Huber: Zeit "interreligiöser Schummelei" ist vorbei

Brüssel (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hält einen verbindlichen Dialog mit dem Islam über Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit für geboten. «Die Zeit interreligiöser Schummelei ist zu Ende gegangen», sagte der Berliner Bischof am Dienstagabend in Brüssel. Das offene Gespräch zwischen Christen und Muslimen sei unausweichlich, um religiöse Toleranz nicht zu gefährden. Achtung von Religionsfreiheit, Bejahung der auf Grund- und Menschenrechten basierenden freiheitlichen Gesellschaft sowie eine eindeutige Absage an Gewalt seien «ohne Wenn und Aber» Voraussetzungen für Europas Zukunft.

Rund zwei Wochen vor der Entscheidung des EU-Gipfels über Beitrittsverhandlungen mit der Türkei plädierte Huber für Ergebnisoffenheit der Gespräche: «Wenn Verhandlungen, dann ergebnisoffen.» Die von der EU-Kommission angeregte Unterbrechung der Beitrittsgespräche sei dazu keine Alternative. Auch die Haltung der Türkei zum Völkermord an den Armeniern entspreche nicht dem, was von einem künftigen EU-Mitglied erwartet werden müsse.

Beim Jahresempfang der evangelischen und katholischen Kirche für die EU-Institutionen schlug Huber erneut vor, dass Imame ihre Ansprache beim Freitagsgebet auf Deutsch halten. Dabei handele es sich um eine vertrauensbildende Maßnahme, die nicht unterschätzt werden sollte. Gesetzliche Vorschriften dazu lehnte er ab. Mit Hinweis auf ablehnende Reaktionen auf seine Anregung ergänzte Huber, entweder sei diese Absicht der Vertrauensbildung nicht verstanden worden oder bewusst nicht erwünscht gewesen.

Von dauerhaft in Deutschland lebende Muslime sei Integration und eine positive Mitgestaltung der Gesellschaft zu erwarten, sagte der Ratsvorsitzende und fügte hinzu: «Denn die Abgrenzung von Teilen der muslimischen Bevölkerung in Rückzugsbereiche und Ghettos die sich von der übrigen Gesellschaft isolieren, gefährden auf Sicht den sozialen Frieden und das Zusammenleben eines Gemeinwesens.»

Religionsfreiheit gehöre zum Kernbestand der Menschenrechte und sei kein abwegiges Thema, betonte der Berliner Bischof. Deshalb dürften Unterschiede mit islamischen Staaten im Verständnis von Religionsfreiheit nicht «klein geredet» werden.

Besorgt äußerte sich Huber in diesem Zusammenhang zur Lage religiöser Minderheiten in der Türkei. Im Gegensatz zum türkischen Islam würden andere Religionen ausgegrenzt oder in Grauzonen gedrängt. Christliche Minderheiten würden beim Erwerb von Eigentum, Arbeitserlaubnissen und Ausbildung von Geistlichen diskriminiert. Wenn die Türkei zur EU gehören wolle, müsse sie sich auf den Grundkonsens der EU-Staaten einlassen und nachprüfbare Fakten schaffen, forderte der EKD-Ratsvorsitzende.

01. Dezember 2004