Bischof Huber: Pfingsten mahnt zu fairem Umgang miteinander

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hat auf die Aktualität der Pfingstbotschaft verwiesen. "Unsere Gesellschaft braucht den Geist des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung", heißt es in einem Beitrag Hubers für die Berlin-Ausgabe der "Bild"-Zeitung (Samstagsausgabe). Der Bischof ergänzt: "Wir brauchen diesen Geist, damit wir nicht in Kleinmut, wechselseitiger Abgrenzung und Alltagssorgen versinken."

Die Fußball-Weltmeisterschaft, die eine Woche nach Pfingsten beginnt, ist Huber zufolge ein "Gemeinschaftserlebnis eigener Art". Auch während der Wettkämpfe gehe es nicht nur um Konkurrenz, sondern auch um Zusammengehörigkeit der Menschen, wechselseitiges Verständnis und fairen Umgang miteinander.

Der Sinn für das Pfingstfest, das an die Gründung der Kirche erinnert, wachse, so der Ratsvorsitzende. Viele spürten, dass sich der Sinn des Lebens nicht in Konsum und Produktion finden lasse: "Sie suchen in Religion und Glauben eine Kraft, die über das Sichtbare und Machbare hinausweist."

04. Juni 2006

Der Beitrag des EKD-Ratsvorsitzenden in der BILD-Berlin vom 3. Juni im Wortlaut:

Das Pfingstfest verspricht ein langes Wochenende. Die Möglichkeit, auszuruhen oder einen kleinen Urlaub anzutreten, ist verlockend. Aber Pfingsten bedeutet mehr als drei freie Tage im Frühling. Die Gottesdienste und die Nacht der offenen Kirchen von Pfingstsonntag zu Pfingstmontag verdeutlichen den Sinn dieses Festes.

Christen feiern, dass Gottes Geist in ihrem Leben gegenwärtig ist. Das Fest erinnert an die Entstehung der christlichen Kirche. Es weist uns darauf hin, dass man im christlichen Glauben nicht für sich allein, sondern in der Gemeinschaft lebt. Das Pfingstfest beharrt darauf, dass die Verschiedenheit der Menschen, unterschiedliche Sprachen eingeschlossen, weder die Offenheit für Gott noch das Verstehen untereinander unmöglich macht.

Viele merken, dass die Bedeutung dieses Festes wächst. Sie spüren, dass der Sinn des Lebens nicht allein darin zu finden ist, was man sieht, was man kaufen oder herstellen kann. Sie suchen in Religion und Glauben eine Kraft, die über das Sichtbare und das Machbare hinausweist. Unsere Gesellschaft braucht den Geist des Glaubens, der  Liebe und  der Hoffnung. Wir brauchen diesen Geist, damit wir nicht in Kleinmut, wechselseitiger Abgrenzung und Alltagssorgen versinken.

Von Glaube, Liebe und Hoffnung handelt die biblische Botschaft. Am ersten Pfingstfest erlebten die in Jerusalem versammelten Menschen ein Wunder der Begeisterung. Obwohl sie verschiedener Nationalität und Sprache waren, bewirkte Gottes Geist in ihnen, dass sie sich gegenseitig verstanden. Jahr für Jahr bitten Christen an Pfingsten um eine Erneuerung der Kirche und darum, dass der Geist Gottes unter Menschen verschiedener Herkunft Frieden und Gerechtigkeit schafft.

Eine Woche nach Pfingsten beginnt ein Gemeinschaftserlebnis eigener Art: die Fußball-Weltmeiserschaft. Das Motto der WM „Die Welt zu Gast bei Freunden“ hat eine innere Verbindung zu der biblischen Aufforderung: „Gastfrei zu sein vergesst nicht, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“

In den nächsten Wochen werden Menschen aus allen Teilen der Welt durch unsere Städte ziehen. Spieler werden miteinander wetteifern. Zuschauer und Zuschauerinnen werden bei den Wettkämpfen mitfiebern. Spannende und fair ausgetragene Spiele können ein besonderes Erlebnis sein und begeistern. Ich freue mich darauf.

Fußball ist ein starkes Stück Leben - und das ganze Leben ist einbezogen, wenn es um den Geist Gottes geht. Auch in dieser Fußballzeit  geht es nicht nur um  Konkurrenz, sondern auch um die Zusammengehörigkeit der Menschen. Es geht nicht nur  um  Profit, sondern darum, dass Menschen einander verstehen und fair miteinander umgehen.  Auch denen, die in den nächsten Wochen den Fußball im Blick haben, tut es gut, dass Menschen in der Gegenwart Gottes geborgen sind.

