Vielleicht wahr oder auch nicht: Wikipedia und Glaubensfragen

In Glaubensfragen gilt die Internet-Enzyklopädie "Wikipedia" als noch bearbeitungsbedürftig

Von Oliver Spies (epd)

Hamburg (epd). Der moderne Mensch zweifelt, er fragt, er will wissen, was er glauben soll. Längst informiert sich der Fragende in religiösen Dingen nicht mehr nur bei Theologen und Pastoren, sondern schaut online bei "Wikipedia" nach. Die Internet-Enzyklopädie, die Wissen "dem Normal-User, nicht dem Fachmann" zugänglich machen will, deckt mittlerweile auch ein breites Spektrum christlicher Schlagwörter ab. Doch auch für Wikipedia-Artikel gilt, nicht alles zu glauben, was geschrieben steht.

Der Wikipedia-Artikel zu "Glaube" liest sich holprig: "Glaube drückt die Meinung aus: Vielleicht ist es wahr, vielleicht auch nicht!" Diese Feststellung sollte man beim Lesen im Hinterkopf behalten: Predigtartig werden hier die Grundzüge des christlichen Glaubens beschrieben. Der Streit in den unterschiedlichen Traditionen und der aktuellen Diskussion wird ausgeblendet. Kein Literaturverweis, nur Links zu Internetseiten wie "jesus-liebt-dich.de" oder "luckssoul.de" werden angegeben.

Doch nicht jeder Wikipedia-Artikel zu religiösen oder christlichen Themen liest sich wie ein selbst gestrickter Katechismus. Es gibt sehr hilfreiche Beiträge wie die "Liste exzellenter Artikel", auf der auch der Text "Jesus von Nazareth" steht. Überwiegend sachlich geschrieben, wird ein umfassender Überblick über den historischen Jesus gegeben. Neuere Theorien kommen zur Sprache und eine lange Literaturliste hilft, eigene Recherche aufzunehmen.

Die Mitautoren des Artikels, der studierte Theologe "Jesusfreund" und der Wirtschaftsinformatiker "Hensele", gehören zu den Hunderten von Ehrenamtlichen, die an der Datenbank mitschreiben. Die Artikel sollen dabei so geschrieben sein, dass möglichst viele Autoren zustimmen können. Gibt es Streit, wird dieser im Diskussionsforum erörtert. Es empfiehlt sich deshalb, auch dort vorbeizusurfen oder alte Versionen zu lesen.

"Im Vergleich zu anderen Lexika schneidet Wikipedia gut ab", sagt der Leiter der Internetarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Tom Brok. Den Grund dafür sieht er in der Stärke der Online-Enzyklopädie: Jeder kann die Einträge bearbeiten.

Vor allem Menschen aus Freikirchen und Katholiken scheinen diese Möglichkeit zu nutzen. Lutheraner erweisen sich eher als schreibfaul. So werden etwa zu den Stichwörtern "Freikirchen" und "Vatikan" Portale angeboten, die einen Themenüberblick und Hinweise auf neue herausragende sowie fehlende Artikel geben.

Bei der Länge der Beiträge haben die Freikirchen klar die Nase vorne: Während das Gottesdienst-Verständnis der großen Kirchen auf vier Zeilen beschrieben wird, ist die freikirchliche Sicht ausführlich und mit Bild dargestellt. Während unter der Überschrift "Christliche Universitätstheologie" die katholischen und evangelischen Fakultäten pauschal genannt werden, werden die freikirchlichen Hochschulen mit Ort und Art des Abschlusses in einer langen Passage erwähnt.

Deutlich wird die freikirchliche Handschrift auch im allgemeinen Beitrag über das "Christentum". Hier versuchen die Befürworter der Erwachsenentaufe zu überzeugen: Volkskirchler, meist als Kinder getauft, werden als "Taufscheinchristen" abgewertet. Um wirklich Christ zu sein, bedarf es nach dieser Ansicht "der Gläubigentaufe im Erwachsenenalter".

Mit Blick auf allgemein-religiöse Themen erweist sich Wikipedia als überwiegend christlich geprägt. Die Sichtweisen anderer Religionen werden oft nur unzureichend berücksichtigt. So behandelt der Artikel "Gottesbild" ausschließlich das christliche Bild von Gott, im Artikel "Glaube" ist ausschließlich vom "christlich-religiösen Verständnis" die Rede. Im Beitrag über das "Christentum" liest sich zwischen den Zeilen deutlich ein Überlegenheitsanspruch der christlichen Religion heraus.

"Die Diskussionen um einzelne Artikel zeigen, dass ein neutraler Standpunkt in religiösen Fragen nicht möglich ist", sagt EKD-Pastor Brok. Wikipedia sollte dies deutlich machen. Dennoch empfiehlt der Internetbeauftragte, der selbst bald mit einem Glaubenslexikon online gehen wird (www.ekd.de), das Nachschlagewerk. Weniger für die schnelle Lektüre als für den kritischen Leser, der auch mal die Taste "bearbeiten" drückt und mitschreibt.

12. September 2005

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