EKD will mit Reformprozess Handlungsfähigkeit sichern

Perspektivenpapier formuliert langfristige Ziele für Gemeinden

Hannover (epd). Die evangelische Kirche will unter dem Druck des demographischen Wandels und schwindender Finanzkraft einen umfassenden Reformprozess einleiten, um mehr Menschen zu erreichen. Darauf zielt ein Papier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu den kirchlichen Perspektiven im 21. Jahrhundert, das am Donnerstag in Hannover veröffentlicht wurde. Die EKD empfiehlt darin eine Konzentration auf Kernangebote und die Durchforstung kirchlicher Strukturen auf allen Ebenen.

In zwölf Eckpunkten werden unter anderem neue Gemeindeformen, Qualitätsstandards, thematische Schwerpunkte, Intensivierung der Bildungsarbeit, Halbierung der Zahl der Landeskirchen sowie Verringerung der Pfarrerzahl vorgeschlagen. Ohne Kurskorrekturen sei die Kirche in wenigen Jahren auf Grund "des hochexplosiven Gemischs aus Versorgungskosten, Teuerungsrate und schrumpfenden Einnahmen" nicht mehr handlungsfähig, warnt der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, im Vorwort.

Bei Fortschreibung der gegenwärtigen Trends würde sich die Mitgliederzahl bis 2030 um ein Drittel auf 17 Millionen verringern und die Finanzkraft halbieren. Huber erteilte dem Szenario eines Schrumpfungsprozesses eine Absage. Stattdessen befürwortet er einen "dritten Weg", der "Wachsen gegen den Trend" durch Konzentration auf zukunftsträchtige Felder und Schärfung des evangelischen Profils ermögliche.

In dem Papier "Kirche der Freiheit - Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert" wird betont, dass bisherige Strukturen und Arbeitszweige überprüft werden müssten: "Wer sich nicht mehr alles leisten kann, muss Aufgabenschwerpunkte setzen." Die Vorschläge wurden von einer Perspektivkommission unter Vorsitz von Bischof Huber formuliert. Neben Theologen und Kirchenjuristen wirkten daran Meinungsforscher und Unternehmensberater mit. Im Januar 2007 sollen erste Ergebnisse der Reformdebatte bei einem Zukunftskongress in Wittenberg erörtert werden.

Für das Jahr 2030 nennt die EKD als Ziel, dass sich wie derzeit etwa ein Drittel der Deutschen zur evangelischen Kirche bekennt. Die Beteiligung an Gottesdiensten als kirchlichem Kernangebot soll mehr als verdoppelt werden, von derzeit vier auf zehn Prozent. Zu dieser Steigerung sollen neben Qualitätsstandards bei Gottesdienst, Taufe, Trauung und Bestattung eine größere Vielfalt bei den Angeboten auf Ebene der Gemeinden durch "Profil- und Passantengemeinden" beitragen.

Klarheit über die Kernbestände kirchlichen Lebens sowie verlässliche Standards bei Verkündigung, Liturgie und Seelsorge seien unverzichtbar. "Wo evangelisch draufsteht, muss auch Evangelium erfahrbar sein", wirbt Bischof Huber für bessere Erkennbarkeit der kirchlichen Angebote.

Die weit verzweigte Gemeindestruktur müsse verändert werden, lautet ein weiterer Befund in dem Papier. Ausstrahlungsstarke Begegnungsorte sollten eine Milieuverengung verhindern. Die Gesamtzahl der Pfarrer wird dem EKD-Papier zufolge von derzeit rund 22.000 auf 16.500 im Jahr 2030 zurückgehen. Damit käme auf 1.600 Kirchenmitglieder ein Pfarrer. Parallel soll freiwilliges Engagement gestärkt werden.

Im Hinblick auf die föderale Struktur der evangelischen Kirche wird in dem EKD-Papier festgestellt: "Im Jahre 2030 sollte es zwischen acht und zwölf Landeskirchen geben, die an den Grenzen der großen Bundesländer orientiert sind und jeweils nicht weniger als eine Million Mitglieder haben." Derzeit gibt es 23 Landeskirchen.