Vor kurzem war ich mit Schülerinnen und Schülern zusammen. Sehr nachdenklich fragten sie nach dem Sinn ihres Lebens und nach der Gegenwart Gottes in unserer Gesellschaft. Am Schluss sagten sie, wir hätten uns in einer Weise verstanden, die sie selber nicht erwartet hatten. Die Schüler räumten ein, dass sie das Gespräch mit Vorurteilen begonnen hätten. Sie seien aber verändert aus dem Treffen gegangen; dasselbe kann ich von mir auch sagen. Mir ist deutlich geworden, dass das Wirken des Heiligen Geistes nicht auf besondere Anlässe beschränkt ist. Ein altes christliches Wort wird mir immer wieder bestätigt: Der Geist weht - wann und wo er will.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern Erlebnisse, in denen sie Gottes guten Geist spüren – und damit: Gesegnete Pfingsten!


Pfingstbeitrag des EKD-Ratsvorsitzenden in der Berliner Morgenpost vom 4. Juni

Bei jedem Flug gibt es einen Augenblick, bei dem ich die Luft anhalte. Er ist so ungewohnt wie beim ersten Mal. Es ist der Augenblick der Landung. Ich warte nicht so sehr, ob die Räder richtig auf der Landebahn aufsetzen. Ich warte auf die Schubumkehr. Wenn die Räder aufgesetzt haben, spüre ich plötzlich sehr deutlich, welcher gewaltigen Kraft ich mich anvertraut habe. Die Geschwindigkeit, die mir in der Luft gar nicht so auffiel, wird mir plötzlich bewusst. Wird der Pilot sie unter Kontrolle bringen? Er muss das Tempo verlangsamen. Es gäbe eine Katastrophe, wenn die Triebwerke das Flugzeug nicht mit derselben Kraft abbremsten, mit der sie es auf Geschwindigkeit gebracht haben. Erst wenn diese Umkehr der Kraft, die in dem Flugzeug steckt, gelingt, verlangsamt es seine Fahrt. Mich zieht diese Kraft unwiderstehlich nach vorn, in den Sicherheitsgurt. Aber ich atme erleichtert auf, wenn ich das Gefühl habe, das Tempo ist unter Kontrolle, das Flugzeug kann an seinen Zielpunkt gesteuert werden. Von Schubumkehr sprechen die Techniker, wenn die Beschleunigungskraft in eine Bremskraft verwandelt wird. Auch das Umgekehrte ist denkbar. Gut, wenn diese Verwandlung immer wieder gelingt.

Pfingsten ist ein Fest der Schubumkehr. Natürlich kommt dieses Wort in der Bibel nicht vor. Von Fliegen ist dort noch nicht die Rede. Doch die Bibel beschreibt mehrfach die Umkehr vom rasenden Weg ins Verderben zu einem neuen Anfang. Die Umkehr des ängstlichen Sich-Verkriechens der Jünger Jesu ist der mutige Auftritt  des Petrus vor der Menge in Jerusalem. Die Umkehr der babylonischen Sprachverwirrung ist das Pfingstwunder: Fremde können sich verstehen. Das Ende, das Jesu Weg auf Erden findet, kehrt sich um in den Beginn des Weges der christlichen Kirche durch die Zeiten.

Pfingsten gehört zu den großen Festen im Kirchenjahr. Hinter Weihnachten und Ostern steht es nicht zurück. Gott ist Mensch geworden, so heißt die Weihnachtsbotschaft. Der Gekreuzigte ist auferstanden. Das ist der Kern des Osterfestes. Und Pfingsten? Ich gebe zu: Das Kommen des Geistes ist nicht so leicht anschaulich zu machen wie das Wunder der Geburt in der Krippe. Das Drama des Heiligen Geistes ist unscheinbarer als das Drama von Kreuz und Auferstehung. Aber das Kommen des Geistes ist deshalb nicht weniger wichtig. Es bewirkt eine Schubumkehr. Und diese Schubumkehr kann Leben retten.

Die in meinen Augen unannahmbaren Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadineschad zu Israel und dem Holocaust erzeugen bei mir das Bild eines Düsenjets, der ungebremst über die Landebahn hinauszurasen droht. Wo bleibt die lebensnotwendige Schubumkehr?

Der Heilige Geist, den wir an Pfingsten feiern, scheidet die Geister. Das schafft Klarheit. Nötigenfalls löst es Streit aus. Was ist wahr, was ist falsch? Was ist gut, was ist böse? Auch uns selbst gilt diese Frage – im Kleinen wie im Großen. An Pfingsten feiern wir die Zusage Gottes, dass er uns seinen Geist sendet, der uns mit Leben erfüllen und uns in unserem Handeln bestimmen will. Ich freue mich darauf, im Pfingsgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu singen: „Oh komm du Geist der Wahrheit und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein!“

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