Angespannte Stimmung in Nes Ammim

Einzige christliche Siedlung in Israel liegt in der Reichweite der Hisbollah-Raketen

Von Norbert Röhl (epd)

Naharia (epd). Nes Ammim (Zeichen der Völker) liegt keine 20 Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt und gehört damit zu "Katjuschaland". Als sich die Einwohner der einzigen christlichen Siedlung unweit von Naharia in Nordisrael zum Abendgebet versammeln, heult wieder die Sirene. Für die knapp 100 Siedler, Christen aus Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz, sowie Israelis das Signal, die Schutzräume aufzusuchen. Auch über den Rundfunk werden die Bewohner aufgerufen, sich vor Katjuscha-Raketen der radikal-islamischen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon in Sicherheit zu bringen.

"Bei allem was ich tue, ständig schau' ich, wo der nächste Bunker oder Schutzraum liegt", illustriert Pfarrerin Tatjana Weiss die seit dem Ausbruch der Kampfhandlungen angespannte Stimmung. Die Theologin lebt seit Jahren in Israel und leitet das Freiwilligen-Programm von Nes Ammim, das 1960 mit dem Ziel gegründet wurde, Versöhnungsarbeit zwischen Christen und Juden zu leisten. Diese Anspannung sei "nervender als der eigentliche Alarm, wenn alle im Bunker sitzen."

Dorothea "Doro" Flecken, eine andere Bewohnerin von Nes Ammim, stimmt der Theologin zu: "Keine Arbeit wird einfach erledigt, sondern immer erst nach einer Lageeinschätzung: Wo ist der nächste Bunker." Die Lehrerin aus Aachen kam in den 1990er Jahren zunächst als Volontärin. Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland verbringt sie ihre gesamten Ferien in "ihrem" Dorf. Im Sommer 2006 wird die persönliche Erholung überschattet. Doro packt mit an, in der Verwaltung, Buchhaltung, Wäscherei, "was eben so anfällt".

Nes Ammims Haupteinnahmequelle ist das Gästehaus, in dem seit dem Ausbruch der Kämpfe nur Absagen und Stornierungen eintreffen - wie überall in Israels Tourismus- und Pilgerzielen. Wie die anderen Gäste hätte auch Dorothea Flecken nach dem Ausbruch der Katjuscha-Beschusses vor nunmehr zehn Tagen abreisen können. "Aber wäre ich in diesen Tagen in Deutschland, ich könnte es dort nicht aushalten. Hier kann ich die Gefahren besser einschätzen und steh sie auch durch."

Ines Schäfer aus Ravensburg lebt bald drei Jahre im Dorf. "In unserer Familie reist jedes Kind mindestens ein Mal nach Israel." Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt vor einigen Jahren ist sie nun wieder in Nes Ammim. Motiv ist ihr Interesse an Menschen und Kultur in Israel. "Daran ändern auch Raketen nichts", meint sie entschlossen.

Plötzlich bebt die Luft schwach, zwei Mal in kurzem zeitlichen Abstand. In weiter Ferne ist noch ein dumpfes Donnern von Raketeneinschlägen zu hören. "Eine tückische Waffe, so eine Rakete", meint Tatjana Weiss, "es mag schlimmere Waffen geben, aber die Raketen sorgen für eine ständige Bedrohung. Niemand weiß, wann und wo sie einschlagen. Jeder kann das Ziel sein."

Als Zeichen von Solidarität erfuhren die Bewohner in Nes Ammim den Besuch des evangelischen Propstes aus Jerusalem vor wenigen Tagen. Ungeachtet des Katjuscha-Beschusses kam Propst Uwe Gräbe in die Siedlung. "Mit ihm haben wir auch für die Menschen in Libanon gebetet", sagt Dorothee Flecken: "Gerade wir hier, die wir selber unter Beschuss liegen, können doch Solidarität mit ihnen fühlen."

Und Propst Gräbe notiert über seine Visite im Norden Israels: "Selten habe ich es erlebt, dass sich Menschen über den Besuch eines Pfarrers derartig freuen. Im Hintergrund ist das Grollen des israelischen Beschusses im Südlibanon zu hören. Und hier sitzen wir bei Saft und kühlem Wasser, bereit beim nächsten Sirenenalarm in den Bunker zu eilen."

21. Juli 2006

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