Pfarrer Brüsewitz: Aufschrei gegen den Totalanspruch einer Partei

Die Selbstverbrennung von Brüsewitz und das Erziehungsmonopol der SED

Berlin/Zeitz (epd). Kaum ein Ereignis in der DDR ist in Ost und West so kontrovers interpretiert worden wie die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz vor 30 Jahren am 18. August 1976 in Zeitz. Dabei ließen die Plakate, die der evangelische Pfarrer vor der Michaeliskirche der Kreisstadt an seinem "Wartburg" befestigte, bevor er sich in Brand steckte, keinen Zweifel an seiner Botschaft. "Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen", hieß es auf einem der beiden in der ihm eigenen Sprache.

Damit richtete sich sein Protest unmissverständlich gegen den von der SED erhobenen Totalanspruch auf die Erziehung der jungen Generation. Dies machte den Kirchen wie kein anderes Problem in der DDR immer wieder zu schaffen. Und so protestierte auch Brüsewitz unter Einsatz seines Lebens gegen das von der SED beanspruchte Erziehungsmonopol, das von der Kinderkrippe über Schule und Lehre bis zur Universität reichte. Dadurch hoffte die Partei, die jungen Leute möglichst geschlossen als Anhänger der sozialistischen Idee zu gewinnen.

Für die christlichen Kirchen in der DDR waren damit zugleich enge Grenzen gesetzt. Jeden möglichen Einfluss auf junge Menschen, sei es in kirchlichen Kindergärten oder im Konfirmandenunterricht, sei es in der Ausbildung zu kirchlichen Berufen oder beim Theologiestudium an staatlichen Universitäten, verfolgte die SED nicht nur mit großem Argwohn, sondern oft genug auch mit den Mitteln der Repression.

Das haben nicht nur zahlreiche Pfarrer, sondern auch die Eltern junger Christen und vor allem die jungen Leute selbst immer wieder zu spüren bekommen. Etwa dann, wenn sie sich vor ihren Klassen oder gar vor der gesamten Schule rechtfertigen mussten, warum sie immer noch zur Kirche gehen. Wer als bewusster Christ in der DDR aufgewachsen ist, kann davon so manches Lied singen. An Diskriminierungen und Diffamierungen war kein Mangel. Sie reichten von Sticheleien im Unterricht bis zum Ausschluss vom Abitur oder vom Studium.

Die Kirchen haben sich in öffentlichen Erklärungen oder vertraulichen Gesprächen mit Staatsfunktionären dagegen immer wieder zur Wehr gesetzt. Regelmäßig verwiesen sie auf die DDR-Verfassung, die die Gleichberechtigung aller Bürger ausdrücklich garantierte. Aber viel mehr als an solche Zusagen zu erinnern und zugleich betroffenen Kindern beizustehen, war ihnen kaum möglich. Viele kirchliche Mitarbeiter haben darunter - wie Brüsewitz - erheblich gelitten. Und nicht wenige von ihnen haben darum seine Selbstverbrennung vor 30 Jahren als stellvertretenden Aufschrei empfunden.

17. August 2006


Aufschrei gegen den Totalanspruch einer Partei - Pfarrer Brüsewitz erschütterte vor 30 Jahren mit seiner Selbstverbrennung die DDR

Von Hans-Jürgen Röder (epd)

Berlin/Zeitz (epd). Nur wenige Ereignisse haben Kirche und Gesellschaft in der DDR so grundlegend erschüttert wie die Selbstverbrennung des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz. 30 Jahre sind seit jenem 18. August 1976 vergangen. Sein Name ist längst zum Symbol für den unbeugsamen Willen von Menschen geworden, die sich mit der Menschen verachtenden Politik der SED-Führung nicht abfinden wollten.

Vor allem die atheistische Erziehung der Kinder hatte Brüsewitz immer wieder zu schaffen gemacht. "Funkspruch an alle... Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen" stand auf einem der beiden Transparente, die er bei der Selbstverbrennung vor der Michaeliskirche in Zeitz an seinem "Wartburg" befestigt hatte.

