Hartz IV: Kirche bietet Hilfe in Notlagen an

epd-Interview mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Huber

Magdeburg (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelsichen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hat den Beistand der Kirche angeboten, wenn Menschen durch Hartz IV in Notlagen geraten. In einem epd-Interview plädierte er auch für eine Stärkung junger Familien. Mit dem EKD-Ratsvorsitzenden sprachen Roland Kauffmann und Thomas Schiller am Rande der EKD-Synode in Magdeburg.

epd: Welche Herausforderungen stehen für Kirche und Diakonie an, wenn Hartz IV im nächsten Jahr voll greift, und was bietet die Kirche denen, die im Zuge der Reform in Nöte geraten?

Huber: Viele empfinden diese Entwicklung als bedrohlich. Nicht immer beruht das auf einer realistischen Einschätzung. Wir müssen dazu beitragen, dass Notwendigkeit wie Problematik dieser Reform besser verstanden werden. Die besondere Aufgabe der Kirche ist es, Nachbesserungen zu verlangen, wo die Reformen zu unvertretbaren Ergebnissen führen. Wir können uns nicht einfach mit dem aktuellen Zustand dieser Reformen als einem unabänderlichen Schicksal abfinden. Wo immer Menschen durch die neuen Bedingungen in Not geraten, ist es unsere Pflicht, ihnen zur Seite zu stehen.

Was Hartz IV angeht, haben wir als Kirche und Diakonie zudem darauf zu achten, dass wir zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten so zur Verfügung stellen, dass sie nicht zu einer Verdrängung von regulären Arbeitsplätzen führen.

epd: Warum haben sich evangelische Kirche und Diakonie in der Frage der Ein-Euro-Jobs erst so spät dazu bekannt?

Huber: Weil wir sorgfältiger als andere über die Schattenseiten nachgedacht haben. Sie bestehen darin, dass diese zusätzlichen Arbeitsmöglichkeiten unter dem missglückten Begriff Ein-Euro-Jobs so angelegt sind, dass Menschen nicht für ihren Einsatz zusätzlich entlohnt werden, sondern dass sie angewiesen bleiben auf eine staatlich gewährte Grundsicherung, obwohl sie arbeiten. Ich sehe darin ein großes Problem in der Grundphilosophie dieser zusätzlichen Arbeitsmöglichkeiten. Deshalb setze ich dem den Vorschlag entgegen, an die Idee des Kombilohnes anzuknüpfen.

Wenn wir in der Diakonie, die gegenwärtig unter einem ungeheuren Kostendruck steht, solche Möglichkeiten anbieten, müssen wir sehr genau aufpassen, dass nicht Arbeitsplätze abgebaut und durch Ein-Euro-Gelegenheiten ersetzt werden. Wir würden sonst selbst zu etwas beitragen, das wir vorher grundsätzlich als nicht hinnehmbar bezeichnet haben. Weil es diese Probleme gibt, bedauere ich überhaupt nicht, dass wir länger über diese Frage nachgedacht haben.

epd: Zum Synodenthema Generationen und Familie: Viele junge Paare bekommen Beruf und Familie nicht mehr unter einen Hut. Was muss sich ändern?

Huber: Wir müssen etwas in der gesellschaftlichen Atmosphäre verändern. Das Problem ist so schwer lösbar, weil das Ja zu Kindern und zu Familien mit Kindern in unserer Gesellschaft nicht mehr ausreichend verankert ist. Die Aussage geht mir nicht aus dem Kopf, dass es leichter sei, dass ein Ehepaar mit einem Bernhardiner eine Wohnung findet als eine Familie mit zwei Kindern. Das setzt sich fort in der Art und Weise, wie Arbeitsplätze ausgestaltet sind und Erwartungen insbesondere an junge Frauen gerichtet werden, wenn sie einen Beruf ausüben. Die politischen Maßnahmen, die wir brauchen, müssen verbunden sein mit einer gesellschaftlichen Kampagne, die das Ja zum Aufwachsen von Kindern deutlich macht.

epd: Hilft es, mehr Plätze zur Kinderbetreuung anzubieten?

Huber: Eltern, die darauf angewiesen sind, sollten die Chance haben, einen Betreuungsplatz zu finden, auch für Kinder unter drei Jahren.
Man darf sich aber nicht einbilden, dass man das Problem gelöst hat, wenn die Anzahl der Betreuungsplätze erhöht wird. In vielen Fällen wollen Eltern für ihre Kinder selber Verantwortung wahrnehmen. Wann immer das geht, soll man ihnen das ermöglichen. Wir brauchen die bewusste Ermutigung auch derjenigen Mütter wie Väter, die zeitweise aus dem Beruf aussteigen und dann wieder zurückkommen. Dazu ist es nötig, dass die Erfahrungen, die sie in dieser Zeit sammeln, als Zugewinn für die anschließende berufliche Tätigkeit gewürdigt werden und nicht als bedauerliche Auszeit, in der die berufliche Qualifikation verloren gegangen ist.

epd: Wie könnte die von ihnen erwähnte Ermutigung aussehen?

Huber: Wir können die Situation nur verändern, wenn wirklich deutliche Signale gesetzt werden, die zeigen: Wer für das Aufwachsen von Kindern Verantwortung übernimmt, der tut dadurch etwas für die Alterssicherung der Gesellschaft. Insofern ist es nicht nur legitim, sondern absolut notwendig, dass dies bis in den Bereich des Rentenrechts und der Pflegeversicherung hinein geachtet und honoriert wird.

epd: Warum arbeiten nicht mehr Männer Teilzeit?

Huber: Weil sie Angst haben, einen langfristigen Nachteil für ihr Selbstwertgefühl, die gesellschaftliche Achtung und ihre berufliche Entwicklung zu haben.

epd: Wie lässt sich das ändern?

Huber: Durch gute Beispiele.

11. November 2004