Bischöfin Käßmann: Keine Gefahr eines evangelischen Zentralismus

Berlin (epd). Bischöfin Margot Käßmann ist Befürchtungen entgegengetreten, die Empfehlungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu einer umfassenden Strukturreform förderten einen kirchlichen Zentralismus. "Ich halte es für völlig überzogen, die Gefahr eines evangelischen Zentralismus an die Wand zu malen", sagte die Bischöfin der größten evangelischen Landeskirche in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt" (Dienstagsausgabe).

Mit Hinweis auf 23 autonome EKD-Landeskirchen ergänzte Käßmann, Vielfalt gehöre zum evangelischen Profil. In dem EKD-Impulspapier wird ein "Mentalitätswechsel" und ein Umbau auf allen kirchlichen Ebenen bis zum Jahr 2030 empfohlen. Dazu gehört auch der Vorschlag, dass es langfristig nur noch maximal zwölf Landeskirchen geben solle. Gegen diese Reformpläne gab es aus den kleineren Landeskirchen zumeist kritische Stimmen.

Die Reforminitiative werde außerhalb der Kirche positiver wahrgenommen als in der Kirche, sagte Bischöfin Käßmann: "Vielleicht bewegt sich durch einen solchen Impuls mehr als mit 20 Gremiensitzungen und 20 Protokollen." Auf Dauer könne man es sich nicht leisten, dass sich die evangelische Kirche "in unendlich vielen Strukturen" aufreibe.

08. August 2006


Das Interview im vollen Wortlaut:

Religion

"Wir werden nie eine Einheitskirche"

Landesbischöfin Margot Käßmann zur Ökumene, zur Reformbereitschaft der Evangelischen Kirche, zum Dialog mit dem Islam und zum Abtreibungsparagrafen 218 - Interview

DIE WELT: Frau Bischöfin, die Reaktion auf das "Impulspapier" für eine EKD-Reform ist überwiegend skeptisch. Wurde die Reformbereitschaft falsch eingeschätzt?

Bischöfin Margot Käßmann: Nein. Es war richtig, das Impulspapier in die Welt zu setzen - als Diskussionsöffner. Es ist natürlich neu, dass von der EKD her so ein Reformanstoß kommt. Und ich erlebe, dass er draußen positiver wahrgenommen wird als in der Kirche. Vielleicht bewegt sich durch einen solchen Impuls mehr als mit 20 Gremiensitzungen und 20 Protokollen.

WELT: Aber die Furcht vor einem kirchlichen Zentralismus ist doch nicht zu leugnen?

Käßmann: Ich halte es für völlig überzogen, die Gefahr eines evangelischen Zentralismus an die Wand zu malen. Vielfalt gehört zu unserem Profil. Im Moment haben wir 23 Landeskirchen, die alle autonom sind und sich in der Föderation EKD zusammenfinden. Manches Mal wäre es schon leichter, wenn wir überzeugend und gemeinsam sagen könnten: Die Evangelischen in Deutschland stehen für dieses und das. Wobei ich immer wieder sagen muss, auch dem Papier gegenüber: Wir sind es nicht, die die Kirche erhalten! Die Kirche ist auch keine To-do-Liste, die ich abhake, und dann habe ich die Zukunft der Kirche. Die Kirche ist von Gottes Wort geschaffen, von Gottes Geist inspiriert. Dass wir unseren Glauben in die nächste Generation weitertragen, das ist das Entscheidende. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir es uns nicht leisten können, uns in unendlich vielen Strukturen aufzureiben.

WELT: Aus dem Papier spricht die kalte Sprache von Unternehmensberatern. Damit wurde die Diskussion in eine Richtung gelenkt.

Käßmann: Ja, Begriffe wie "Trauquote" und "Taufquote" erschrecken manche. Wenn Sie aber sehen, dass die Evangelischen laut Umfragen ihre Kinder taufen lassen wollen, sich kirchlich trauen und sich auch kirchlich bestatten lassen wollen, es aber nicht alle tun, dann ist das eine Problemanzeige. Das Papier versucht die Gemeinden zu ermutigen, diesen Menschen nachzugehen.

WELT: Es redet aber auch Profil- und Citygemeinden das Wort - zu Lasten der Ortsgemeinden.