Rund hundert Passanten sollen damals verfolgt haben, wie sich der 47-jährige Pfarrer im Talar mit Benzin übergossen und in Brand gesteckt hat. Dennoch dauerte es über 54 Stunden, bis erste Meldungen darüber von westlichen Hörfunksendern verbreitet wurden. Wie so oft hatte die SED auch diesmal versucht, alles unter der Decke zu halten.

Dabei setzte sie alle Hebel in Bewegung, um auch die Kirche zum Stillhalten zu zwingen. Die ersten Reaktionen der Magdeburger Kirchenleitung auf die Selbstverbrennung lassen noch heute den Druck spüren, dem sie damals ausgesetzt war. Solchen Pressionen zu widerstehen, gehörte allerdings zum Alltag und betraf Gemeindepfarrer oder Katechetinnen genauso wie Bischöfe oder Oberkirchenräte.

Die Bereitschaft dazu war jedoch durchaus unterschiedlich. Dies um so mehr, als die SED nie einen Zweifel daran ließ, wer die Macht im Land hatte. Dazu gehörte, dass ihr in solchen Konflikten alle Mittel recht waren - von verhaltener Drohung bis unverhohlener Erpressung. Da war mitunter schon mehr als Mut vonnöten, um sich nicht in die Enge treiben zu lassen. Dennoch ist in den ostdeutschen Kirchen wie in westdeutschen Medien bis heute immer wieder der Vorwurf erhoben worden, die kirchenleitenden Männer und Frauen hätten sich billiger Privilegien willen allzu leicht dem Druck der SED gebeugt.

Das Beispiel Brüsewitz ist dafür jedoch denkbar ungeeignet. Denn die zuständige Kirchenleitung stellte sich von Anfang an hinter ihren Pfarrer. Sie war es auch, die die Selbstverbrennung als "flammende Anklage an uns selbst" verstand. Brüsewitz habe, sagte Bischof Werner Krusche im September 1976, seiner Kirche "die Frage ins Herz brennen wollen", warum es sie so kalt lasse, wenn sich Menschen von der Kirche abwenden. Im Jahr darauf schrieb er, Brüsewitz' Tod habe "eine heilsame Beunruhigung und ein leidenschaftliches Nachdenken" ausgelöst.

Aber auch außerhalb der Kirche blieb das "Fanal von Zeitz" nicht ohne Wirkung. Bei vielen Christen und Nichtchristen, selbst bei jungen Marxisten, erwachte die Bereitschaft, nicht mehr alles widerspruchslos hinzunehmen. Dazu trug vor allem ein Kommentar des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland" vom 31. August 1976 bei. Darin beschrieb ihn die Parteiführung als abnorm und geisteskrank.

Die kirchlichen Leitungen haben dem nachdrücklich widersprochen und die SED zu Toleranz gegenüber Andersdenkenden gedrängt. Doch zu Toleranz war die Parteiführung weder fähig noch bereit - am allerwenigsten dort, wo es um den ideologischen Einfluss auf junge Menschen ging. Daran konnte auch der "Burgfrieden" nichts ändern, den Kirche und Staat anderthalb Jahre später am 6. März 1978 schlossen.

Den Kirchen hat dies immerhin zu so viel Stabilität und Selbstbewusstsein verholfen, um den sozialengagierten Basisgruppen in den 1980er Jahren ein schützendes Dach zu bieten. Ihr sichtbarster Erfolg waren die Ökumenischen Versammlungen Ende der 1980er Jahre, die vieles von dem vorwegnahmen, was die Oppositionsgruppen bei der friedlichen Revolution im Herbst 1989 forderten.

17. August 2006


"Mein Vater war ein fröhlicher Mensch" - In einer Zeitzer Ausstellung werden bei Oskar Brüsewitz' Tochter Esther Fröbel Erinnerungen wach

Von Bettina Röder (epd)

Zeitz (epd). "Nein, geahnt haben wir gar nichts", sagt Esther Fröbel. "Am Vortag war die Familie ja noch gemeinsam mit Vater schwimmen, und es war so eine innige Verbundenheit", sagt die 48-jährige Thüringer Pastorin. Die Erinnerung an die warmen Sommertage im August 1976 sind für sie so präsent, als sei es gestern gewesen.

