Huber gegen pauschalen Terrorverdacht wegen Religionszugehörigkeit

Berlin (epd). Ein Terrorverdacht darf nach Auffassung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, nicht schon aus der Religionszugehörigkeit von Menschen abgeleitet werden. Es sei völlig unangemessen, "in der Religionszugehörigkeit als solcher ein Indiz dafür zu sehen", sagte der Berliner Bischof in einem epd-Interview. "Das würde die Diskussionslage in unserem Land vergiften." Er räumte ein, dass im Einzelfall allerdings die Religionszugehörigkeit zur vollständigen Datenerfassung gehören könne.

Der höchste Repräsentant der deutschen Protestanten warnte vor Pauschalisierungen. "Die große Mehrheit der unter uns lebenden Muslime lehnt den Terror ebenso ab wie wir Christen." sagte Huber. Von drei Millionen Muslimen in Deutschland würden nur einige hundert in der Nähe von terroristischen Vereinigungen stehen. Allerdings seien die wenigen gefährlich genug.

Huber sagte, er erkenne keine Tendenz, dass Deutschland ein Überwachungsstaat werde. "Aber wir haben mehr Instrumente zur Vorbeugung entwickelt." Er sei für die Möglichkeit dankbar, "Menschen zu identifizieren und aufzuspüren, die an der Vorbereitung von Gewalttaten beteiligt sind".

Der EKD-Ratsvorsitzende warnte vor Panik angesichts terroristischer Bedrohung. "Man würde sich doch dem Terror ausliefern, wenn man den eigenen Alltag in dieser Form davon beherrscht sein ließe", sagte Huber anlässlich des fünften Jahrestags der Anschläge von New York und Washington am 11. September 2001. Der beste Schutz sei eine Grundhaltung, "die von Gottvertrauen, Zuversicht und Zuwendung zum Mitmenschen bestimmt ist". Dies schließe ein, die für Sicherheit zuständigen Stellen zu unterstützen.

Huber wertete Sicherheit als eine Voraussetzung von Freiheit. "Ein freiheitliches Gemeinwesen bezieht seine Stärke daraus, dass es dieses Verhältnis von Sicherheit und Freiheit nicht umkehrt." Daher dürfe Freiheit nicht preisgegeben werden, um Sicherheit zu erhöhen, "sondern Sicherheit muss gewährleistet werden, um Freiheit möglich zu machen".

07. September 2006


Bischof Huber: Muslime müssen deutsche Rechtsordnung voll anerkennen

EKD für theologischen Dialog auch über Selbstmordattentate

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, fordert von in Deutschland lebenden Muslimen eine vollständige Anerkennung der Rechtsordnung. Dies dürfe nicht nur aus taktischer Rücksichtnahme erfolgen, weil sich der Islam in einer Minderheitenposition befinde, sagte Huber in einem epd-Interview. Nötig sei die innere Überzeugung, "dass alle Menschen die gleiche Würde und das gleiche Recht haben - übrigens Frauen wie Männer", erklärte der Theologe. Die Scharia könne in Deutschland nicht gelten.

Für Christen sei der säkulare Charakter der Rechts- und Staatsordnung ein Teil der Glaubensüberzeugung geworden, "weil wir uns dazu bekennen, dass der freiheitliche Staat eine Heimstatt aller Bürgerinnen und Bürger ist - auch derjenigen, die eine andere religiöse Überzeugung haben als wir selber", sagte Huber. Die Auseinandersetzung mit dem Islam nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 habe zur Klärung des Verhältnisses der Religionen beigetragen. Er begrüße, "dass sich Christen stärker auf die eigene Identität und den eigenen Glauben besinnen", sagte Huber.

Der höchste Repräsentant der 25,6 Millionen Protestanten in Deutschland räumte ein, dass in der Vergangenheit anderen Religionen mit zu viel Vertrauensvorschuss begegnet worden sei. "Die Toleranz, die sich in unserem Land entwickelt hatte, war zu einem erheblichen Anteil eine Toleranz der Gleichgültigkeit", sagte Huber. Man sei tolerant gegenüber Muslimen und Vertretern anderer Religionen gewesen, "ohne überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, worin denn deren Religion bestand".

Der Berliner Bischof sprach sich für eine Vertiefung des Dialogs mit dem Islam aus. Die Diskussion müsse nicht nur über gesellschaftliche, sondern auch über theologische Fragen, beispielsweise über Selbstmordattentate, geführt werden. "Wir brauchen eine theologische Diskussion darüber, welche Selbstrechtfertigung vor Gott in solch einer Vorstellung zum Ausdruck kommt." Die religiöse Dimension werde von den muslimischen Verbänden auf die Zuständigkeit der Imame verwiesen. "Wir spüren zugleich, dass diese Trennung nicht funktioniert", sagte Huber.

Huber kündigte an, dass die EKD für die evangelischen Gemeinden neue Empfehlungen zum Umgang mit Muslimen herausgeben werde. Darin sollten die Veränderungen seit dem 11. September 2001 verarbeitet und Ratschläge für konkretes Handeln gegeben werden. Die neu Dimension des Terrors sei für die evangelische Kirche "eine ganz neue friedensethische, friedenspolitische und rechtliche Herausforderung".

07. September 2006

Das Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd) mit dem EKD-Ratsvorsitzenden im Wortlaut

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