Die Erzengel sind die Chefs der Engel

Kinder zeigen Kindern die kunsthistorischen Besonderheiten von Kirchen

Von Martina Schwager (epd)

Osnabrück (epd). Auf dem dicken weichen Teppich direkt vor dem Flügelaltar räkeln sich Kinder. Einige haben sich lang ausgestreckt und malen. Das Schild mit der Aufschrift "Altarraum nicht betreten" steht unbeachtet, die Absperrkordel liegt auf dem Boden. Ein paar haben sich um zwei etwas größere Jungen gruppiert, hören aufmerksam zu.

Frederik-Bengt Blomeyer und Julian Hügelmeyer sind hier sozusagen die Chefs. Sie führen die übrigen Kinder durch die Osnabrücker Marienkirche. Die beiden Elfjährigen sind die einzigen ausgebildeten Kinderkirchenführer Deutschlands.

Ein vergleichbares Projekt gibt es nach Angaben des Bundesverbandes für Kirchenpädagogik sonst nur in Düsseldorf. Dort lernen einige Kinder aus evangelischen Tagesstätten gemeinsam mit ihren Erzieherinnen die Kirchen der Stadt kennen. Ihr Wissen geben sie anschließend an andere Kinder im Alter zwischen zwei und zehn Jahren weiter.

Christiane Kürschner, Beauftragte der hannoverschen Landeskirche für Kirchenpädagogik, bedauert, dass es keine weiteren Initiativen dieser Art gibt. Sie hofft jedoch auf die Vorbildwirkung der beiden jungen Osnabrücker.

Gut 20 Kinder und ihre Eltern wollen sich von Frederik-Bengt und Julian die Bauweise und die Kunstwerke von St. Marien, einer evangelischen Markt- und Bürgerkirche, erklären lassen. Die Jüngste ist gerade vier Jahre alt. "Wenn ihr Fragen habt, fragt einfach. Ihr dürft uns auch unterbrechen", sagen die beiden Jungen bei der Begrüßung. Das Lampenfieber ist schnell verflogen. Schließlich ist das nicht ihre erste Kirchenführung.

Sie haben schon Gas gefüllte Luftballons in der Kirche steigen lassen, um die Gewölbehöhe zu messen, oder vom Kirchturm die Marien-Kirchenmaus, ein riesiges Stofftier, abgeseilt. "Das kommt bei den Kindern immer gut an", sagt Vater Rüdiger Blomeyer. Er ist selbst Kirchenführer und Leiter des Arbeitskreises Kirchenpädagogik im evangelisch-lutherischen Sprengel Osnabrück. Das Projekt Kinderkirchenführung war seine Idee.

«Kinder hören auf Kinder viel aufmerksamer, weil sie anders sprechen», sagt der Kirchenpädagoge. Während eigener Führungen sei ihm das immer wieder aufgefallen. Vor gut einem Jahr hat er Frederik-Bengt und Julian die architektonischen und kunsthistorischen Merkmale der Marienkirche erläutert. "Wir interessieren uns für alles, was mit Geschichte zu tun hat, auch für Kirchen", sagt Julian. Damals waren sie noch in der Grundschule. Ihre Mitschüler waren begeistert und dann auch gleich ihre ersten Zuhörer.

Mittlerweile besuchen beide unterschiedliche Gymnasien. Auch ihre neuen Klassenkameraden haben sich schon für Sonderführungen angemeldet. Kirchenpädagoge Blomeyer möchte gern weitere Kinder ausbilden und dann ein richtiges Team von Kinderkirchenführern zusammenstellen.

Frederik-Bengt und Julian haben ihre Führung fast beendet. Sie haben die Kreuzigungsgruppe erläutert - "13. Jahrhundert, das älteste Kunstwerk, das wir hier haben" - und die vier Jesusgeschichten, die im Sockel des Taufbeckens dargestellt sind. Am Flügelaltar muss Frederik-Bengt kurz innehalten. Wie erklärt man das Wort "Erzengel". Doch nach kurzer Überlegung ist ihm klar: "Erzengel, das sind quasi die Chefs der Engel."

Zum Schluss sollen die jungen Kirchenbesucher noch einen Fragebogen beantworten, den Gewölbe-Schlussstein malen und ihren Lieblingsplatz beschreiben. «Mein Lieblingsplatz ist auf dem weichen Teppich vor dem Altar, weil das Licht und die Farben so schön sind», sagt der fünfjährige Jakob Blum. Er und seine Mutter sind begeistert von der Kinderkirchenführung und wollen nächstes Mal wiederkommen. "Das hätten Erwachsene nicht besser machen können", lobt Nicola Blum.

06. Januar 2005