Zu den Finanzproblemen wird vorgeschlagen, ergänzend zu Kirchensteuer und ausgabengebundenen staatlichen Mitteln neue Einnahmequellen zu erschließen, etwa über Fundraising. Künftig sollte ein Fünftel aller kirchlichen Einnahmen aus zusätzlich eingeworbenen Mitteln stammen. Die Zahl der Kirchenmitglieder, die Kirchensteuer zahlen, sollte verdoppelt werden. Derzeit sind es lediglich etwa 30 Prozent.

Als wichtiges Datum für den Reformprozess wird in dem Text der 500. Jahrestag der Reformation im Jahr 2017 hervorgehoben. Bis dahin soll jedes Jahr ein Schwerpunktthema die Identität des Protestantismus deutschlandweit sichtbar machen. Auftakt in dieser Reihe, für die drei Millionen Euro jährlich veranschlagt werden, bildet das "Paul-Gerhardt-Jahr", mit dem 2007 an den 400. Geburtstag des Dichters von Kirchenliedern erinnert wird.

06. Juli 2006

Kirchen-Jurist: Protestanten müssen Zukunft aktiv gestalten

Hannover (epd). Der Präsident des Landeskirchenamtes Hannover, Eckhart von Vietinghoff, hat die evangelische Kirche davor gewarnt, auf die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen nur zur reagieren. Die Protestanten müssten ihre Zukunft vielmehr aktiv gestalten, sagte der Kirchenjurist in einem epd-Interview. Anlass war die Vorstellung des Perspektivenpapiers "Kirche der Freiheit" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Vietinghoff, der eine engere Verzahnung von EKD und konfessionellen Zusammenschlüssen angestoßen hatte, hält weit reichende Reformen in der evangelischen Kirche für unverzichtbar. Zwar bleibe die Ortsgemeinde wichtig, fügte er hinzu. Es müsse jedoch auch ein fantasievolles Angebot für die Menschen geben, denen die Ortsgemeinde nichts gibt. Auch doppelte Strukturen müssten durchforstet werden, vor allem bei bestimmten Aufgaben in der Verwaltung: "Es reicht doch, wenn dies einer für alle, statt jeder für sich macht."

Der Kirchenamts-Präsident hält es für realistisch, dass die Zahl der evangelischen Landeskirchen von derzeit 23 auf acht bis zwölf im Jahr 2030 verringert werden kann. Vietinghoff: "Landeskirchen sind kein Selbstzweck, sondern nur Mittel zu dem Zweck, ein umfassendes inhaltliches Angebot für die Kirchengemeinden und Kirchenkreise bereitzustellen." Er sprach sich zudem für ein Stärkung des Ehrenamtes aus.

Der als Vordenker in der EKD geltende Vietinghoff forderte zudem eine Verbesserung der Qualität im kirchlichen Angebot. Dazu zählt er auch die Beerdigungsgottesdienste. "Was heißt Qualität? Klarheit und Wiedererkennbarkeit in der liturgischen Form, Sicherheit und Stil in der konkreten Durchführung, Ehrlichkeit und Prägnanz in der Sprache und über und vor diesem allen ansteckende Glaubenszuversicht."

06. Juli 2006

Kirchen-Experte Präsident Vietinghoff: Zukunftspapier der EKD kein "Masterplan" (Wortlaut des Interviews):

Hannover (epd). Der Präsident des Landeskirchenamtes Hannover, Eckhart von Vietinghoff, hält weit reichende Reformen in der evangelischen Kirche für unverzichtbar. Das neue Perspektivenpapier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gebe Anstoß für eine "streitige Diskussion" über die Zukunft der Kirche im 21. Jahrhundert, sagte der Kirchenjurist in einem epd-Interview. Das Papier sei jedoch kein "Masterplan". Die Fragen an Vietinghoff, der eine engere Verzahnung von EKD und konfessionellen Zusammenschlüssen angestoßen hatte, stellte Rainer Clos.

epd: Mit hochgesteckten Zielen will der Rat der EKD die evangelische Kirche langfristig zukunftstauglich machen. Was ist aus Ihrer Sicht die Hauptbotschaft des Positionspapiers "Kirche der Freiheit"?