Käßmann: Es wird immer deutlicher, dass die Menschen gewöhnt sind zu wählen. Sie wählen ihre Versicherung, die Schule für ihre Kinder, sie wählen, zumindest in den Städten, auch ihre Kirchengemeinde. Wir werden die Menschen nicht in das alte Parochialprinzip zwingen können. Zugegeben, das ist auf dem Land sicher anders als in der Stadt.

WELT: Ein Dauerthema ist das Begehren der Moslems in Deutschland, den Kirchen gleichgestellt zu werden, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erhalten. Es gibt Politiker, die Abstriche am Staatskirchenrecht befürworten, um den Wünschen, zum Beispiel nach islamischem Religionsunterricht, nachzukommen.

Käßmann: Ich halte das nicht für den richtigen Weg. Natürlich bin ich für moslemischen Religionsunterricht, aber in deutscher Sprache, durch Pädagogen und mit einem klaren Kurrikulum. Die große Frage ist und bleibt: Sind Islam und Demokratie kompatibel? Wir können doch nicht einfach das Recht ändern, um jemanden zu integrieren. Unsere Verfassungsordnung ist hart erkämpft worden, sie hat sich bewährt. Integration heißt ja auch, dass ich das Rechtssystem dieses Landes annehme.

WELT: Leuchtet Ihren moslemischen Gesprächspartnern ein, dass Bildung ein Schlüssel zur Integration ist?

Käßmann: Immer mehr sehen das so. Wir alle müssen umdenken. In Deutschland wurde bisher gesagt, mit der Schule fängt der Ernst des Lebens an. Falsch! Er fängt vor der Schule an. Wir müssen viel früher investieren, vor allem in Tageseinrichtungen für Kinder.

WELT: Unter Christen wird nach einer Änderung der geltenden Abtreibungsgesetze gerufen. Sinnvoll?

Käßmann: Was ich zuallererst für sinnvoll halte ist, das Thema Spätabtreibungen - ein bedrückendes Kapitel - auf die Tagesordnung zu nehmen. Hier müsste ein politischer Konsens zu finden sein. Es wird immer gesagt, das sind ja nur etwas mehr als 200 Fälle. Aber wenn so viel Menschen anderweitig sterben würden, käme es zu einem Aufschrei. Beim Paragrafen 218 insgesamt frage ich mich, ob wir rechtlich eine bessere Lösung hinbekämen. Das würde einen ungeheuren politischen Streit geben. Um 130 000 Abtreibungen pro Jahr - in einem kinderarmen Land! - effektiv zu verhindern, ist dringend eine Bewusstseinsveränderung notwendig. Dass vielfach so getan wird, als sei eine Abtreibung ein kleiner Eingriff, schnell vergessen, das bedrückt mich sehr. Da stirbt werdendes Leben. Und ich erfahre immer wieder, dass Adoption für viele Leute schlimmer ist als eine Abtreibung. Eine so absurde Denkweise! Hier ist nicht das Leben des Kindes im Blick, sondern das eigene Empfinden.

WELT: Was empfehlen Sie also?

Käßmann: Wenn es gesamtgesellschaftlich eine höhere Akzeptanz hätte, das Kind zu bekommen und zur Adoption freizugeben, wäre das sicher ein Weg, die Zahl der Abtreibungen zu verringern. Darüber brauchen wir wirklich eine Diskussion in Deutschland! Mich treibt das Problem um. Aber ich sehe nicht, dass das Strafrecht die Lösung bringt. Sondern eher das Bewusstsein in der Gesellschaft, dass jedes Kind willkommen ist, dass den Schwangeren das Gefühl gegeben wird: Wir finden einen Weg, dir und dem Kind zu helfen.

WELT: Im September kommt Papst Benedikt XVI. nach Deutschland. Wie ist das ökumenische Klima heute?

Käßmann: Auf der Ortsebene ist die Ökumene lebendig. Auf der Kirchenleitungsebene und im theologischen Gespräch erlebe ich die Lage als eher angespannt. Ein Tick genügt, und die Auseinandersetzung beginnt. Es hat sich gezeigt, dass die Verschiedenheit nicht aus der Welt zu schaffen ist. Wir werden nie eine Einheitskirche werden. Es gibt für uns auch kein Zurück nach Rom. Aber die Hoffnung, dass das Gemeinsame letztlich stärker ist als das Trennende.

Mit Landesbischöfin Margot Käßmann sprach Gernot Facius

Quelle: Die Welt vom 08. August 2006

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