Trost per E-Mail - Internetseelsorge immer gefragter

Von Rainer Lang

Stuttgart (epd). Dieses bange Warten auf eine E-Mail ist immer wieder aufs Neue zermürbend. Seit zwei Jahren arbeitet Krischan Johannsen in Stuttgart in der Internet-Seelsorge. Und besonders wühlt ihn auf, wenn ein verzweifelter Mensch ankündigt, dass er Selbstmord begehen will. «Dann wissen wir nie, ob er je wieder antworten wird», sagt der 49-Jährige. «Das müssen wir aushalten», fügt er hinzu. Johannsen ist der stellvertretende Leiter des sechsköpfigen Internet-Seelsorge-Teams, das von der bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart angesiedelten Telefonseelsorge vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurde.

Dass die Nachfrage nach Beratung und Seelsorge am Computer ständig zunimmt, kann Johannsen aus eigener Erfahrung und auf Grund interner Statistiken bestätigen. Der Religionspädagoge verzeichnet jeden Monat eine Zunahme an Fällen. Im Schnitt habe sein Team jetzt ständig 70 Ratsuchende gleichzeitig zu betreuen, erläutert der Berater.

Manchmal sei das Problem mit einer Mail erledigt, in anderen Fällen seien 30 Mails nötig, so Johannsen. Er berät manchmal auch im Chat, einer Form des Gesprächs im Internet. Angesichts der steigenden Nachfrage nach der Beratung per Computer fordert Johannsen mehr Berater für die Internet-Seelsorge.

Nach der Beobachtung Johannsens wenden sich viele Menschen an den Internetseelsorger, die sich sonst nirgends hinwagen würden. «Vielen, die uns schreiben, geht es so schlecht oder sie haben so große Angst vor jeder Form der Öffentlichkeit, dass sie nicht einmal die Telefonseelsorge anrufen würden», erläutert Johannsen. Als ein Beispiel nennt er das Mädchen, das sexuelle Gewalt in der Familie erlebt hat. «Sie kann es nicht aussprechen, aber hinschreiben.»

Die Angebote der Online-Seelsorge und Beratung sind inzwischen unüberschaubar, was auch die Forderung nach Qualitätsstandards immer lauter werden lässt. Gibt man bei der Internet-Suchmaschine Google das Stichwort Internet-Seelsorge ein, erhält man mehr als 24.000 Treffer. Katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen, wie zum Beispiel die badische Kirche, sowie kirchliche Beratungsstellen und die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie haben in den vergangenen zehn Jahren entsprechende Online-Beratungsangebote aufgebaut.

Mit zu den ersten gehört der Züricher Pfarrer Jakob Vetsch mit seinem Team unter seelsorge.net. Inzwischen kann man vielfach auch per sms seine Sorgen kundtun. Der Erfolg der Seelsorge am Bildschirm ist an den Zahlen ablesbar. So wird das 1996 von dem Diakon Uwe Holschuh im Bistum Würzburg gegründete Kummernetz im Monat rund 50.000 Mal angeklickt. Die Telefonseelsorge, die 1999 in die Internet-Seelsorge eingestiegen ist, erreichen im Jahr mehr als 10.000 digitale Hilferufe.

Die Internet-Seelsorge in Stuttgart garantiert nicht nur, dass jede E-Mail innerhalb von 24 Stunden beantwortet wird, sondern auch, dass sie völlig anonym bleibt, wie bei der Telefonseelsorge in ganz Deutschland. Die Berater können die E-Mail-Adresse des Absenders nicht sehen oder zurückverfolgen. Das sei nicht überall der Fall, sagt Johannsen. Und im Schutz dieser Anonymität offenbaren dann laut Johannsen viel mehr Menschen als bei der Telefonseelsorge ihre Selbstmordabsichten.

Zu den häufigen Themen zählen seinen Angaben zufolge auch sexuelle Gewalt, Beziehungskrisen sowie Probleme am Arbeitsplatz wie Mobbing. Die meisten, die sich an die Internet-Seelsorge wenden, sind laut Johannsen «eher jung» - viele zwischen 15 und 25 Jahren. Und nach oben geht es etwa bis Mitte 50. Johannsen hat außerdem beobachtet, dass sich zahlreiche Singles und allein Erziehende an die Seelsorge im Netz wenden, mit der auch solche Menschen erreicht werden, die der Kirche fern stehen.

Besonders hohe Anforderungen werden in Stuttgart an die Internet-Seelsorger gestellt. Sie müssen zuvor drei Jahre in der Telefonseelsorge gearbeitet haben. Erst nach einer weiteren Schulung können sie zur Internet-Seelsorge wechseln. «Das Schreiben ist schwieriger als das Telefonieren», sagt Johannsen. Man müsse sich zum Beispiel auf ganz unterschiedliche sprachliche Niveaus einstellen. Außerdem seien die Themen oft heftiger als in anderen Beratungsdiensten, so Johannsen.

22. Februar 2005