mir wäre es lieber, vor mir wären hunderte Rabbiner ordiniert worden und uns wäre der Bruch der Shoa erspart geblieben."

Als wichtiges historisches Ereignis sieht der dritte der neuen Rabbiner, Malcolm Matitiani, die anstehende Ordinationsfeier. "Es ist ein Sieg von Freiheit und Menschenwürde über Tyrannei und Fremdenfeindlichkeit", sagt der 38-jährige Südafrikaner, der zuvor als Koch und Linguistikdozent gearbeitet hat. Auch der Rektor des Geiger-Kollegs, Rabbiner Walter Homolka, beschreibt den kommenden Donnerstag als "historische Wegmarke" und Zeichen der Versöhnung mit Osteuropa. Denn die von der Union progressiver Juden gegründete Einrichtung bildet auch Rabbiner für dortige Gemeinden aus. "Die Renaissance des jüdischen Lebens braucht Rabbiner", sagt Homolka.

Wo die drei neuen Rabbiner künftig arbeiten, steht bereits fest: Tom Kucera wird nach München gehen, Daniel Alter in Oldenburg seinen Dienst aufnehmen und Malcolm Matitiani kehrt zurück nach Kapstadt. Die nächsten Absolventen des Geiger-Kollegs, das derzeit von zehn weiteren Studenten aus Deutschland, Russland und der Ukraine besucht wird, sollen 2008 ordiniert werden.

12. September 2006

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