Vietinghoff: Wir sagen erkennbarer, wer wir sind und was wir wollen: Evangelisch aus gutem Grund und auf gutem Grund. Die evangelische Kirche agiert, sie gestaltet Zukunft aktiv und reagiert nicht nur, folgt nicht nur bänglich den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen. Und: Die Ortsgemeinde bleibt wichtig, doch muss Zielgerichteteres und Fantasievolleres angeboten werden für die sehr vielen Menschen, denen die Ortsgemeinde nichts gibt.

epd: Halten Sie es für realistisch, dass die Zahl der evangelischen Landeskirchen von derzeit 23 auf acht bis zwölf im Jahr 2030 verringert werden kann?

Vietinghoff: Landeskirchen sind kein Selbstzweck, sondern nur Mittel zu dem Zweck, ein umfassendes inhaltliches Angebot für die Kirchengemeinden und Kirchenkreise bereitzustellen. Dass dies angesichts der so extrem disparaten Kirchengrößen zwischen 60.000 und 3,1 Millionen Mitgliedern schon jetzt nicht überall gelingt und in Zukunft noch viel weniger gelingen wird, liegt auf der Hand. Die Orts- und Menschennähe einer Landeskirche hängt auch nicht von ihrer Kleinheit ab, sondern allein von ihrer inneren Aufgabenverteilung. Das Ziel und die Zeitachse sind also realistisch. Über die konkreten Formen des Zusammengehens wird man von Fall zu Fall reden können.

epd: Ein weiteres kühnes Ziel betrifft die Beteiligung an den kirchlichen Kernangeboten. Bei Gottesdienst, Taufe und Trauung will die evangelische Kirche ein "Wachsen gegen den Trend" einleiten. Wie soll das erreicht werden?

Vietinghoff: Das kann gelingen durch allerbeste Qualität in diesen menschennahen Angeboten, zu denen ich ausdrücklich auch die Beerdigungsgottesdienste zähle. Was heißt Qualität? Klarheit und Wiedererkennbarkeit in der liturgischen Form, Sicherheit und Stil in der konkreten Durchführung, Ehrlichkeit und Prägnanz in der Sprache und über und vor diesem allen ansteckende Glaubenszuversicht.

epd: Zugleich lässt das Papier keinen Zweifel daran, dass es in einigen Arbeitsfeldern der evangelischen Kirche Überdehnungen gibt. Auf welche kirchlichen Arbeitsgebiete sollen sich die Kräfte künftig konzentrieren?

Vietinghoff: Durchforsten wir zunächst sämtliche eher administrativen Aufgaben nach dem Motto: Es reicht doch, wenn dies einer für alle, statt jeder für sich macht. Zum Beispiel genügt ein EKD-weites Pfarrerdienstrecht, Mitarbeiterrecht, etc. In der Diakonie werden wir selbstkritischer prüfen müssen, ob "Masse" immer auch erkennbar evangelische "Klasse" ist. Um "Ehrenamtstauglicher" zu werden, brauchen wir klarere und einfachere Entscheidungsstrukturen und eine bessere Schulung der Hauptamtlichen.

Inhaltliche Vorgaben dagegen, was zu tun und zu lassen ist, darf es aber nur als weiten Rahmen geben. Evangelisch sein heißt, die Vielfalt nicht seufzend zu ertragen, sondern als Reichtum zu gestalten. So verstehe ich dieses Positionspapier auch nicht als abzuarbeitenden Masterplan, sondern als munteren Startschuss einer hoffentlich streitigen und dadurch folgenreichen Diskussion.

06. Juli 2006

Das Impulspapier als pdf

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