Experten: "Sakrileg" ersetzt Religion durch Wissenschaft

Berlin (epd). In der Diskussion um den Bestseller "Sakrileg" des US-Autoren Dan Brown haben Wissenschaftler die in dem Buch gezogenen Schlussfolgerungen bemängelt. Es sei irritierend, wie in "Sakrileg" die Grenzen von Wissenschaft und Religion verschwämmen, sagte Christoph Markschies Professor für Ältere Kirchengeschichte und Präsident der Berliner Humboldt-Universität, am Dienstagabend in Berlin. "Wissenschaft kann die letzten Fragen der Menschheit nicht lösen", betonte er.

Zum Ende des Buches von Brown, dessen Verfilmung unter dem Titel "The Da Vinci Code" derzeit in den Kinos zu sehen ist, werde als wahre Religion das Wissen angeboten, erläuterte Markschies bei einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Akademie. Dadurch würden Erwartungen an die Wissenschaft geweckt, die diese nicht erfüllen könne.

Der Berliner Kulturhistoriker Thomas Macho sagte, die in dem Buch gebotenen Verschwörungstheorien hätten eine beruhigende Wirkung auf den Leser. "Er ist mit einer Absicht, einem scheinbaren Sinn konfrontiert." Das Entschlüsseln von Codes wie in Browns Buch sei seit den achtziger Jahren beliebt, als Computer- und genetische Codes erstmals das Interesse einer breiteren Bevölkerung weckten.

Die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bahr, machte im Erfolg von "Sakrileg" das Bedürfnis nach Enträtselung aus. Das Fremdheitsgefühl angesichts einer vergangenen und nicht mehr verständlichen Kultur, das einen oft beim Betrachten alter Kunstwerke in Kathedralen oder Museen beschleiche, werde in dem Buch scheinbar aufgeklärt. Mittlerweile gebe es auf dem deutschen Buchmarkt rund 170 Sachbücher zu Dan Browns Ideen, ein Zeichen für den Erfolg seiner Verschwörungstheorien.

An diesen ist nach Ansicht der Wissenschaftler jedoch nicht viel Wahres: Die im Buch genannten 80 Evangelien gebe es nicht, sagte Markschies. Forscher gehen von 20 bis 30 Evangelien aus, die aber alle später als die vier im Neuen Testament verankerten Evangelien entstanden. Von Machtkämpfen im frühen Christentum, aufgrund derer andere Texte nicht in die Bibel aufgenommen wurden, könne daher nicht die Rede sein.

Nicht ausschließen wollten die Forscher, dass Jesus eine Familie gehabt habe. "Die Beschreibung von Jesus als sehr asketischem Menschen ohne festen Wohnort und Arbeit passt allerdings nicht dazu", sagte Markschies. Macho kritisierte die Idee Browns von Maria Magdalena als Ehefrau jedoch als "verheerend", weil sie "im Kern eine uralte frauenfeindliche Männerfantasie sei, in der die Frau auf das Häusliche und das Gebären reduziert werde.

24. Mai 2006

"Eine Dynastie Christi? - Zur politischen Theologie Dan Browns" - Beitrag von Thomas Macho in der Neuen Zürcher Zeitung vom 23. Mai 2006

"Die Welt der Einbildungskraft ist nicht die Wirklichkeit" - Beitrag der EKD-Kulturbeauftragten Petra Bahr zu "Sakrileg"

Landesbischof Christoph Kähler (stv. EKD-Ratsvorsitzender) im Spiegel-Gespräch zu "Sakrileg"