"Europas größter Gottesdienst" via Satellit - "ProChrist" startet

Von Christian Probst und Dirk Johnen (epd)

München (epd). Mehr als 1,5 Millionen Zuschauer in ganz Europa werden zur multimedialen Großevangelisation "ProChrist2006" erwartet, die am Sonntag in der Münchner Olympiahalle beginnt. An acht Abenden liefert die "Großkirche" auf bunten Bildschirmen per Satellit erstaunliche Besucherzahlen. Dagegen wirken häufig die Kirchenbänke in den Ortsgemeinden am gewöhnlichen Sonntagmorgen nahezu leer.

Die moderne Verkündigungsform von "ProChrist" sei vielfach "sehr bewundernswert", sagte die Professorin für Christliche Publizistik und Medienexpertin, Johanna Haberer, dem epd in München. Bei der missionarischen Kampagne würden die Medien als Instrument verwendet, "um zu möglichst vielen Menschen zu sprechen." Überzeugend sei die Präzision beim Programmablauf und "die große Wärme" der "ProChrist"- Veranstalter, "um Gottes Wort unter die Leute zu bringen."

Im Blick auf die Medienangebote der evangelischen Kirche sei jedoch die große Zahl von Zuschauern bei "ProChrist" nichts besonderes. "Sie können Woche für Woche 1,5 Millionen Zuschauer bei jedem Gottesdienst zählen, der im Fernsehen übertragen wird", so Medienexpertin Haberer. Insgesamt spiele der christliche Glaube wieder eine größere Rolle, stellte sie fest. Man könne nicht sagen, "dass die Zahl derer sinkt, die sich gedanklich dem Christentum verbunden fühlen."

Der bayerische evangelische Landesbischof Johannes Friedrich zählt zu den Unterstützern der 1993 erstmals gestarteten Missionskampagne. Sie lade Menschen ein, offen über ihren Glauben zu sprechen und bringe zugleich wichtige Lebensfragen wieder in die Öffentlichkeit. Friedrich sieht ein grundlegendes Interesse der Kirche, "offensiv von unserem Glauben zu erzählen", so wie es bei "ProChrist" geschehe.

Die missionarische Veranstaltungsreihe zählt mehrere Prominente zu ihren Förderern, darunter den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, den bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) und den Unternehmer Heinz-Horst Deichmann.

Die katholische Erzdiözese München und Freising hatte sich bereits im vergangenen Jahr bei den Vorbereitungen zu "ProChrist2006" gegen eine eigene Beteiligung ausgesprochen. Es gebe grundsätzliche, vor allem theologische Bedenken gegen Aktionen, die das Evangelium "ohne eine klare kirchliche Identität" verkünden wollten, erklärte Domkapitular Josef Obermaier. Weil sich an "ProChrist" verschiedene kirchliche und freikirchliche Gruppierungen beteiligen, sei es aus katholischer Sicht nicht möglich, "Christus ohne die Kirche zu verkünden. Kirche könne nicht einfach "eine organisatorische Zusammenfassung der an Christus glaubenden Menschen" sein, so Obermaier weiter.

Unabhängig von der fehlenden Unterstützung durch die katholische Kirche, werden in den nächsten Tagen jeweils 12.000 Menschen in die Münchner Olympiahalle strömen und gemeinsam feiern. Bei Europas größtem Gottesdienst werden auch rund 60.000 freiwillige Helfer in 20 Ländern für einen reibungslosen Ablauf sorgen.

16. März 2006


EVANGELISIERUNG

Fragen an Bischof Johannes Friedrich zur Kampagne „ ProChrist“

Kirche macht mobil

Wozu ist die per Satellit übertragene Veranstaltung gut? Mit wohl zwei Millionen Besuchern ist sie das größte christliche Event dieses Jahres.

RHEINISCHER MERKUR: Herr Bischof Friedrich, in der kommenden Woche wird die Evangelisation „ ProChrist“ aus München per Satellit in rund 1000 Kirchen und Gemeindezentren in Deutschland und Europa übertragen. Warum unterstützt die bayerische Landeskirche dieses Projekt?

JOHANNES FRIEDRICH: Die Weitergabe unseres Glaubens ist – so hat der Theologe Eberhard Jüngel gesagt – „ Herzschlag und Atem“ der Kirche. Sie kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. ProChrist ist dabei eine wichtige Möglichkeit.

Warum nehmen nicht mehr Gemeinden aus Ihrer Landeskirche an der Aktion teil? In Bayern sind die Freikirchen bei den Übertragungsorten in der Mehrheit.

ProChrist setzt eine bestimmte theologische Position voraus und benötigt auch die entsprechende Nacharbeit. In unserer Landeskirche hat diese Art der Frömmigkeit einen wichtigen Platz. Aber nicht jede Kirchengemeinde kann von ihrer Größe her diese Weite haben. Wenn sich eine Gemeinde an ProChrist beteiligt, bedeutet das, dass sowohl Vor- wie Nachbereitung in den theologischen Duktus von ProChrist passen müssen. Das ist nicht bei allen Gemeinden der Fall. Bei einigen Pfarrern mag es auch noch ein – aus meiner Sicht unbegründetes – Vorurteil gegen ProChrist geben. Wenn in jeder Stadt neben den freikirchlichen Gemeinden ein oder zwei landeskirchliche Gemeinden zur Verfügung stehen, bin ich ganz zufrieden.

Ist für Mission eine konservative Grundhaltung erforderlich, oder kann auch eine liberale Gemeinde missionarisch sein?

