Kirchen: Konsequenzen aus dem Fall Schiavo ziehen

Berlin (epd). Die großen Kirchen in der Bundesrepublik haben gefordert, Konsequenzen aus dem Fall der gestorbenen Wachkoma-Patientin Terri Schiavo zu ziehen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, sagte am Donnerstagabend im rbb-Inforadio, es habe keine eindeutig nachvollziehbare Willensentscheidung der 41-Jährigen vorgelegen. Deshalb hätte für ihn die Fürsorge für das Leben Vorrang gehabt. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, erklärte, das Verhungernlassen eines Menschen sei «ethisch nicht erlaubt».

«Man kann nicht ohne einen erklärten Willen des betroffenen Menschen seinem Leben auf diese Weise ein Ende machen», unterstrich Huber. Er hoffe, dass jetzt in Deutschland klare Regeln aufgestellt werden, wie eine eindeutige Willensäußerung in einem solchen Fall aussehen solle. Dabei müsse aktive Sterbehilfe ausgeschlossen sein. In Deutschland wäre die Beendigung der künstlichen Ernährung wie im Fall Schiavo nicht denkbar, wenn sich eine Aussage nur auf einen mutmaßlichen Willen beziehe.

Der Tod Schiavos sei ein «alarmierendes Zeichen für den Schutz des Lebens», erklärte Kardinal Lehmann in Bonn. Die medizinischen Möglichkeiten, mit denen Leben heute gerettet und Leid gelindert werden könne, gäben Anlass zu Dankbarkeit. Aber der Fall Schiavo habe auch schockierend vor Augen geführt, welche Gefahren damit zusammenhingen. Allzu leicht könnten Ärzte, Pfleger, Angehörige oder Richter zu Herren über Leben und Tod werden. Bei der Begleitung eines sterbenskranken Menschen gehe es immer darum, Hilfe im Sterben zu leisten, aber nicht Hilfe zum Sterben.

01. April 2005

Das Interview im Wortlaut:

Bischof Huber zum Tod von Terri Schiavo

Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, bezeichnete den Vorgang im Inforadio als schwierig zu beurteilen. Es habe keine eindeutig nachvollziehbare Willensentscheidung der Betroffenen Komapatientin vorgelegen. Deshalb hätte für ihn die Fürsorge für das Leben Vorrang gehabt, sagte Huber.

Max Oppel: Trifft der Vorwurf zu, dass man Terri Schiavo habe verhungern und verdursten lassen?

Bischof Huber: Es ist in der Tat ein besonders schwieriger Vorgang, weil eine wirklich klare eigene Willensäußerung von Terri Schiavo nicht vorlag, beziehungsweise umstritten war und auch für meine eigene Vorstellung gilt, solange eine solche Willensäußerung nicht vorliegt, hat die Fürsorge für das Leben Vorrang. Man kann nicht ohne einen erklärten Willen des betroffenen Menschen seinem Leben auf diese Weise ein Ende machen. Von daher hoffe ich, dass wir in Deutschland daraus die Konsequenz ziehen und klarer regeln wie eine eindeutige Willensäußerung in einem solchen Fall aussehen soll.

Max Oppel: Kann man also schon sagen, dass Verhungern und Verdursten eher zutrifft?

Bischof Huber: Das ist leider so, dass in dem Fall, in dem die Magensonde entfernt wird, dann der Mensch verhungert und verdurstet. Ehrlicherweise muss man nun auch wieder zugeben, noch vor wenigen Jahrzehnten hätte es diese medizinische Möglichkeit der Magensonde gar nicht gegeben. Es hätte sich also auch eine solche Frage nicht gestellt. In vielen solchen Fällen ist es ja so, dass die neuen medizinischen Möglichkeiten uns vor Fragen stellen, vor denen vor einer Generation noch niemand gestanden hätte. Und wir müssen dann auch den Mut haben, auf solche Fragen Antworten zu geben. Und es ist entscheidend wichtig, dass das Antworten sind, die die aktive Sterbehilfe nicht einschließen, sondern andere Wege gehen.

Max Oppel: War es für Sie trotz allem ein würdiger Tod, den Terry Schiavo erlitten hat?

Bischof Huber: Der Ausdruck würdiger Tod fällt mir in diesem Fall sehr schwer. Ich habe es so empfunden, dass jede der beiden denkbaren Entwicklungen ganz große Probleme eingeschlossen haben. Eine unabsehbare Verlängerung dieses Lebens gegen die Aussage des Ehemanns oder ein Ende, wie es jetzt stattgefunden hat. In keinem der beiden Fälle kann man sich zurücklehnen und sagen, das ist nun eine klare Lösung. Das ist in jedem Fall eine, die ein ganz großes ethisches Dilemma einschließt.

Max Oppel: Die Frage, die sich ja trotzdem aufdrängt ist: Wer über fünfzehn Jahre auf diese Art am Leben erhalten wurde, ist der noch eine Person oder ist der nur noch ein Körper, der am Leben gehalten wird?

Bischof Huber: Nein, in jedem Fall muss man sagen, das ist eine menschliche Person, die ihrer Personenwürde entsprechend zu behandeln ist. Ich akzeptiere vollständig, wenn Menschen, die mit Wachkoma-Patienten zu tun haben sagen, das sind Menschen, die am Leben sind und wir müssen sie auch wie lebendige Menschen behandeln und betrachten.

Max Oppel: Wenn Sie jetzt diesen ganzen Fall rückwirkend noch einmal betrachten, wäre denn so etwas in Deutschland auch denkbar, dieser Ablauf?

Bischof Huber: Der Ablauf wäre so in Deutschland nicht denkbar, weil in Deutschland nur auf die Aussage, die sich auf einen mutmaßlichen Willen bezieht eine Beendigung der künstlichen Ernährung nicht möglich wäre.

Quelle: Inforadio Berlin vom 31. März 2005