Rastplätze für die Seele

Rund eine Million Reisende besuchen jährlich die Autobahnkirchen in Deutschland

Von Christine Süß-Demuth, Baden-Baden (epd). Plötzlich ist das unaufhörliche Brummen der Motoren verschwunden. Wer die schwere Eisentür der Baden-BadenerAutobahnkirche hinter sich schließt, tritt hinein in die Stille. Die Hektik bleibt zurück, man kann die Seele baumeln lassen. Etwa 300.000 Menschen machen jedes Jahr in "St. Christopherus" Halt, bei Deutschlands meistbesuchter Autobahnkirche.

Am 24. Juli findet der zweite bundesweite Aktionstag an deutschen Autobahnkirchen statt. Zeitgleich um 14 Uhr gibt es in den rund 30 Kirchen und Kapellen eine Kurzandacht mit Reisesegen. Auch in der Baden-Badener "St. Christopherus" Autobahnkirche. Diese wurde vom Künstler und Bildhauer Emil Wachter pyramidenartig entworfen und 1978 eingeweiht. Der 400 Quadratmeter große Innenraum mit farbigem Glasfenstern ist lichtdurchflutet.

Kilometer 648,5 auf der A5 Richtung Basel: ein blaues Schild weist auf das sechs Kilometer entfernte Gotteshaus hin. Direkt erreichbar zu sein von der Autobahn ist eines der Kriterien für die 30 deutschen Autobahnkirchen.

Doch damit könnte es in Baden-Baden bald vorbei sein. Nach Plänen des Bundes soll die dortige Rastanlage zur größten in Süddeutschland ausgebaut werden. Zugleich soll das untergeordnete Straßennetz, an dem die Kirche liegt, abgekoppelt werden. Damit wäre die Kirche mit dem Auto nicht mehr direkt von der Autobahn erreichbar, sondern nur
über die Ausfahrt Baden-Baden.

Gerade für ältere Menschen bedeute dies eine große Einschränkung, kritisiert Pfarrer Michael Zimmer von der katholischen Kirchengemeinde St. Dionys Baden-Oos, der die Autobahnkirche betreut. Jüngere könnten die Kirche zu Fuß vom Rastplatz erreichen. Auch die Erzdiözese Freiburg und Bundestagsabgeordnete aus der Region wehren sich gegen ein solches Vorhaben. Doch noch seien alle zuversichtlich, da es noch kein Planfeststellungsverfahren gebe, sagt Zimmer.

Die erste Kirche für Autoreisende entstand 1958 in Adelsried, an der A 8 zwischen Stuttgart und München. Sie geht auf die Stiftung einer Unternehmerfamilie zurück, die dort einen Angehörigen bei einem Unfall verlor, berichtet Birgit Krause, Mitarbeiterin der Akademie Bruderhilfe-Familienfürsorge (Kassel), die jedes Jahr eine Konferenz für alle Autobahnkirchenpfarrer organisiert.

In den meisten Kirchen und Kapellen finden regelmäßig Gottesdienste statt. Sie werden von evangelischen oder katholischen Kirchengemeinden am Ort betreut oder sind ökumenisch getragen, wie etwa die Mitte Juli eingeweihte Emmauskapelle an der A 81 in Singen.

Schätzungen zufolge besuchen etwa eine Million Menschen die Stätten der Ruhe und der Stille. Unter dem Titel "Rastplätze für die Seele" ist 2003 ein 100-seitiger Reiseführer von der Religionspädagogin Anne Niehaus erschienen. Er ist kostenlos bei der Bruderhilfe Familienfürsorge erhältlich.

Ein Anliegenbuch liegt auf dem Büchertisch aus. Besucher aus aller Welt, etwa aus Polen, Dänemark, den USA oder Korea haben sich dort anonym oder mit Namen verewigt. Neben Lob für die schöne Kirche sind auch Bitten an Gott aufgeschrieben. Ein Mann namens Pierre etwa hofft, von seinen Depressionen befreit zu werden. Um keinen Weg der
Hilfe auszuschließen, gibt er zur Sicherheit seine Internetadresse an. (Informationen unter: www.autobahnkirche.info/)

18. Juli 2005