Sorge über Lage christlicher Minderheiten in der Türkei

Brüssel (epd). Einen Tag vor der Entscheidung der EU-Kommission über Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hat die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) Beschränkungen der Religionsfreiheit in dem Land gerügt. Eine politische Entscheidung zu Gunsten von Beitrittsgesprächen ohne ausreichenden Rückhalt in der Bevölkerung könnte die Entfremdung zwischen der EU und ihren Bürgern vertiefen, warnte die 125 Kirchen umfassende Organisation in ihrer Stellungnahme, die am Dienstag in Brüssel veröffentlicht wurde.

Vor allem die Einflussnahme des türkischen Staates auf die Religion sei bedenklich, argumentierte der europäische Kirchenbund. Zwar habe das türkische System des Laizismus dem Staatsverständnis zufolge den Zweck, den Einfluss islamistischer Gruppen zu begrenzen. Andere Religionsgemeinschaften behindere dies jedoch in ihrer Betätigung. Dies sei ein Zeichen innerer Instabilität und eine «Demonstration der Grenzen der Religionsfreiheit», folgerte die KEK.

Europäische Kirchen seien sehr besorgt über die Situation christlicher Minderheiten in der Türkei, heißt es in dem Dokument weiter. Entgegen Zusagen von Behörden hätten christliche Gemeinden bei rechtlicher Anerkennung, Grundstücksangelegenheiten und der Entwicklung eigener Lehrpläne erhebliche Schwierigkeiten. Diese Probleme seien nicht allein rechtlicher Natur, sondern spiegelten mangelnde Offenheit und Fairness gegenüber traditionellen Religionen und ethnischen Minderheiten wider.

Grundsätzlich sei ein Türkei-Beitritt für die Kirchen keine Frage unterschiedlicher Religionen, betonte die KEK in ihrer Stellungnahme. Dies sei kein Hindernis, um die Beziehungen zwischen EU und Türkei weiter zu intensivieren bis hin zur Mitgliedschaft. Ein möglicher EU-Beitritt der überwiegend islamischen Türkei könnte sogar zu einem Brückenschlag zwischen Christentum und Islam beitragen.

Das europäische Modell von Toleranz gegenüber Christen und anderen Religionen müsse jeder künftige Mitgliedstaat teilen. Die Beziehung zu ethnischen und religiösen Minderheiten stellt aus Sicht der KEK ein zentrales Kriterium für die innere Situation, Stabilität und den sozialen Zusammenhalt in den EU-Staaten und Kandidatenländern dar. Während sich die EU dafür einsetze, Werte wie Frieden, Gerechtigkeit, Solidarität und Vielfalt sowie Versöhnung, Toleranz, Meinungsfreiheit und wechselseitigen Respekt im Alltag zu verwirklichen, seien ähnliche Bekenntnisse bisher von der Türkei nicht zu vernehmen.

Noch immer gebe es Berichte über Folter in Gefängnissen, Einschränkung der Meinungsfreiheit sowie Druck auf Minderheiten, hieß es weiter. Eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte, speziell der Beziehungen zu den Nachbarländern sei Voraussetzung für wirkliche Versöhnung in der Gesellschaft: «Dies ist bis heute nicht erreicht», ergänzt die KEK.

06. Oktober 2004