EKD würdigt Lebenswerk von Eugen Gerstenmaier

Hannover (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat den vor 100 Jahren geborenen früheren Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier (CDU) gewürdigt. Er sei einer der wichtigen Verantwortungsträger der evangelischen Kirche nach 1945 und eine der prägenden Gründergestalten der Bonner Republik gewesen, erklärte der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, am Mittwoch in Hannover. Der evangelische Theologe Gerstenmaier wurde am 25. August 1906 in Württemberg geboren und starb am 13. März 1986 in der Nähe von Bonn.

"Als konservativer Theologe fand er den Weg in den Widerstand und war zum Tyrannenmord bereit", so Huber. Als pragmatischer Gestalter habe er der Kirche geholfen, die Not der Nachkriegsjahre zu lindern. "Als Politiker prägte er ein Schlüsselamt der parlamentarischen Demokratie", fügte der EKD-Ratsvorsitzender hinzu.

Gerstenmaier habe zudem entscheidend zu einem neuen Verhältnis von Protestantismus und Demokratie in Deutschland beigetragen, betonte Huber. Er habe die Neuformung des diakonischen Profils der evangelischen Kirche im Nachkriegsdeutschland mitgeprägt. Huber: "Seine politische Erfahrung, seine persönliche Integrität und seine überzeugte evangelische Position haben ihm einen Respekt erworben, der auch das Gedenken zu seinem 100. Geburtstag prägt."

Gerstenmaier war in der NS-Zeit Mitglied der "Bekennenden Kirche" und am Widerstand des Kreisauer Kreises gegen die NS-Herrschaft beteiligt. Mehr als 15 Jahre lang war er Präsident des Deutschen Bundestags. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beteiligte er sich maßgeblich an der Neukonstituierung der Evangelischen Kirche in Deutschland, betonte Huber. 1945 wurde er zum Leiter der Vorläufer-Organisation des heutigen Diakonischen Werkes der EKD berufen, das er bis 1951 leitete. Der EKD-Synode gehörte Gerstenmaier bis zu seinem Ausscheiden aus Altersgründen über 25 Jahre an.

23. August 2006

EKD-Pressemitteilung "Eugen Gerstenmaier zum 100. Geburtstag"


Kantiger Kirchenmann und Politiker

Vor 100 Jahren wurde Eugen Gerstenmaier geboren

Von Rainer Clos (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Anfang Juli kam er wieder in die Schlagzeilen: der Lange Eugen, eines der bekanntesten politischen Bauwerke Deutschlands. In Anwesenheit von UN-Generalsekretär Kofi Annan bezogen UN-Einrichtungen das für 55 Millionen Euro renovierte einstige Abgeordnetenhaus in Bonn. Seinen Namen verdankt das 106 Meter hohe Haus mit 29 Etagen, das zwischen 1965 und 1969 erbaut wurde, dem damaligen Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier (CDU). Der Befürworter des Neubaus musste im Volksmund als Namenspate herhalten.

Der Politiker Gerstenmaier, der am 25. August 100 Jahre alt geworden wäre und zu den zentralen Figuren der ersten Hälfte der Bonner Republik zählt, ist dahinter weitgehend in Vergessenheit geraten. Dabei blieb er in der Reihe der Bundestagspräsidenten seit 1949 derjenige, der es mit 15 Jahren auf die längste Amtszeit brachte. Von 1954 bis 1969 leitete er das Parlament.

In dieser Phase prägte der schwäbische Christdemokrat Gerstenmaier, zusammen mit seinem langjährigen Vizepräsidenten Carlo Schmid (SPD), den parlamentarischen Stil der jungen Bundesrepublik. Stabilisierung der parlamentarischen Demokratie und Überwindung der deutschen Teilung waren zwei Motive seines politischen Handelns. Gerstenmaier setzte sich für die Erhaltung der Ruine des Reichstags und häufige Bundestagspräsenz in Berlin ein.

In der überwiegend katholisch geprägten CDU gehörte der evangelische Theologe zu den Repräsentanten des protestantischen Flügels. Gegen Kritik aus Teilen der evangelischen Kirche verteidigte er das C und plädierte für das Festhalten der Union am christlichen Menschenbild als programmatischer Richtschnur. Weitsichtig gemessen an aktuellen sozialpolitischen Reformnöten warnte er davor, den Sozialstaat zu überdehnen und damit die Eigenverantwortung auszuhöhlen.

Sein Eintreten für eine aktivere Deutschland- und Ostpolitik der CDU, zu deren stellvertretenden Vorsitzenden er seit 1956 gehörte, brachte ihn in Konflikt mit Adenauer. Auch in parteiinterne Machtkämpfe war der begabte Redner verstrickt. So wurden in seinem Jagdhaus im Hunsrück 1965 Pläne zum Sturz des damaligen Kanzlers Ludwig Erhard erörtert, mit von der Partei waren die Unionspolitiker Bruno Heck, Josef Hermann Dufhues und Helmut Kohl. Ein Jahr später verhinderte die CSU, dass Gerstenmaier Kanzler wurde.

Als Ältester von acht Geschwistern in einer kleinbürgerlichen Familie wurde Gerstenmaier am 25. August 1906 in Kirchheim/Teck geboren. Geprägt wurde er vom württembergischen Pietismus und schloss sich der "Christdeutschen Jugend" an. Nach einer Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter holte er das Abitur nach und nahm das Studium der evangelischen Theologie auf. Nach der Promotion wurde er 1935 wissenschaftlicher Mitarbeiter im kirchlichen Außenamt unter Bischof Theodor Heckel, der Ökumeneabteilung der Deutschen Evangelischen Kirche.

Während des NS-Regimes stieß Gerstenmaier zum Widerstand gegen Hitler. Als Mitglied des "Kreisauer Kreises" wurde er nach dem gescheiterten Attentat 1944 zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Dass Gerstenmaier ausgerechnet wegen Wiedergutmachungsleistungen für erlittenes Unrecht politisch zu Fall kam, ist nicht frei von Tragik. Ihm wurde vorgeworfen, sich durch die 1965 vom Bundestag beschlossene Neufassung eines Wiedergutmachungsgesetzes persönlich finanziell bereichert zu haben. Unter dem Druck massiver öffentlicher Kritik trat er am 23. Januar 1969 als Bundestagspräsident zurück.

In der Nachkriegszeit zog Gerstenmaier auch Fäden in der evangelischen Publizistik. Im Juni 1948 erhielt er mit anderen evangelischen Repräsentanten von der US-Besatzungsbehörde die Lizenz für eine evangelische Wochenzeitung mit Sitz in Stuttgart. Den Anspruch von "Christ und Welt" gab er in der ersten Ausgabe vor: "Wir wollen in dieser Zeitung nicht predigen, sondern Informationen geben, in denen sich die Weite und Vielfalt christlicher Wirklichkeitserfahrung abzeichnet. Wir wollen nicht nur freundliche Schilderer der Zeitgeschichte sein, vielmehr eine deutsche Stimme im lauter werdenden politischen Konzert." Gerstenmaier starb an den Folgen eines Schlaganfalls am 13. März 1986.

23. August 2006

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