Und wie viele in der DDR erinnert sie sich auch daran, dass "an diesen Schreckenstagen" immer wunderbares Wetter war: Am 13. August 1961 beim Bau der Berliner Mauer, beim Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag 1968, aber auch acht Jahre später am 18. August 1976, als ihr Vater, der damals 47-jährige Pfarrer Oskar Brüsewitz, auf dem Marktplatz der anhaltischen Stadt Zeitz Protestplakate aufstellte, seinen Talar mit Benzin übergoss und sich selbst in Brand setzte.

Die blonde Frau steht im Schloss von Zeitz, wo eine Ausstellung über ihren Vater zu sehen ist. Dokumentiert werden die Ereignisse um den 18. August vor 30 Jahren wie auch das Leben in Rippicha. Auf einem Foto steht der Pfarrer mit dem vollen dunkelblonden Haar vor seiner Dorfkirche, an die er ein weithin leuchtendes Neonkreuz angebracht hatte. Er hat sein Jackett über die Schulter geworfen und lacht. "Vater war fröhlich, bei den jungen Leuten im Dorf sehr beliebt, aber auch sehr streng", sagt Esther Fröbel.

Bilder vom evangelischen Spielplatz in Rippicha sind zu sehen, den Brüsewitz demonstrativ vor der kommunistischen Schule eingerichtet hatte. Andere zeigen den Pfarrer in Gummistiefeln mit einer Spitzhacke auf dem Pfarrgrundstück. Aus Protest gegen die sozialistische Losung "Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein" hatte er ein Plakat mit dem Spruch "Ohne Regen, ohne Gott geht die ganze Welt bankrott" aufgestellt.

Für Esther und ihre Schwester Dorothea Brüsewitz war es klar, dass sie weder in die Pioniere noch in die FDJ gehen durften. "Das war nicht immer leicht, denn wir durften ja vieles nicht, was andere ganz selbstverständlich taten." Zum Beispiel war ihr die Teilnahme an Schülerwettbewerben außerhalb der Schule verwehrt, obwohl sie eine der besten Schülerinnen war.

Der Grund dafür war lapidar: "Weil dabei immer FDJ-Kleidung getragen werden musste", erinnert sie sich. "Mutter hat manchmal beide Augen zugedrückt", lacht sie. Und einmal habe sogar der Schuldirektor mitgespielt. Da hat sie zur Tarnung einfach eine blaue Bluse angezogen und ist zu einem Musikwettbewerb mitgefahren.

Beim Tod ihres Vaters war Esther Brüsewitz 18, ihre Schwester Dorothea 16 Jahre alt. Aufgefallen war ihr nur, dass der Vater sich sehr innig an diesem Morgen des 18. August verabschiedet hat. "Und er hat mich gebeten, sein Lieblingslied auf dem Klavier zu spielen: 'So nimm denn meine Hände'." Als rund drei Stunden später eine Mieterin im Pfarrhaus den Abschiedsbrief des Vaters der Mutter übergeben hatte, war das Unfassbare für sie schnell Gewissheit.

Doch ihre nahe liegende Absicht, Hilfe aus der Stadt zu holen, scheiterte: "Der Vater hatte die Luft von den Reifen meines Mopeds gelassen", sagt sie. Alles war genau geplant. Die Töchter sollten bei der Mutter bleiben, hatte er vorweg bestimmt - ebenso wie seine Entscheidung, in der so genannten Selbstmörderecke des Friedhofs seiner Gemeinde beerdigt zu werden, indem er bereits begonnen hatte, sein Grab auszuheben. Keine Bitterkeit, eher eine tiefe Liebe zu dem Vater schwingt da mit, wenn die Frau, die heute selbst Mutter von zwei Kindern ist, das erzählt.

17. August 2006

Brüsewitz-Zentrum e.V. im Internet

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