Mission hat zunächst einmal nichts mit konservativ oder liberal zu tun. Mission ist die Hinwendung Gottes zu dieser Welt, an der wir Menschen Anteil haben. Und dies kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. Dazu gehört sicher auch die Weitergabe meiner Glaubensüberzeugungen, aber auch das verantwortliche Handeln, das Engagement für eine gerechtere Welt und die Bewahrung der Schöpfung Gottes. Mission muss immer den ganzen Menschen berücksichtigen. Bedürfnisse geistlicher und materieller Art gehören zusammen. Insofern sind gesellschaftliche Offenheit und gemeindliche Verbindlichkeit gut zu kombinieren. Persönlicher gesagt: Wir leben von der Liebe Gottes. Unser Glaube ist Stütze und Halt in unserem Leben. In der Mission geht es darum, mit anderen zu teilen, was mir kostbar ist und was sich als tragfähig in den Herausforderungen meines Lebens erwiesen hat. Dies sollten Konservative wie Liberale in der gleichen Weise tun.

Wie stark können denn die Landeskirchen und Evangelikale aufeinander zugehen? Gibt es Grenzen?

Ich bin froh, dass innerhalb unserer Landeskirchen so genannte Evangelikale zu finden sind, die die verfasste Kirche als ihre Heimat sehen. Die Stärke einer Volkskirche liegt darin, dass unterschiedlichste theologische Ausprägungen unter ihrem Dach leben, verbunden in dem einen Glauben an den dreieinigen Gott. Es gibt auch immer wieder gemeinsame Begegnungen und Veranstaltungen. Da wird es zum Beispiel im Herbst kommenden Jahres eine große Veranstaltung in unserer bayerischen Landeskirche zum Thema Evangelisation geben, die von unterschiedlichsten Gruppierungen vorbereitet und getragen wird. Eine Grenze ist für mich erreicht, wenn eine Gruppierung eine andere in ihrem Christsein nicht mehr akzeptiert und dieser ihren Glauben abspricht. Man muss unterscheiden zwischen dem einen Auftrag Jesu und den verschiedenen Formen, ihn zu erfüllen.

Überall in Deutschland entstehen derzeit charismatische und pfingstlerische Freikirchen. Warum sind diese Gruppen so erfolgreich?

Zunächst: Die Zahl derjenigen, die einer Freikirche oder einer freien Gemeinde angehören, ist seit zehn Jahren nicht gestiegen, auch wenn immer wieder ein anderer Eindruck vermittelt wird. Neugründungen ziehen ihre Mitglieder häufig von anderen schon bestehenden, ähnlich ausgerichteten Gruppierungen ab. Sicher erscheinen solche Freikirchen für manche Menschen zunächst einmal attraktiv. Gerade in Krisensituationen können die enge Gemeinschaft und die klaren Verhaltensvorgaben als hilfreich empfunden werden. Auch die Begeisterung, die in manchen Gruppierungen zu erleben ist, wirkt anziehend. Die entscheidende Frage bleibt allerdings: Was trägt mein Leben wirklich auf Dauer, in Höhen und Tiefen? Und da erleben viele Menschen unseren evangelisch lutherischen Glauben, in dessen Zentrum die Rechtfertigung des Menschen steht, als hilfreich für ihr Leben – gerade in unübersichtlichen Zeiten.

Haben denn die Landeskirchen für die Zielgruppen solcher Gemeinden nichts zu bieten?

Ein Plus dieser Gruppierungen ist, wie gesagt, das Gemeinschaftsgefühl, das eine volkskirchliche Gemeinde allein schon wegen ihrer Größe so nicht bieten kann. Allerdings ist die Kehrseite nicht selten eine Enge, die bald beklemmend wirken kann. Es gibt aber auch in unseren Landeskirchen unterschiedlichste Formen gelebten Glaubens, bei denen durchaus auch die von Ihnen angesprochenen Menschen eine geistliche Heimat finden können.

Arbeiten manche Gemeinden vielleicht an dem Bedürfnis dieser Menschen nach euphorischer, emotional gelebter Religiosität ein Stück vorbei? Sind Deutschlands Protestanten zu nüchtern und rational für den postmodernen Menschen?

Zum einen: Wir wollen für alle da sein, auch für die, denen ein vernunftorientierter, nüchterner Glaube wichtig ist. Aber wir haben als Protestanten in den letzten Jahrzehnten ja auch im emotionalen Bereich dazugelernt – vor allem von der katholischen Kirche: Taufkerzen, Salbungs- und Anbetungsgottesdienste und farbenfrohe Gewänder – um nur einige Beispiele zu nennen – haben bei uns Einzug gehalten, weil wir realisiert haben, dass der Mensch eben nicht nur aus dem Verstand besteht. Allerdings gibt es bei der Emotionalisierung Grenzen. Wir haben die Inhalte unseres christlichen Glaubens, den Tod und die Auferstehung Jesu, die Zentrum unseres Glaubens sind und an denen sich alles zu orientieren hat. Wir dürfen als Kirche nicht jeder Modernisierung und jedem Zeittrend hinterherlaufen, auch wenn er zunächst erfolgreich erscheint.

Befürchten Sie das Entstehen eines neuen christlichen Fundamentalismus in Deutschland?

Angesichts der Vielfalt glaubwürdig gelebten Glaubens auch in den evangelischen Landeskirchen sehe ich keine Gefahr, dass fundamentalistisch geprägte Gruppierungen auch in Deutschland entscheidenden Einfluss gewinnen können.

Das Interview führte Benjamin Lassiwe

Quelle: Rheinischer Merkur vom 16. März 2006

Weitere epd-Meldungen