Eine tröstende Stimme in der Katastrophe

Der evangelische Pfarrer Burkhard Bartel betreut Überlebende der Flutwelle

Von Jutta Wagemann (epd)

Berlin/Bangkok (epd). Viel Zeit hat Burkhard Bartel nicht. Der deutsche evangelische Pfarrer in Bangkok hat gerade einen Anruf der Deutschen Botschaft in Thailand bekommen. Er soll zum Flughafen kommen, wo wieder das  Lazarettflugzeug "MedEvac" mit Schwerverletzten gefüllt wird, die nach Deutschland gebracht werden.

Seit die Flutwellen in Süd- und Südostasien Tote und Zerstörung hinterließen, ist Bartel im Dauereinsatz. Nicht nur als Seelsorger und Tröster ist er gefragt, auch als Ansprechpartner für die deutschen Behörden und Medien. Bartel nimmt sich Zeit für jeden, wenigstens ein bisschen: "Die Erfahrung von menschlicher Nähe ist in dieser existenziellen Notsituation das Wichtigste für die Opfer."

"Dies ist eine Geschichte, die einen schon mitnimmt." Der 51-jährige, der seit einem Jahr die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Thailand betreut, neigt nicht zu Pathos. Sachlich schildert er, was er seit Montag vergangener Woche erlebt hat. Seine Nüchternheit wirkt eindringlicher als jede Emotionalität. "Das schlimmste ist, wenn Menschen verzweifelt zwischen den Leichen nach ihren Angehörigen suchen und niemanden mehr erkennen."

Wenn er sich an diese Bilder erinnert, versagt auch dem erfahrenen Auslandspfarrer der Evangelischen Kirche die bereits heisere Stimme. Am Montag vergangener Woche kam Bartel in Khao Lak an, dem einstigen Urlaubsparadies, das besonders bei Deutschen beliebt war. Bartel, der sich mit seiner Frau und einer seiner beiden Töchter zuvor auf dem Weg in den Weihnachtsurlaub befunden hatte, musste erst einmal begreifen, was überhaupt passiert war. Dann machte er sich gleich auf den Weg zu den Krankenhäusern und zu den Tempeln, wo Leichen
gesammelt wurden.

"Reden, reden, reden" ist die Devise des im Schwarzwald geborenen Pfarrers. Solche Unglücke ließen sich nur verarbeiten, wenn man immer wieder mit Menschen darüber spreche, sagt Bartel. Er weiß, wovon er spricht. Mit seiner Familie zog er 1990 von Kamerun nach Ruanda. Dort war er für die evangelischen Schulen zuständig. 1994 begann der Völkermord an den Tutsi und moderaten Hutu. Bartel wurde Augenzeuge des Genozids.

Die Erfahrung der Hilflosigkeit habe er dort ebenso erlebt wie jetzt in Thailand, erzählt Bartel. Er musste in Ruanda mitansehen, wie eine seiner Schülerinnen vor seinem Haus erschlagen wurde. Hätte er eingegriffen, wäre er selbst umgekommen. Katastrophen gegeneinander abwägen, will Bartel nicht. Was es ihm jetzt leichter macht, ist die
Tatsache, dass es keine Täter gibt. Alle sind Opfer, und er erlebt eine überwältigende Hilfsbereitschaft, gerade von der einheimischen Bevölkerung.

Menschlichkeit drücke sich darin aus, miteinander zu leben, zu leiden, zu weinen und sich zu trösten, so Bartel. Er hört den Überlebenden der Flutwelle zu, schenkt ihnen Zeit und Nähe. "Wenn einer etwas leichter nach dem Gespräch weggeht, ist das auch für mich ein Trost." Auch biblische Texte geben dem Theologen Kraft. "Ohne die
alttestamentlichen Propheten und die Bergpredigt bekäme ich das nicht auf die Reihe."

Der Pfarrer, der zudem für Birma (Myanmar), Laos und Kambodscha zuständig ist, hofft, dass sich die Lage in den Krisengebieten bald etwas beruhigt. Bartel will dann mehr Zeit haben für die Menschen, besonders für die Einheimischen, die alles verloren haben. "Wenn die Ferien zu Ende sind und die Schule wieder beginnt", sagt Bartel, "werden wir merken, wie viele Menschen fehlen."

03. Januar 2005